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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Der stille Charme der Zigarette in der Nacht I Essay von Sylvia Heinlein

Rauchen ist mehr als ein Laster. Es ist ein charmanter, mitunter wärmender Flirt mit der Vergänglichkeit. Findet zumindest Sylvia Heinlein

Rauchen kann sehr atmosphärisch sein. Vor allem in der Nacht. Foto: KI generiert


Natürlich schreibe ich dies um drei Uhr nachts in einem Morgenmantel. In einem leichten Morgenmantel, mit einem Hauch von Spitze. Nur so viel Spitze, dass es nicht närrisch wirkt. Morgenmäntel sind etwas grundsätzlich anderes als Bademäntel, sie sind flatterhaft, apart und sublim. Mit einem Morgenmantel übersteht man jeden Tag fabelhaft. Und jede Nacht. Neben mir steht ein schlichter, rubinroter Aschenbecher aus venezianischem Glas. Glas sollte aus Venedig kommen, darunter sollte es auch nachts keine Raucherin machen. Über mir steigt nachdenklich der Rauch einer Zigarette auf, sie steckt in einer Zigarettenspitze. Eine Zigarettenspitze kühlt den Rauch und macht ihn milder. Es ist nicht einfacher geworden mit der Zeit, eine hübsche, schwarze Bakelit-Zigarettenspitze aus den 30er-Jahren zu bekommen, aber immer noch gibt es Wege und Möglichkeiten. Meine Zigaretten entzünde ich mit einem Benzinfeuerzeug, die Damenvariante. Ich muss den Deckel aufschnippen, ein sinnliches Startsignal geben, bevor ich die Flamme entfachen kann. Im Notfall dürfen es auch Streichhölzer sein, im besten Fall eines dieser Heftchen, das mit sentimentalen Erinnerungen an einen Restaurantbesuch behaftet ist.

Das Rauchen öffnet insgesamt eine Zwischenwelt. Eine Welt des Wechselspiels, in dem jede Frau changieren und ihr kapriziöses, schlampiges, apartes, geheimnisvolles oder eben nobles Stück aufführen kann.

Ich arbeite nachts, weil ich tagsüber andere Dinge zu tun habe, meist triviale Angelegenheiten. Wenn man rauchende Frauen anruft, schrieb Wiglaf Droste, „sagen sie Sachen wie ‚Nein, ich kann jetzt nicht, ich muss gerade meine Haare entbeinen‘, und dann hört man sie einen tiefen Zug aus der Zigarette nehmen. Man sieht sie vor sich, wie sie da in ihrer Küche sitzen, inmitten einer gigantischen Unordnung, und den ganzen Tag tun sie sinnlose Dinge, zu denen Männer oder nichtrauchende Frauen niemals fähig wären.“ Das ist gut erkannt und hat mit stilvoll rauchenden Damen nur scheinbar nichts zu tun. Denn es ist ja so: Das Rauchen öffnet insgesamt eine Zwischenwelt. Eine Welt des Wechselspiels, in dem jede Frau changieren und ihr kapriziöses, schlampiges, apartes, geheimnisvolles oder eben nobles Stück aufführen kann.       

Natürlich weiß jede Dame den Eindruck zu erwecken, sie hätte, wie alles andere, auch das Rauchen unter Kontrolle und wisse genau, wo, zu welcher Stunde und mit welchem Gegenüber es angebracht ist, sich bewusst einer Zigarette zu widmen. Sich in jeder Umgebung und Gesellschaft adäquat verhalten zu können, ist ihr selbstverständlich. Sie ist insgesamt zu einer ganzheitlichen Persönlichkeit gereift. Mit ihrer Zigarette jedoch – gleich, wie anmutig, arrogant oder formvollendet sie genossen wird – vermittelt eine Lady unterschwellig immer auch die Botschaft: „Nun, meine Lieben, tatsächlich ist es mir vollkommen schnurz, was die Allgemeinheit als schicklich empfindet – ich selber befinde, was angemessen ist.“ Letztendlich beruft sie sich mit jeder Zigarette auf die Geister der Vergangenheit. Auf den extravaganten Dandy, der um die Jahrhundertwende rauchend seine Gestik verfeinerte. Auf das selbstbewusste Flapper Girl der 20er-Jahre (wie hübsch, nebenbei: Flapper – jemand, der umherflattert), mit kurzem Rock und Bubikopf, das die Kippe nutzte um zu provozieren. Auf Greta Garbo, Marlene Dietrich und Rita Hayworth, die Filmdiven der 30er- und 40er-Jahre, Vamps und Außenseiterinnen im Zwielicht.

Klug eingesetzt, kann jede Zigarette Revolution oder theatralisches, ästhetisches Stilmittel sein. In erster Linie jedoch erlaubt die Kippe es der gewandten Raucherin, eindringlich nichts zu tun und dabei allerhand zu erleben. „Selbstverständlich rauche ich unaufhörlich“, schrieb Oscar Wilde. „Zigaretten sind die Fackeln der Selbsterkenntnis und unter ihrem Einfluss kann ich mich aus der Welt in eine Sphäre privater Eindrücke zurückziehen.“ Selbst also, wenn eine Frau in Gesellschaft nach außen hin präsent und zugewandt raucht, ist es ihr doch möglich, sich unbemerkt von den anderen in sich zu verlieren und wiederzufinden. Dies sind wohl die Momente, die es ihr überhaupt erst ermöglichen, immer wieder aufs Neue jenes Bild abzugeben, das ihr entspricht.

Man raucht niemals als salonfähige Frau: im Gehen auf der Straße. Außer, es regnet und es ist gerade irgendetwas Entsetzliches passiert, das das Leben vollkommen durcheinander gebracht hat. Hastiges, nervöses Rauchen überall, zu jeder Zeit, ist auch aus Ängstlichkeit erlaubt. Aus Überforderung, Ratlosigkeit, Kummer, Verzweiflung. Oder wenn man eine unerträgliche Person niederstarren muss. Jedes intensive, schwer zu ertragende Gefühl gestattet eine Zigarette. Wer spürt, gestrandet zu sein oder verloren, wer die Contenance bewahren muss, um tapfer weiterzumachen, mit was auch immer – der muss etwas einatmen, das schmerzhafter in den Lungen brennt als reine Luft.         

Am besten ist jener Tabak, der nicht mehr erlaubt ist.

Was soll man rauchen? Nun, es ist wie mit allen wirklich guten Dingen: Am besten ist jener Tabak, der nicht mehr erlaubt ist. Exquisite Sorten aus Virginia, über allen Grenzwerten liegend und deshalb lange nicht mehr erhältlich. In den 90er-Jahren genoss der leidenschaftliche Gentleman an meiner Seite Players Navy Cut. Es waren starke, aromatische Herren-Zigaretten, filterlos, mit einer interessanten ovalen, abgeflachten Form. Sie rochen nach Kavalieren, die sich auf Reise nach Übersee begeben, um dort wichtige Geschäfte zu erledigen. Genau das tat dieser Mann auch. Und er brachte mir Sweet Afton nahe, harmonisch süß, seit 1919 auf dem Markt und nach einem Gedicht Robert Burns´ benannt. Auf der eleganten Schachtel befanden sich ein Porträt des Dichters und die ersten Zeilen seiner Ode an ein schottisches Flüsschen: „Flow gently, sweet Afton, among thy green braes. Flow gently, I sing thee a song in thy praise.“

Draußen vor dem Fenster graut der Morgen. Auf dem Plattenspieler dreht sich Gustav Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen, es sind die letzten Klänge aus Jim Jarmuschs poetischem Film Coffee and Cigarettes: „Ich leb‘ in mir und meinem Himmel, in meinem Lieben, in meinem Lied.“ Zeit für eine letzte Zigarette vor dem Schlafengehen. Zeit für die erneute, immerwährende Suche nach einem kurzen Augenblick des Glücks. Hin und wieder findet er sich tatsächlich. Meist aber geschieht nicht mehr, als dass der Rauch einen Moment lang Kamerad in der Einsamkeit ist.


Sylvia Heinlein ist das Flapper Girl unter unseren Autor*innen. Flatterhaft, unstet, aber vom bezaubernden Charme der Leichtigkeit geküsst.

Natürlich sind wir strikt gegen das Rauchen. Weil es der Gesundheit schadet. Und auch, weil es Räume nachhaltig stinken lässt. Aber wir sind unbedingt für Eskapismus zu haben. Dafür, das Leben zu genießen, mitunter gegen jede Vernunft. Wozu ist man sonst erwachsen geworden, wenn nicht bewusst und mit Hingabe ab und an Grenzen zu überschreiten?

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