Sylvia Heinleins Wochenjournal über die Stürme im Wasserglas des Alltags. Diese Woche: Kleine Zärtlichkeiten
Heute bin ich zärtlich gestimmt, meine Luderchen, deshalb gibt es Kosenamen für alle. Häufig werden Kosenamen nur noch aus Gewohnheit benutzt, hier jedoch ist alles frisch und kommt von ganzem Herzen, greift also beherzt zu und nehmt reichlich, ihr crispy Chicken. Ich gebe nur weiter, was ich selbst erhalte, liebe Pantoffeltierchen. Meine Freundinnen und ich titulieren uns als Tapir und Gnu, Dikdik und Gürteltier, Schlammschwimmer und Kellerassel; Lebewesen wie wir, sie schlagen sich durchs Leben und brauchen Futter und Liebe.
Freundinnen werden mit dem Alter meist weiser und wertvoller, eine herrliche Sache. Gerade erst jammerte ich über meine Trägheit, natürlich wusste eine Freundin Rat. Sie ist Anhängerin des Taoismus und Laotses, darunter tut sie es nicht, aber es ist alles sehr im Geheimen, sie belästigt niemanden damit, außer, wenn ich durchdrehe, weil das Weihnachtszeug auch nach Frühlingsbeginn noch nicht weggeräumt ist. „Tue das Nichtstun und nichts bleibt ungetan“, sagt sie dann. Da denkt mal drüber nach, meine Luder, wenn ihr gelegentlich meint, dass ihr doch wohl bedeutend geschäftiger herumrascheln solltet, im Job, auf Bumble oder beim Fensterputzen.
Nun fix und kurz zur aktuellen kulturellen Debatte um Will Smiths Ohrfeige bei den Oscar-Verleihungen. Sie ist schon passabel durchgewalkt, aber aufgepasst, noch blieb etwas Wesentliches ungesagt. In der ZEIT verurteilte eine jüngere Kollegin die Backpfeife an sich als patriarchale, anachronistische Kulturtechnik, und da muss ich als vom Leben durchgedengelte Lady ein „Hello-hello?!“ aufs Spieltischchen knallen. Ich habe in den letzten Jahrzehnten ausschließlich erwachsene Männer geohrfeigt, teils spontan, gelegentlich mit Ankündigung, immer aber begriffen beide Seiten die Chose als stilvolles Ausdrucks- und Protestmittel; manchmal trug ich etwas flatterhaft Leichtes dabei und in greifbarer Nähe stand eine Glaskaraffe mit Sherry, die ich hätte werfen können. Ich entschied mich dagegen, weil ich meist ziemlich genau weiß, was ich tue. Das alles möchte ich jetzt nicht einfach flott unter den Orientteppich gekehrt haben, zumal nicht von naseweisen Leuten, die womöglich noch niemals in brennendem Zorn jemandem eine geschallert haben.
Unbedingt, na klar, möchte ich mich weit über Ohrfeigen hinaus engagieren. Neulich sah ich auf Arte die sehr intensive, gute Doku #Female Pleasure*. Fünf toughe Frauen aus den fünf Weltreligionen brechen Tabus und werden dafür verstoßen, öffentlich diffamiert und bedroht. Die Kamera fegte über die Kontinente, überall gab es noch mehr Leid – ich hielt bis zur Hälfte des Films durch, dann gab ich auf, die Geschichte wurde mir zu groß. Also, wir müssen uns aufteilen, meine Luder. Jede tue, was sie kann und meine Aufgabe kann vorläufig eben nur sein, in einem Zelt neben dem Schlachtfeld Süßkirschentee mit Sprühsahne und aufmunternde Worte anzubieten. Sobald ich wieder bei Kräften bin, nehme ich ein Schwert auf, ich schwör‘!
* noch bis 6. April auf arte.tv abrufbar