Die Künstlerin Annette Wirtz hat Malerei und Experimentalfilm bei Maria Lassnig studiert. Ihre Arbeiten wirken traumwandlerisch und verletzlich; genau dort, wo das vermeintlich Liebreizende bricht, wird es spannend.
Wie spürst Du im Prozess des Schaffens, dass Du mit einer Arbeit richtig liegst?
Wenn die Malerei leicht von der Hand geht und der Flow sich einstellt. Im besten Fall bin ich dann in meine Arbeit verliebt, sehr beflügelt und am Ende des Tages glücklich.
Wenn sich nicht das einstellt, was Dir vorschwebt, was machst Du dann?
Dann stelle ich die Arbeit zur Seite und arbeite an einem anderen Bild weiter. Oder ich gehe raus, unter Menschen, um auf andere Gedanken zu kommen. Oft ergibt sich eine Lösung erst nach einiger Zeit.
Manche Künstler*innen sagen, ihre Arbeit sei körperlich anstrengend. Wie ist das bei Dir?
Schon während meines Studiums in Wien brauchte ich immer eine Möglichkeit, im Atelier ein Nickerchen zu machen. Um gut zu malen, ist Konzentration wichtig, außerdem bin ich dabei ständig in Bewegung. Immer wieder trete ich zurück und schaue mir an, was ich gemacht habe. Dann gehe ich zu meiner Palette, mische die Farben, die ich als nächstes brauche und gehe zurück zum Bild. Da kommen im Laufe des Tages einige Meter zusammen.
Eine Auswahl
Du hast bei Maria Lassnig studiert. Ich habe gelesen, dass sie den Studierenden empfahl, nicht auf die Leinwände der anderen zu blicken. Es sollte helfen, ganz bei den eigenen Empfindungen zu bleiben. Hast Du so malen gelernt?
Maria Lassnig hat uns generell empfohlen, unseren eigenen Anliegen Ausdruck zu verleihen. Es ist ein Geschenk, bei ihr studiert zu haben. Sie hat diese Professur sehr ernst genommen und uns befähigt in der Kunstwelt zu bestehen.
Inwiefern hast Du Lassnigs Ansatz übernommen, aus dem Körpergefühl zu malen?
In meinen Bildern geht es um Vor-Bilder, um den Blick auf den Körper. Es ist also eine ganz andere Herangehensweise.
Ich frage, weil Deine Figuren etwas Traumwandlerisches, Surreales haben. Gibt es eine zentrale Frage, der Du in Deinen Bildern nachgehst?
Meine Figuren sind ganz bei sich, werden aber betrachtet. Sie sind in diesem Sinne keine Modelle, die sich zeigen. Mich interessieren die dargebotenen Haltungen, deren Herkunft, Zuschreibung und Wirkung. Oft zeigen diese Haltungen bestehende Machstrukturen und sagen mehr über diejenigen aus, die diese Bilder geschaffen haben, als über die abgebildeten Frauen.
Die Frage, der ich nachgehe und die mich antreibt, ist die nach dem tatsächlichen Freiraum. Was können wir selbst bestimmen und verändern, und welche Vorgaben sind so festgeschrieben, dass sie uns immer wieder einholen?
Gibt es in Bezug auf Deine Arbeit ein Versäumnis, das Du vielleicht bereust?
Ja, es gibt viele Versäumnisse, aber die habe ich mir verziehen.
Hast Du eine Lieblingskünstlerin oder ein Lieblingswerk?
Es fällt mir schwer, mich für eines zu entscheiden. Es gibt eine lange Liste großartiger Künstlerinnen, die ich bewundere. Die Videoinstallation „Ever is over all“ von Pipilotti Rist mag ich ebenso gern wie das Gemälde „Timoclea“ von Elisabetta Sirani. Oder auch das Bild „Du oder ich“ von meiner Professorin Maria Lassnig. Dass es meistens Künstlerinnen und keine Künstler sind, ergibt sich von selbst.
Was magst Du an den Arbeiten?
Sie alle haben eine Kraft, die Frauen traditionell nicht zugeordnet ist. Diese Künstlerinnen haben Grenzen überschritten.
Welche Künstlerin würdest Du gern einmal treffen?
Artemisia Genteleschi. Sie hat bereits vor gut 400 Jahren ein umfassendes feministisches Werk geschaffen. Ihre Frauenfiguren sind stark und wehrhaft. Die auf ihren Bildern Dargestellten tragen häufig die Gesichtszüge der Künstlerin.
Und worüber würdest Du mit ihr sprechen?
Über ihre Tätigkeit als Malerin vor gut 400 Jahren. Wie schwierig war es damals als Frau, selbstständig zu arbeiten? Wie fühlte sich das Leben in Rom und Neapel zur Zeit des Barock an?
Wenn Du keine Künstlerin wärst, was wärst Du dann?
Archäologin oder Historikerin. Es ist die Suche nach den Ursprüngen, die mich antreibt. Die Kenntnis dieser Ursprünge könnte uns ermächtigen, den Status quo zu unseren Gunsten zu verschieben. Für mich wäre das eine Gesellschaft ohne derart feste Machtstrukturen.
Welche Frage haben wir nicht gestellt, die Du aber wichtig findest?
Wie gehen Sie, bezogen auf Ihren Beruf, mit dem Altern um?
Wie lautet Deine Antwort?
Seit ein paar Jahren habe ich einige Arbeiten zu diesem Thema geschaffen und mich damit auseinandergesetzt, wie alternde Frauen wahrgenommen werden. Aber! Es gibt kein absehbares Ende der Arbeit als Künstlerin. Daher beinhalten Älterwerden und dann Altsein keinen Ruhestand. Zum Glück gibt es dazu viele großartige Vorbilder.
Die Künstlerin Annette Wirtz hat Malerei und Experimentalfilm bei Maria Lassnig studiert. Sie beschäftigt sich, wie soll es bei dieser Ikone der Körperbilder anders sein, mit dem Leiblichen, Sinnlichen, dem Schein und dem Sein. Annette Wirtz lebt in Düsseldorf und Dannenberg. Eine Auswahl unterschiedlicher Arbeiten von ihr sind derzeit im Stauraum in Düsseldorf zu sehen. Weitere Ausstellungen sind in Planung. Besucht Annettes Webseite für kommende Termine.
Kuratorin unserer Palast-Galerie ist Anette Frisch, sie hat auch das Interview geführt.