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Palais F*luxx

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Wer braucht Paris?

Französischer Bürokratie sei Dank hat Regina Kramer erst nicht geheiratet, und dann in Köln. Einen anderen.

Paris oder Köln-Nippes – wir wissen nicht, wo Kevin Kurek diesen Traum einer Hochzeitslocation fotografiert hat. Wir sind nur dankbar, dass er es getan hat. Sollte Regina erneut heiraten, legen wir zusammen und gehen sicher, dass dieses Ambiente ihr Glück vervollkommnet.
Foto über unsplash



Heute würden wir es wagen, er hatte schon mal, ich noch nie.
Wir zogen uns den Umständen entsprechend an. Die Umstände waren, dass wir uns erst mal erkundigen wollten.
Das Standesamt war hässlich, ein viereckiger Bau aus den 60er Jahren, der Putz bröckelte. Eine Eheschließung in der Nähe von Paris hatte ich mir romantischer vorgestellt.
Das Standesamt hatte Mittagspause. Noch mal davongekommen, für zwei Stunden. Wir gingen in eine Kneipe, mir war schlecht, wahrscheinlich sah ich auch so aus.
„Willst du nicht mehr?“, fragte mein Langjähriger und vielleicht Zukünftiger. Ich sagte „Doch, doch“, nur mein Magen taumelte vor ängstlichem Bedenken.

Früher wollte ich nie heiraten. Ich fand das spießig, altmodisch und überflüssig. Bis ich eines Tages merkte, dass mich meine alten Überzeugungen nicht mehr überzeugten. Da war ich 49 Jahre, nun machte es absolut keinen Sinn mehr zu heiraten.  Wir wollten keine Familie gründen, es gab keinen Besitz zu mehren, keine Gesellschaft und nicht mal meine Mutter diskriminierten mich als Ledige. Also wäre es nur lustig, weil ganz ohne Zwang. So sollte eine Liebesheirat sein.
Leider brauchte Leon, mein langjähriger Freund, etwa zwei Jahre, bis er meine modern-romantische Entwicklung verstand. Immerhin war er den umgekehrten Weg gegangen: früh geheiratet, aus Tradition (plus Liebe, aber sicher), zwei Kinder, dann geschieden. Wozu den ganzen bürokratischen Kram wiederholen?, dachte er wohl insgeheim.

Auch die Standesbeamtin hatte Nachholbedarf in Romantik

Dann war die Mittagspause vorbei, die Standesbeamtin freute sich, uns zu sehen. Endlich mal kein Todesfall zu registrieren, Geburten gab es auch kaum mehr, und in diesem Pariser Vorort lebten nicht viele Heiratswillige. Die Standesbeamtin hatte, ähnlich wie ich, einen Nachholbedarf an Romantik.
Leon sagte: „Ich habe diese schöne junge Frau vor 20 Jahren kennengelernt und nun möchten wir heiraten.“
Die Standesbeamtin und ich schmolzen dahin. Man muss dazu sagen, dass Leon eine unglaublich schöne Stimme hat. Egal, in welcher Sprache.
Allerdings, sagte Leon, gebe es da ein Problem. Er sei Franzose, ich Deutsche und wir beide hätten unseren ersten Wohnsitz weder in dieser noch in einer anderen französischen Stadt, sondern in Deutschland.
Warum wir dennoch hier heiraten wollten, fragte die Standesbeamtin.

Ich dachte, es sei an der Zeit, auch mal was zu sagen. Immerhin sollte die Standesbeamtin nicht den Eindruck bekommen, ihr Landsmann heirate eine stumme oder sprachunkundige Ausländerin. Ich hätte erklären können, dass wir in Frankreich heiraten wollen, weil ich lieber „Oui“ statt „Ja“ sagen wollte. Ob so was gilt? Bestimmt nicht. Also erzählte ich in verhältnismäßig fließendem Französisch von guten Freunden, die hier im Ort wohnen und bei denen wir uns kennengelernt hätten. Das stimmte zwar, galt aber auch nicht. Wer keine Steuern in der Gemeinde zahlt, kriegt auch nicht den Service, sich trauen, registrieren und behördlich feiern zu lassen.

Sie rief uns „Bonne chance“ hinterher

Die Standesbeamtin war wirklich um unser Glück bemüht. Sie blätterte in Papieren und Verfügungen und riet uns, nach Absprache mit einem Kollegen, zum Konsulat in Paris zu fahren. „Bonne chance“ rief sie uns noch hinterher.
Wir verließen das Standesamt. In solch einem hässlichen Haus hätte ich mich sowieso nicht trauen lassen.
Statt zum Konsulat nach Paris fuhren wir am nächsten Tag erst mal nach Deauville, Urlaub machen. Irgendwas stand unserem amtlich beurkundeten Glück im Weg. Das wollten wir uns nicht eingestehen und redeten nicht mehr davon. Vielleicht war ja doch was dran an diesen biblischen Weisheiten: Ein jegliches hat seine Zeit. Wir hatten sie offenbar verpasst.
Eine Woche später, bei einem Spaziergang am Meer, schrieb ich (auf Deutsch, damit nicht jeder einheimische Urlauber es lesen konnte) mit dem Finger in den nassen Sand: „Glaubst du, dass wir eines Tages doch noch heiraten werden?“ Und Leon malte merkwürdige Zeichen darunter und sagte: „Das ist Chinesisch und bedeutet: Ja.“ 
Nach vier Stunden kam die Flut und unser Eheversprechen verlief endgültig im Matsch.

Auf  Standesämtern war ich danach noch öfter. Als Trauzeugin, wegen verloren gegangener Papiere, zum Kirchenaustritt und so. Was aus Leon und mir ohne Standesamt geworden ist?
Ein jeglicher hatte seine Zeit. Ein anderer hat keine Sekunde gezögert. Ratzfatz getraut, ratzfatz gelebt. Wer braucht Paris? Auch Köln hat hübsch-hässliche Standesämter.

Weitere Texte von Regina findet Ihr hier

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