„Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“ sagte Rilke. Gabriele Bärtels befürchtet, dass das stimmen könnte und skizziert ihr unfreiwilliges Alleinsein
Wenn es sich so anfühlt, als hätten alle ein besseres Leben. Gemeinsam, vereint, miteinander.
KI-Illustration: Gabriele Bärtels
Ich lebe schon lange allein, wie viele. Ich bin eine Frau, aber ich fühle mich nicht so. Meine Wohnung ist hübsch, ja wirklich. Ich habe immer frische Blumen. Meine Ins-Bett-Geh-Rituale sind eingeschliffen, – ich denke nicht mehr darüber nach, dass ich zuerst das Gesicht reinige, dann die Zähne putze, während im Wohnzimmer das Fenster zum Lüften offensteht. Der Fernseher läuft meistens noch, wenn ich auf dem Teppich meine Gymnastik mache. Ich kenne mein Bett. Die Decke ist schön dick. Auf dem Nachttisch liegt das Buch, das mich vergessen lässt, dass außer mir hier nichts atmet.
Natürlich suche ich einen Mann, wie viele. Keiner dabei, mit dem mehr als ein Anfang möglich war. Eine Weile dachte ich, ich sei schuld. Heute las ich in der Zeitung, dass in rund zehn Jahren die Hälfte aller Beerdigungen in Berlin-Mitte vom Bezirksamt durchgeführt werden wird. Alles Tote ohne Angehörige. Männer und Frauen. Ein Herr im dunklen Anzug trägt ihre Urnen von Berufs wegen zu Grabe. Den Inhalt hat er nicht gekannt.
Manchmal habe ich einen Flash. Dann zuckt eine Mikroszene aus meiner Kindheit auf: vielleicht fünf Paar matschige Stiefel neben der Kellertreppe und der Geruch nach Schuhputzmittel. Oder wie die Teller einer Familie klirren, die in die Spülmaschine geschoben werden. Wir waren keine Ausnahme. Es war kein hohes Gut, sondern üblich, dass einer durch den Flur brüllte: „Wer hat schon wieder meine Schere?“
Manchmal backe ich einen Zwetschgenkuchen mit Streuseln und zehre eine Woche davon, bis er vertrocknet. So lange hätte er in meiner Familie nie überlebt. Während des Backens fühlte ich mich gut, fast wie Zuhause. Wenn der Kuchen abkühlt, hört das auf. Manchmal denke ich auch daran, wie es ist, ein Gespräch zu haben, das sich um Staubsaugerbeutel dreht. Ich rede mit niemandem über solche Sachen, und wo die Schere liegt, weiß ich immer.
Neulich hatte ich eine Affäre, die war erotisch, leidenschaftlich, inspirierend. Am meisten entzückte mich, dass der Mann davon träumte, dass ihm jemand Vanillepudding koche. Als ich´s tat, freute er sich wie ein Junge und leckte die Schüssel leer. Ich trug eine Schürze, ich, der attraktive, eloquente Großstadtsingle, und war auf einmal kein geschminktes Neutrum mehr, sondern eine glücklich grinsende Frau. Dann glitt mir der Mann wieder aus den Händen.
Man vergisst es ja schnell, wenn keiner da ist, wenn aber einer da war, dann kommt es wieder, das Gefühl der leeren Hände. Es hallt noch lange nach. Diese Hände, also meine, ganz schöne Hände übrigens, haben nichts, das sie streicheln können, dabei würden sie kaum etwas lieber tun. Sie würden über einen Männerkörper fahren und die Hitze spüren, die von ihm ausgeht. Sie würden ihn auch abtrocknen, wenn er aus der Dusche kommt. Irgendwann vielleicht nicht mehr täglich, aber doch noch oft genug. Es sind Hände, die etwas geben wollen, von mir aus nur das Salz. Stattdessen balancieren sie Zigaretten zwischen den Fingern und staubsaugen viel zu viel.
Ich kenne viele Frauen, die so sind und manche, die so werden, wenn ihr Sprössling aus dem Haus geht. Ich kenne viele Männer, die auch nicht verstehen, weshalb sie auf eine Kette abgebrochener Beziehungen zurückblicken. Sie dachten genau wie ich, dass sie vollkommen partnerschaftsfähig wären. Und nun ist eine Reihe von ihnen auch noch kinderlos. Auf einmal werden sie fünfzig oder sechzig und erschrecken sich, so wie ich mich mit vierzig schon erschreckt habe. Sie leben in viel zu großen Wohnungen und alles ist picobello. Sie lernen gelegentlich eine Frau kennen, vielleicht mich. Aber ganz passt es nie.
Ob sie manchmal auch einen Flash haben? Von früher, als sie in kurzen Hosen in ein Haus heimkehrten, aus dem es nach heißem Vanillepudding roch. Ob sie Lust hätten, an einem Wintersonntag einen bescheuert banalen Schaufensterbummel zu machen, aus dem zu zweit aber doch ein Ereignis wird? Sie weichen aus. Kein entschlossenes „Ja, ich will“. Eher Misstrauen. Prüfung. Lieber doch weitersuchen. Haben sie nicht auch manchmal das Gefühl von leeren Händen? Zu jemandem eine enge Beziehung zu haben, ist ein natürlicher Zustand. Eigentlich müssten wir von selbst dahin streben.
Es ist alles so modern geworden, auch ich bin voll verkabelt. Mail-Adresse, Website, Handy-Nummer. Mein Leben ist bestens eingerichtet – mit wohlwollenden Nachbarn, Freunden in der Nähe und einem Vibrator. Aber ein eklatantes „Falsch“-Gefühl durchzieht es. … wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben / und wird in den Alleen hin und her / unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. Im Winter stelle ich die Heizung zu hoch und bade zu oft, um es warm zu haben. Ich möchte mal heulen, aber nicht am Telefon. Ich traue mich kaum noch, mir etwas Altmodisches wie ein Zuhause zu wünschen. Die Leute wirken alle so erfolgreich und so fortgeschritten. Sie haben Meetings und Dates. Sie machen nicht den Eindruck, als wollten sie ihre Zigarette mit jemandem teilen, ihre Selbstzweifel oder Zukunftspläne.
Und während ich die tausendundeinte Nacht vor dem Fernseher verbringe, weil sich sonst partout nichts regt, die leeren Hände um die Fernbedienung geklammert, meine Weiblichkeit unter den Teppich gekehrt, rüste ich mich für ein langes, einsames Altern unter lauter Leuten, die genau das auch nicht wollen. Es ist lachhaft.
Gabriele Bärtels hat bereits diverse Texte in unserem Palast veröffentlicht. Ihr findet sie hier.
Auch interessant, Gabrieles Website
Dort findet Ihr auch ihre Bücher
„Eine Minute“ etwa erzählt die Geschiche einer toxischen Beziehung, „Das beste Versteck“ ist der Roman über eine Kindheit