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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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I am what I am because of … this book!

Sie ist eine unserer Lieblingsrubriken: I am what I am because of this book! Katrin Schwahlen erzählt uns, warum „Die Scham ist vorbei“ von Anja Meulenbelt für ihr Leben so bedeutend war. Das Buch der feministischen niederländischen Schriftstellerin und Psychoanalytikerin ist Ende der 70er Jahre im Verlag Frauenoffensive erschienen.

                                                                                     

Düsseldorf, Winter 1981. Ich studiere Biologie an der Heinrich-Heine-Universität, einer der größten Unis in Nordrhein-Westfalen. Und fühle mich ziemlich verloren. Das hat nicht nur mit den vielen Hörsälen, Gängen und Menschen zu tun. Ich bin auch mit einem Mann zusammen, der … tja, sehr charmant, sehr zärtlich, klug und lustig ist, aber irgendetwas fehlt. Ziemlich schnell ist er mit seinem Hund bei mir eingezogen, eher langsam bekomme ich mit, dass er gar nicht Schluss gemacht hat mit seiner Freundin, die nur eine Straße weiter wohnt. Und auch Bio studiert.

Auch wenn ich bei einer für damals ziemlich fortschrittlichen Mutter aufgewachsen bin, habe ich doch viele klassische weibliche Anteile in mir: „Eine Frau ist nur mit einem Mann eine richtige Frau.“ „Wenn es dem Mann gut geht, geht es mir auch gut.“ „Ich bin schuld, wenn es ihm nicht gut geht.“ „Ich schäme mich, weil ich [ ] zu laut [ ] zu leise [ ] zu anspruchsvoll [ ] zu anspruchslos [ ] nicht richtig genug bin“. Zutreffendes bitte ankreuzen, Mehrfachantworten möglich. Mein Weg zu Emanzipation und Feminismus liegt noch unerkannt vor mir.

Die nackte Frau am Waschbecken

Und dann fällt mir dieses Buch in die Hände: „Die Scham ist vorbei“ von der niederländischen Autorin Anja Meulenbelt. Ich weiß nicht mehr, wie und wo ich an das Buch gekommen bin. Vielleicht war es der rosafarbene Umschlag mit der nackten Frau am Waschbecken, der mich in der Buchhandlung fasziniert hat. Vielleicht die Empfehlung einer Kommilitonin.

Zögernd fange ich an, um nach nur wenigen Seiten so gefangen zu sein von dieser persönlichen Erzählung, das ich es in einem Tag und einer Nacht lese. Da versteht mich jemand. Ich bin nicht allein mit meinen Gefühlen und Gedanken. Heule vor Freude, weil ich Seite für Seite Sätze lese, die meine Emotionen besser ausdrücken, als ich sie mir damals eingestanden habe. Heule vor Trauer. Fühle mich erkannt, ertappt, berührt. Leide mit der Autorin und meine mich selbst. Und wundere mich, welche neuen Gefühle dazwischen entstehen: Wut. Zorn. Ärger. Auf den einen Mann, auf alle Männer, auf das System, die Gesellschaft, das Patriarchat. Auf alles und jeden. Und erkenne: Es ist nicht nur mein Problem. Ich bin nicht schuld. Ich muss mich nicht länger schämen.

Weggehen, um anzukommen

Nicht lange, nachdem ich das Buch gelesen habe, trenne ich mich von dem Mann, ziehe in eine Land-WG nach Ostfriesland und studiere in Oldenburg weiter. Ich bin weggegangen. Um bei mir selbst anzukommen. Das hat zwar noch ein paar Jahre (Ehrlich? Jahrzehnte!) gedauert, aber es hat geklappt.

Im Laufe meiner vielen Umzüge ist das Buch verloren gegangen. Vor ein paar Jahren habe ich es mir übers Antiquariat noch einmal bestellt. Es steht jetzt hinter mir im Regal – und erinnert mich immer wieder daran, wie ich mich damals befreit habe. Die Scham ist vorbei.

Katrin Schwahlen, Jahrgang 57, arbeitet seit einem Jahr weniger und schreibt mehr. Was noch mehr Arbeit ist. Und mehr Spaß macht. Sie lebt mit Mann und Hund in Berlin.


Katrin im Web: www.katrinschwahlen.de und bei Instagram @wechselwissen

Foto: Katrin Schwahlen


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