Das ZDF beschränkt den Zugang zur Reportage „Weiblich, Ü50, viele Liebhaber“ auf nach 22 Uhr. Eine Beschwerde
Dieser Text von Silke Burmester ist im Rahmen der Audiokolumne „Sexistische Kackscheiße“ Teil des Podcasts „Mikas Matrix„

Sandra sagt in dem Film den schönen Satz, für Männer sei „selbstbestimmt Sexualität zu leben, das ist völlig selbstverständlich. Und bei Frauen macht man einen Film drüber.“ Den man dann zugangsbeschränkt Foto: ZDF, Mathias Fiene
So, und nun ich. Und das sauer wie selten. Oder besser gesagt: endzeit-verärgert. Weiß noch jemand, was ´ne Moräne ist? Als Moräne bezeichnet man „die Gesamtheit des von einem Gletscher transportierten Materials, im Speziellen die Schuttablagerungen, die von Gletschern bei ihrer Bewegung mitbewegt werden“.
Ich bin so eine Moräne. Der Schutt, den ich mittrage, ist die Wut, ist der Groll über die Auswüchse von 5000 Jahren Patriarchat. Über seine Zwänge, seine Ängste. Und ich walze auf Mainz zu. Ich komme, um das ZDF unter mir zu begraben.
Der öffentlich-rechtliche Sender hat seit gut 30 Jahren die Reportagereihe „37 Grad“ im Programm, in der alle möglichen menschlichen Aspekte unserer Gesellschaft ausgeleuchtet werden. Eine neue, sehr gelungene Folge heißt „Weiblich, Ü50, viele Liebhaber“ und stellt drei Frauen vor, die sehr offen über ihr Sexleben sprechen. Darüber, dass sie ein Arrangement mit dem Ehemann haben, in den Swingerclub gehen und dort bitte mit möglichst vielen Männern an einem Abend vögeln. Davon, im Berührungskult des Tantra Erfüllung zu finden und aktuell zwei Liebhaber zu haben. Und davon, nach einem Leben als Frau ohne erkennbare Eigenschaften seinen Kink, den Körper in Szene zu setzen, in der sexpositiven Szene Berlins gefunden zu haben. Es sind Frauen, wie sie einem jeden Tag begegnen. Als Beamtin, als Sachbearbeiterin, als Hausfrau, als Ärztin. Keine ist über die Maßen attraktiv. Im Gegenteil. Hat man gedacht, für Sex infrage zu kommen, sei eine Frage des Äußeren – nö, das zeigt die Reportage, ist es nicht.
Der Film ist eine Wohltat. Eine Befreiung. Jede ältere Frau*, die auch nur annähernd Zweifel an ihrem Sexleben hat, oder die keines hat, sollte ihn sehen. Er kann das Leben verändern.
Warum also die Verärgerung?
Weil die Verantwortlichen beim ZDF beschlossen haben, dass der Film in der Mediathek erst ab 22 Uhr einsehbar ist. Jugendliche unter 16 Jahren sollen geschützt werden. Lustige Annahme, dass Jugendliche unter 16 Jahren, die es gewohnt sind, auf dem Schulhof Gangbang- und Hinrichtungsvideos anzuschauen, Interesse daran haben könnten, aus ihrer Perspektive steinalten Frauen zuzuhören, wenn sie über ihr Begehren REDEN.
Wie gesagt, sie reden. Es sind keine pornografischen Inhalte zu sehen. Kein nackter Busen. Nichts, das einem nicht täglich auf Bild.de entgegenkäme. ÄLTERE FRAUEN REDEN ÜBER IHR BEGEHREN. IHREN KÖRPER. IHRE LUST. Das reicht im Patriarchat, um Frauen hinter einer Zugangsbeschränkung verschwinden zu lassen.
Denn weibliche Lust macht vor allem eins: Männern Angst. Sie ist eine Urgewalt wie weibliche Wut. Es sind die zwei Zustände weiblichen Seins, die die Kraft haben, männliche Ordnung niederzuwalzen. Das gilt es zu verhindern. Mit allen Mitteln, die so ein Patriarchat hat. Den Mädchen etwa einzureden, Wut zieme sich für Mädchen nicht und später dann, indem man den erwachsenen Frauen vor 22 Uhr die Stimme abdreht.
Ich dachte, ich wollte vor lauter Wut das ZDF plattmachen. Jetzt denke ich: wie armselig. Wie klein und würstelig hier deutlich wird, wie wenig man sich Frauen* gewachsen fühlt. Welche enormen Ängste man im Jahr 2025 vor erwachsenen, selbstbewussten Frauen hat. Die Bedrohung scheint so groß, dass das Patriarchat zu paternalistischen Mitteln greift, um Kontrolle herzustellen und zu zeigen, wer das Sagen hat. Und wer festlegt, wie viel weibliche Lust erlaubt ist.
Ich glaube, ich walze das ZDF doch nieder!

