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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Cannabis endlich legal. Endlich bürgerlich breit

Unsere Autorin kifft ihr halbes Leben. Ihr Status, eine Kriminelle zu sein, verflüchtigt sich jetzt. Zeit, sich Gedanken zu machen

Ein Ort, der das Glück schon im Namen trägt
Foto: Big Dodzy/unsplash

Wahrscheinlich bin ich nicht normal, denn ich habe erst mit dreißig angefangen, Cannabis zu rauchen. Ein Freund brachte einen intensiv riechenden, dunkelklebrigen Knubbel mit, hielt ein Feuerzeug daran, so dass sich dieser zerbröseln ließ. Fasziniert schaute ich zu, wie der Freund ein Stück Pappe zerriss, um ein Röhrchen daraus zu formen, welches das Mundstück des Joints darstellte, den er baute.

Gleichzeitig war mir nicht wohl, denn ich bin ein Kind meiner Zeit und stockbürgerlich erzogen. In unserer Kleinstadt raunte man höchstens von Drogensüchtigen. Als Abiturientin kannte ich einige, die LSD nahmen, sogar Heroin soll sich ein Student gespritzt haben. Aus meiner Sicht gehörten sie einer dunklen, ungeordneten, zerstörerischen Unterwelt an, mit der ich nichts zu tun hatte. Es fiel mir viel leichter zu akzeptieren, dass sich die Musiker, mit denen ich rumhing, bei ihren Konzerten regelmäßig ins Koma tranken.

Und jetzt saß ich vor einem Typen, der nicht von „Haschisch“ sprach, sondern cool von „Dope“, und dem es überhaupt nichts auszumachen schien, diesen illegalen Stoff zu inhalieren. Er reichte den glühenden Joint an mich weiter, ich nahm ihn ungeschickt und musste nach dem ersten Zug schrecklich husten. Eine leichte, warme Welle erfasste mich, ich lehnte mich zurück und fühlte mich wie ein Verbrecher. Ein richtiger Genuss war das nicht.

Trotzdem rauchte ich seitdem hin und wieder mit und begann, die Wirkung schätzen zu lernen. THC im Blut schien die Zeit zu dehnen, machte Musik intensiver, Sex gefühlvoller, und wenn ich etwas komisch fand, kriegte ich mich vor Lachen nicht mehr ein. Ich lernte, was ein grüner und ein schwarzer Afghane ist, doch mir selber einen Vorrat anzulegen, erschien mir unvorstellbar, denn das hätte ja bedeutet, einen Dealer aufzusuchen, und das war in meinen Augen der endgültige Abstieg in eine undurchschaubare, kriminelle Zone, in der eine berufstätige Frau nichts zu suchen hatte.

Es heißt, Frauen würden so auf Pflanzen stehen. Stimmt.
Foto: Diyahna Lewis/unsplash

Als ich in eine andere Stadt zog, brach der Kontakt zu cannabisrauchenden Freunden ab. Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, wünschte ich mir, leichter abschalten zu können. Es wäre einfach gewesen, im nächsten Supermarkt eine Flasche Wein zu kaufen, doch Alkohol war für mich nie eine Alternative. Weder schmeckte er mir, noch gefiel mir der Rausch, das unsichere Taumeln und Lallen. Schon nach zwei Gläsern wurde mir übel, und wenn ich mich ins Bett legte, drehte es sich so schnell, dass ich nicht mehr aussteigen konnte. Am nächsten Morgen zahlte ich mit sägenden Kopfschmerzen.

Viel mehr sehnte ich mich nach einem Joint, doch ich hatte keine Ahnung, wo ich den Stoff kaufen konnte. Bis ich mich traute, einen Bekannten zu fragen, ob er einen Dealer wisse, brauchte ich ein halbes Jahr. Meine Frage war mir unendlich peinlich, denn das Wort „Dealer“ klang ja ganz anders als „Supermarktverkäufer“.

Am nächsten Tag steuerte ich die genannte Adresse an, aber strolchte zunächst daran vorbei, weil mir der Mut fehlte, das verwahrloste Mietshaus, dessen Haustür offenstand, zu betreten. Zweimal umrundete ich den Block und war mir sicher, dass jeder Passant mir ansah, was ich vorhatte. Schließlich stieg ich mit heftigem Herzklopfen auf schiefen Holzstufen in den ersten Stock und klingelte zweimal kurz. Ich stellte mich darauf ein, dass ein muskulöser, tätowierter Mann mit scharfem Blick öffnen würde, womöglich mit einer Waffe im Hosenbund. Vermutlich würde er mich übers Ohr hauen, und ich würde mich nicht beschweren können.

Es öffnete ein schmaler Mann mit runder Nickelbrille, der eine buddhistische Freundlichkeit ausstrahlte.

„Ich möchte gerne Haschisch kaufen“, sagte ich mit wackliger Stimme.

Der Dealer ließ nicht durchblicken, wie unbeholfen er mich fand.

„Komm rein.“

So lernte ich Uwe (Name geändert) kennen. Er hatte klare Geschäftszeiten, außerhalb derer öffnete er nicht. Neben verschiedensten Haschischsorten verkaufte er auch Gras, und weil mir nie daran gelegen war, ausgebombt in der Ecke zu liegen, sondern ich bloß ein paar sanfte Flügel brauchte, blieb ich dabei.

Über zehn Jahre war ich Uwes treue Kundin. An seinem Küchentisch lernte ich die unterschiedlichsten Kunden kennen: Regisseure, Handwerker, Büroangestellte und vollkommen verkrachte Gestalten, die um Kredit bettelten, den Uwe niemals gewährte. So freundlich und ruhig er war, so genau hatte er seine Kunden im Blick, ließ sich nicht ablenken und nicht betrügen. Mit einer Federwaage maß er die gewünschten Mengen ab und wickelte sie in Alufolie.

In Uwes Küche saß ich manchmal stundenlang, diskutierte über das Weltgeschehen, während immer neue Leute eintraten und wieder gingen. Hier lernte ich, dass ich keineswegs die einzige Frau war, die regelmäßig Gras rauchte. Ich sah, dass wir viele waren, die meisten ganz normal. Auf die Idee, dass man Cannabis legalisieren könnte, kam ich trotzdem nicht. Für mich war das Verbotene ehern festgeschrieben und ich mit einem Bein ein Outlaw.

Schön auch, der gepflegte Cocktail zur Happy-Hour, Foto: Justin Aikin/unsplash

Eine klassische Tüte zu bauen, ist mir nie gelungen. Stattdessen drehte ich meine veredelten Zigaretten mit einer Handrollmaschine. Wie eine Bong funktionierte, wollte ich nicht wissen, sämtliche Fachbegriffe wie Spliff und Weed habe ich mir nicht angeeignet, das Wort „kiffen“ benutzte ich nicht, es ließ ein Bild im Kopf entstehen, das mit mir nichts zu tun hatte.

Niemals hätte ich gewagt, draußen an frischer Luft einen Joint anzuzünden, man roch es ja weithin. Außer allerbesten Freunden hätte ich keinem je erzählt, dass ich meinen Grasvorrat jetzt in einem Silberdöschen aufbewahrte, es war zu schambehaftet. Sie sollten nicht denken, dass ich kein anständiger Bürger mehr war. Entdeckte ich auf dem Heimweg von Uwe ein Polizeiauto, so versuchte ich, meine Nervosität unter einer gleichmütigen Miene zu verstecken.

Im Gegensatz zum Trinker kann ein Grasraucher von einem Tag auf den anderen aufhören, und muss das auch können, denn es gab ja nicht an jeder Ecke Nachschub. Als ich mich von Uwe verabschiedete, um nach Berlin zu ziehen, saß ich eine ganze Weile auf dem Trockenen. Irgendwo hörte ich, dass in einem Kreuzberger Park hinter jedem Busch Dealer standen. Also strebte ich dorthin, ohne eine Ahnung, ob ich diese Verkäufer überhaupt entdecken würde und falls ja, wie ich Kontakt aufnehmen sollte. Es war einfacher, als ich dachte: Sie erkennen ihre Kunden und fangen sie mit Blicken ein.

„Für fünfzig Euro Gras“, murmelte ich und sah mit mulmigem Gefühl zu, wie sich der dunkelhäutige junge Mann mit meinem Geldschein entfernte und sich hinter einem Strauch bückte. Aus Höflichkeit schaute ich in eine andere Richtung. Die Menge, die er mir schließlich in einem Tütchen in die Hand schob, war deutlich kleiner als die, die ich von Uwe gewohnt war. Rundherum auf den Parkwegen liefen ähnliche Geschäfte ab. Als ich ging, wünschte ich mir dringend eine Tarnkappe. In meinem Nacken saß die Angst, dass mich ein verdeckter Drogenfahnder beobachtet hatte und spätestens am Parkausgang stellen würde. Ich sah mich schon auf der Polizeiwache sitzen, strengsten Verhören ausgesetzt, mit einer Vorstrafe belegt, für immer aus der Gesellschaft ausgestoßen.

Nur einmal hat mir einer statt Gras Petersilie verkauft. Noch im Park bemerkte ich es und nahm meinen Mut zusammen, um zurückzulaufen und den Kerl zu stellen. Wir waren beide nicht daran interessiert, Aufmerksamkeit zu erregen, also gab er mir mein Geld ohne Protest zurück. Als ich wieder einen Dealer gefunden hatte, stellte ich diese Parkbesuche für immer ein.

Die Etsy-Kiffer-Fraktion backt natürlich selbst
Foto: Shoiel Barath /unsplash

Überall, wo ich durch die Jahrzehnte wohnte, begleitete mich die Furcht, dass Nachbarn meinen Konsum riechen könnten. Immer noch war ich fest davon überzeugt, dass dies meinen gesellschaftlichen Tod bedeuten würde. Jüngere Leute haben damit offenbar weniger Probleme. In den letzten Jahren sehe ich sie überall in Grüppchen zusammensitzen, umwabert von Rauchschwaden. Sie würden nicht für möglich halten, dass die grauhaarige Frau, die hinter ihrer Parkbank vorbeiläuft, gerne einen Zug genommen hätte, denn ich werfe ihnen niemals einen verschwörerischen Blick zu.

Vor einigen Jahren wurde mein Dealer leider festgenommen, ich erfuhr davon über einen Freund und erschrak. Tagelang fürchtete ich, Fahndungsziel zu werden, doch es blieb alles ruhig. Um die Zeit zu überbrücken, bis ich einen neuen fand, bediente ich mich modernster, digitaler Mittel, aber in diesen Sumpf möchte ich nie wieder tauchen, denn Gras ist mit Abstand das harmloseste, was in diesen düsteren Internetecken offeriert wird, und dieses Angebot muss man sich zwischen lauter nackten, sich windenden, breitbeinig daliegenden Damen heraussuchen, es ist ein Anblick wie in einen Schweinestall.

Der einzige Luxus war, dass der Dealer bis vor meine Haustür fuhr. Vor dem Netzwerk, in dem ich mich extra angemeldet hatte, warnte er mich eindringlich, denn er sah ja eine ältere Frau vor sich stehen: „Sehr gefährlich, treiben Sie sich da bloß nicht rum! Sie werden überall betrogen.“ Im Haus löschte ich meinen gerade mal drei Stunden alten Zugang und werde ihn nie wieder benutzen.

Dieses Jahr werde ich vierundsechzig. Kaum hätte ich gedacth, dass ich noch zu Lebzeiten fröhlich pfeifend eine Apotheke betreten werde, um mir ein Tütchen Gras zu kaufen. Es ist ein Gefühl wie aus einer tiefen, dunklen Höhle zu kriechen.

Fortan wird der Stoff täglich, zu christlichen Öffnungszeiten, in gleichbleibender Qualität und Reinheit verfügbar sein, so wie es jeder Bierchentrinker als selbstverständlich voraussetzt. Direkt vor der Apotheke werde ich mich auf die Straße stellen können, dicke Rauchschwaden ausstoßend. Allerdings bezweifele ich, dass ich dieses tief eingebrannte Gefühl der Illegalität auf den letzten Metern noch loswerde. Doch für alle, die nach mir kommen, freut es mich sehr.

So schön, wer braucht da noch einen Weihnachtsstern?
Foto: Tim Foster/unsplash

Die Autorin, eine weithin bekannte Frau, möchte, dass wir sie „Elise im 7. Himmel“ nennen. Ok.

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