


„Hopsen sollten wir in jedem Fall, auch wenn wir Rücken haben oder ein kaputtes Beinchen oder Krebs oder Frühblüher-Allergie“ Sylvia Heinlein
„Ich entstamme“, schrieb meine Freundin Sylvia in einem ihrer ersten großen Magazintexte, „einer Familie starker, runder Frauen“. Diese Punktlandung einer Selbstbeschreibung ist der Einstieg in einen Bericht ihrer Reise nach Island 2010. Dort, wo nicht nur das Gestein derb und wuchtig ist, sondern sich auch die Vokale der Sprache wie hingeworfene Felsbrocken aneinanderreihen, gäbe es, so hatte ein nicht weiter benannter Island-Reisender ihr zugetragen, „nicht zu beschreibende“, „unbezwingbare“ Torten. Sylvia fährt in Gedenken der für sie sehr bedeutsamen Frauen ihrer Familie fort: „Seit Generationen backen wir Torten, immerzu, jeden Sonntag gibt es Torte, an Festtagen auch mal viele Torten und zwischendurch Pralinen und Süßigkeiten.“
Ich kenne das Zwischendurch. Ihre Liebe für Zucker in allen Formen. Zu jeder Tageszeit.
Am besten schon morgens. Ein Frühstück war dann gut, wenn es mit einem Marmeladenbrot begann. Im Bett. Nicht zu früh. Vielleicht um 11 Uhr. Wichtig: Das Marmeladenbrot brauchte Kaffee, die beiden ergänzten sich wie Fix und Foxi, Dick und Doof, Hanni und Nanni. Allein o.k., zu zweit unschlagbar. Wichtig auch, nicht für das Brot, sondern die, die es verspeisen wollte: Kissen. Ein ordentliches Frühstück im Bett benötigte Kissen. Viele. Die Dame von Welt und Marmelade wollte es gemütlich haben und folgte einem Satz, den auch wir Freundinnen und Freunde zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit hörten, „viel hilft viel“.
Und weil der Mensch sich nicht vom Brot allein ernährt, gehörte zur Vollkommenheit eines solchen Morgens eine Zeitung. Die Welt wollte in ihrer Vielfalt und Entwicklung eingefangen und absorbiert werden. Kluge Gedanken als Grundlage für den Tag. Dafür eignete sich „Die Zeit“ bestens. Nicht nur, weil immer genug drinstand, um sieben Tage die Woche lang genug frühstücken zu können, sondern auch, weil sie groß genug war, die Kaffeeflecken auf den Laken zu überdecken. Wer will schon Patzer beim Frühstück?
Die Sinnlichkeit des Süßen, das Versprechen von Trost und Nahrung sprang einem schon beim Telefonklingeln entgegen, sie hatte das Foto eines Marmeladenbrotes im Gras ihres Gartens als Profilbild gewählt, aber ich kann mich nicht erinnern, auch nur einen selbstgebackenen Kuchen von ihr gegessen zu haben, geschweige denn eine Torte. Es gab traditionell zu ihrem Geburtstag einen Tag vor Weihnachten Tomatensuppe und Tom Kha Gai, Kartoffelsalat, Würstchen, diverse Käse, Tomate-Mozzarella und irgendwas mit Fisch. Und sicherlich wird auch Kuchen das Buffet versüßt haben. Aber Torte?
Und doch: Liebe, Zuneigung, Sympathie wurde von Sylvia durch die Weitergabe von Zucker ausgedrückt. Wichtig dabei: Verweigerung kam nicht infrage. Zuneigung war entgegenzunehmen, und nicht selten hängte sie mit unschuldiger Mine ein Machtspiel daran. Sie wusste genau, was sie tat, als sie meinem Sohn, als er noch klein war, Süßigkeiten in einer Menge mitbrachte, wie sie bei uns für Monate vorgesehen war. Groß hatte sie „Von der Königin der Süßigkeiten“ auf ein Schild geschrieben, das sie an das Geschenk gehängt hatte, und sich mit einer Krone auf dem Kopf daneben gezeichnet. Mit diesem Absender versehen war von nun an jeder Einspruch von mir hinfällig. Sie war die Königin, sie gab, sie teilte und herrschte, gegen ihr Wort war jeder Widerspruch vergebens. Es war Teil ihres Spiels, das sie aber nie so wahrnahm. Ihr ging es ums Geben. Sie liebte, also gab sie. Dazu gehörte, dass das Gegenüber ein wenig litt. Ein wenig so wie die Tante, die einen beseelt herzt und drückt, deren Küsse aber fies nass sind.
Ein Besuch bei ihr war für mich mit der Überlegung verknüpft, ob mein Magen bereit war. Allzu satt in ihrem in einer Schrebergartenanlage am Rande des Flughafens gelegenen Hexenhäuschen anzukommen, war keine gute Idee. Denn Ruhe gab es erst, wenn der oder die für die Liebe Auserkorene gegessen hatte, was für ihn oder sie vorgesehen war. Was auch ein Käsebrot sein konnte oder saure Gurken. Wobei klar war, es waren nicht irgendwelche sauren Gurken, sondern DIE sauren Gurken. Aus dem einem sehr speziellen Gurkenfass, das man nur an diesem einen Ort der Welt zusammenzimmern würde, seit Jahrhunderten schon, denn nur dort gäbe es dieses ganz besondere Holz, das seit noch mehr Jahrhunderten in den Tiefen des Spreewaldes oder der dänischen Moore vor sich hin lagerte, um diesen einen Geschmack anzunehmen, der die Gurken kennzeichnete. Wobei die gleiche Geschichte auch für Kühne-Gurken greifen würde. Dann nur wäre es nicht die Tiefe der Landschaft, sondern das Hanseatische am Gurkenfass. So ein Gurkenfass wie von Kühne, das muss man erstmal machen. Das kann nicht jeder. Das ist nur in Hamburg möglich. Wegen der Luft.
Kennengelernt haben Sylvia und ich uns Anfang der 2000er bei einem Internet-Projekt. Eine – unter kapitalistischen Aspekten betrachtet – gute Idee, zu einem falschen Zeitpunkt. Das Internet begann sich von der Möglichkeit, Gedanken zu vermitteln, ins Geschäftliche zu entwickeln und der Otto Versand und der Axel Springer Konzern hatten die Idee eines Frauenmagazins, das es ermöglichen sollte, die Produkte, von denen man las, zu bestellen. Sehr neues Zeug und so wenig erprobt, dass es niemand als Problem begriff, eine völlig Internet-ferne, feuilletonistisch verstrahlte, planlose Journalistin als Redaktionsleiterin auszusuchen und ihr lauter Frauen wie Sylvia und mich an die Hand zu geben, die zwar weniger verpeilt, aber ebenso ahnungslos waren. Begleitet wurden wir von einem Haufen hoch ambitionierter und ebenso selbstverliebter BWL-Hoschis, die, u.a. mit schwerem deutschen Namen und ebensolcher Tradition im Rücken, mit so dicker Hose durch die Flure liefen, dass der Saft irgendwo hinmusste und – zumindest in einem Fall – zur Zeugung eines Kindes führte, das nie geboren wurde. In diesem völlig kompasslosen Durcheinander traf ich Sylvia. Und mit Sylvia noch zwei, drei andere Frauen, mit denen Kontakte geblieben sind bzw. eine weitere große, lebensentscheidende Freundschaft entstanden ist.
Die durch professionelle Ahnungslosigkeit charakterisierte Unternehmung hatte eine schräge Mischung interessanter Frauen zusammengeworfen, und mit Sylvia traf ich auf eine Frau, die die Lücken zwischen ihren Arbeitsaufträgen nutzte, um einen Ferrari für ihren Freund zu organisieren. Ihr Freund, Partner, keine Ahnung, als was sie Manfred damals bezeichnete, würde in wenigen Wochen 40 werden, und sein großer Wunsch war ein Ferrari. Also telefonierte Frau Heinlein die Autovermieter ab, um für den großen Tag so eine rote Wunderkarre zu beschaffen.
So etwas kannte ich nicht. Frauen, die alles dafür tun, ihrem Kerl den Traum von lautem Brumm-Brumm zu erfüllen, die Hunderte von Euros ausgeben, damit er in dem GELIEHENEN Ding auf dicke Hose machen könne. Mir waren Frauen, die solche Männer ernst nehmen, fremd. Und auch Frauen, die an der Seite eines solchen Mannes gesehen werden möchten.
Also staunte ich Sylvia an. Diese große Person mit dem krachenden Lachen und den ebenso krachenden Haaren. Haare wie eine ausklingende Explosion. Beides umschloss diese Erscheinung wie Donnerhall. Dazu eine Freude, Menschen zu beobachten und aus den Beobachtungen kleine Geschichten zu spinnen, während sie ihre Zigarette anzustecken versuchte, ohne dass ihr die Haare dazwischenkamen. Ihre Geschichten, die von ganz unglaublichen Begebenheiten zu handeln vorgaben, von wahrlichen Mirakeln, von Unfassbarem, aber im Kern völlig alltägliche Dinge benannten, die unter den Augen einer großen, fabulösen Geschichtenerzählerin zu neuem, bunt schillerndem Leben erwachten.
Ich nehme an, dass es all das gewesen sein wird, das ich später so geliebt habe, das mich dazu brachte, mit dieser Frau zu tun haben zu wollen. OBWOHL sie einen – in meinen Augen – so leicht zu durchschauenden Mann an ihrer Seite hatte. Und ihn toll fand. Sie war in allem so unglaublich. So unglaublich lustig. So unglaublich schräg. Fordernd. Laut. So unglaublich originell. So unglaublich geistreich in ihrer Sprache. Es ist noch nicht lang her, da schickte sie mir eine Nachricht, in der sie das Verhalten von jemandem als „nicht manierlich“ bezeichnete. „Nicht manierlich.“ In einer Zeit, in der Menschen zum Teil nicht mehr mit Messer und Gabel essen können, weil sie nur Fastfood kennen, in der normal ist, dass Bräute in ihren weißen Hochzeitskleidern vor dem Altar aussehen wie beim Porno-Dreh auf Ibiza, benützt Frau Heinlein das Wort „manierlich“. Und meint es ernst.
Sylvia hatte die Gabe, aus einem Wortschatz, der so viele schöne Blüten konservierte wie ihr Garten wild war, feine Gewebe zu erschaffen. Bild- und witzgewaltige Welten von feiner Poesie und krachender Pointen, die aber nie laut explodierten, sondern stets im vornehmen Peng einer Damenpistole ihre Wirkung verbreiteten. Dabei war ihre Sprache, geschrieben oder gesprochen, nie ordinär. Nie brutal oder vulgär. Sondern von feinem Schliff. Und musste ein Wort wie „Schwanz“ ausgesprochen oder aufgeschrieben werden, dann weil es das richtige Wort zur richtigen Zeit war. Gepaart mit der elaborierten Haltung, mit der in den 60er Jahren das Zeit-Feuilleton ein Meisterwerk des Biedermeiers besprochen haben wird, erwuchsen ihre Betrachtungen zu stilistischen Meisterwerken. Meisterwerken weiblicher Weltbetrachtung, festgehalten von einer Frau, die in einer Sphäre, in der Menschen ihre im Wald gefundenen Stöcke im Internet präsentieren, ebenso zuhause war wie in der einer Grande Dame, die im Dunst einer nächtlichen Zigarette vergangene Noblesse herbeiqualmt.
Überhaupt, die Arbeit. Denke ich an die fünfundzwanzig Jahre unserer Freundschaft, liegt die Erinnerung an die heiße Phase unseres Arbeitslebens wie das süßeste Stück Kuchen dar. Es war die Zeit nach dem unsäglichen Internetdings, das ich nach drei Monaten verließ, Sylvia aber ein paar Monate länger aushielt. Es war die Zeit, als wir beide mit unserem Schreiben sehr erfolgreich wurden. Sie als Kinderbuchautorin, ich als Frau für Allerlei. Später stieg auch sie ins Allerlei-Business ein, hauptsächlich für die Brigitte.
Während mein Schreibprozess ein Herauspurzeln fertiger Teile ist und dem Prozess einer Popcornmaschine gleicht, lagen Sylvias Ideen und Gedanken wie kleine Fundstücke vor ihr, die unter einer durch den Genuss von sehr vielen Zigaretten in der Zeit gedehnten Betrachtung sortiert und zurechtgerückt wurden. Behutsam spann sie das Netz ihrer Erzählung, der Verbindung, und schliff und feilte. Gern abends, später dann nachts. Ihr Schreibprozess folgt den Regeln der Kunst, nicht des Kapitalismus. Wer zweimal mit ihr gearbeitet hatte, wusste, ein Text von Sylvia Heinlein ist immer das Abgabedatum plus.
Trotz dieser Unterschiedlichkeit verband uns das große Fragezeichen, vor dem man als Auftragsschreiberin oft steht. Wenn die Redaktion etwa eine Idee hatte, eine ganz tolle Idee natürlich, und man sich dachte: „Ähm, tja.“. Oder wenn man sich nicht mehr erinnern konnte, was die Redakteurin gesagt hatte, was das Tolle an dem Thema war, was neu war, was es rauszuarbeiten gab. Oder man selbst ein Thema vorgeschlagen hatte, bei dem man nun nicht mehr wusste, was man sich dabei gedacht hatte. Sylvia hatte für die Brigitte so Sachen wie „Nachsicht“ am Wickel, „Faule Kompromisse“, „Treue“, ich für die breite Palette meiner Auftraggeber kalt geschriebene Starportraits, den ersten deutschen Fischbrötchen-Wettbewerb und eine Analyse des bayerischen Fernsehprogramms.
Die schlimmste Grundlage fürs Schreiben ist, die eine Reportage, für die man unterwegs gewesen war, zu lang liegen gelassen zu haben und vor den – eventuell auch noch spärlichen – Aufzeichnungen zu sitzen und kein Gefühl mehr für die Geschichte zu haben. Und womöglich auch nur noch sehr magere Erinnerungen. Dann riefen wir einander an. Wobei, wir riefen einander eh ständig an, fragten, was die andere mache. „Und, woran sitzt Du?“, würde ich gesagt haben. Und sie geantwortet, „an einem Text über Treue.“ „Ha ha ha!“, wäre meine Antwort gewesen, „da schreibt ja die Richtige!“. Und meinte das ernst, denn Sylvia hatte in Anbetracht einer etwas schwierigen Beziehung das Buch „Der Casanova in meinem Bett“ geschrieben. „Und was soll da drinstehen, in Deinem Text?“ „Naja,“ würde sie geantwortet haben, „dass das so eine Sache ist mit der Treue.“ Und weil bei mir die Popcorn-Maschine sofort angesprungen ist, würde ich ungefiltert losplatzen: „Das mit der Treue ist doch heute vollkommener Quatsch. Die muss man doch heute ganz anders bewerten. Jetzt, wo wir nicht mehr mit 35 an Altersschwäche sterben, ist doch dieses ‚für immer‘ totaler Blödsinn! Wer heiratet denn mit 28 und findet sein Gegenüber mit 58 immer noch toll? Dieses ganze Ehe-Ding ist doch total aus der Zeit gefallen. Ich kenne so viele Frauen, die nach gängigem Dafürhalten ihren Mann betrügen, dabei halten sie mit ihren Affären die Beziehung aufrecht!“ „Ja, ja!“, würde Sylvia dann gesagt haben, nachdem ich Minuten später zur Ruhe gekommen bin, „so kann man das sehen. Man kann das aber auch ganz anders betrachten.“ Und nun würde eine dieser sehr, sehr lustigen Sylvia-Betrachtungen folgen und wir beide würden mit unseren Telefonen am Boden liegen.
Umgekehrt kam es häufig vor, dass ich sie anrief und sagte: „Hör mal, ich muss einen Text über dies und das schreiben. Und ich häng‘ total an dem Punkt so und so. Fällt Dir was ein?“ Jetzt würde Sylvia zu popcornen beginnen und mittendrin wäre das dabei, was ich brauchte. Die Idee. Der Gedanke. Der Rubin. Und dann war es total o.k., auszurufen: „Das ist es! Ich hab´s! Ich weiß jetzt! Danke, danke, danke! Ich melde mich später!“, ohne weitere Erklärung aufzulegen und den Artikel weiterzuschreiben. Stunden später würde ich sie dann angerufen haben und erklärt, was an ihren Ausführungen das Entscheidende gewesen war.
Dieses Miteinander der Befruchtung ging über Jahre. Es hat in meiner Erinnerung einen goldenen Glow. Es ist warm, sonnig und satt.
Mit ihrer Erkrankung wurde das Schreiben weniger. Der blöde Krebs fraß viel Energie und Zeit und nahm die Leichtigkeit, die auch eine Sylvia brauchte, um diese oszillierenden Texte zu fabrizieren, die schillernd die Luft durchschweben, um mit einer ihrer lustigen Brachialitäten zum Platzen gebracht zu werden.
Ihre Begeisterung für Stöcker zum Beispiel, die sie in einer ihrer zahlreichen durchwachten Nächte entwickelte, als sie im Internet die Community derer entdeckte, die sich gegenseitig ihre in der Natur gefundenen Äste und Zweige zeigen. Ihre Liebe zu Steinen, ihrem Schwimmen in eiskaltem Wasser.
Ich weiß nicht mehr, wann ihre Leidenschaft fürs Eisbaden losging, aber ich bin sicher, dass ihr dieses Baden in Gewässern, die so kalt sind, dass es schmerzt, Jahre geschenkt haben. Mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, kann die Kälte das Wachstum von Krebszellen aufhalten, und so wie sie kein Medikament ausgelassen hat, wird ihr Drang, in jedes bereitstehende Wasser zu steigen, lebensverlängernd gewesen sein. Ihrer Freundin Bettina gilt an dieser Stelle inniger Dank, denn sie war es, die über Jahre Mittwoch für Mittwoch diesen Gang ins kalte Wasser mit Sylvia durchzog. Die mit ihr an die entlegensten Stellen fuhr und mit Mütze und Handschuhen ins Wasser ging. Hauptsache kalt. Es gibt wunderbare Fotos, in denen Sylvia im Badeanzug Platten gefrorenen Wassers lachend in die Kamera hält, auf denen die beiden Frauen unter Wollmützen in die Kamera grinsen.
Überhaupt, das Schwimmen auf Fotos. Mein Freundin Eva hat Sylvia auf verschiedenen Reportagereisen als Fotografin begleitet. Wir haben die Bilder dieser Tage angeguckt. Egal wo und was das Thema der Reportage war, ständig sind Fotos von Sylvia im Wasser darunter. Im Pool. Im Bach. Unter einem Wasserfall.
Sylvia und mich verband eine tiefe Liebe für den Hafen, die Elbe, die Sehnsucht und Poesie, die mit und über das Wasser fließt. Wir schickten uns Fotos, wenn eine von uns dort war. Ab und zu fuhren wir gemeinsam hin. Weil sie weit weg und ich näher dran wohnte, bestand sie drauf, mich mit dem Auto abzuholen. Ich vermied es, so gut es ging, sie fuhr wie eine gesengte Sau. Nicht aus Unvermögen, sondern weil sie so viel zu erzählen hatte. Da übersah man schon mal eine Ampel oder kam erst wenige Zentimeter hinter dem vorderen Wagen an der Ampel zum Stehen.
Im Sommer gingen wir miteinander ins Schwimmbad. Nicht oft, aber gern. Am liebsten in Kiwittsmoor, einem Naturbad in ihrer Nähe. Wenn man mit Sylvia Schwimmen ging, hatte sie dabei, was so ein Tag am Wasser braucht: Kissen. „Man kann nicht am Wasser liegen und kein Kissen dabeihaben!“ war so ein Sylvia-Satz, mit dem sie sagte, wo es langging. Tatsächlich habe ich seither immer ein Kissen dabei, wenn ich schwimmen gehe. Ich werde es jetzt „das Sylvia-Erinnerungskissen“ nennen.
Wenn ich mich recht erinnere, ging es mit dem Eisbaden los, nachdem sie sich ein Planschbecken in den Garten gestellt hatte. Durch die Krebsbehandlung in die Wechseljahre katapultiert, beantwortete Sylvia die aufwallende Hitze durch das Bestellen eines einigermaßen großen aufblasbaren Beckens, das von nun an zu jeder Jahreszeit gefüllt in ihrem Garten stand. Man konnte an der Farbe des Wassers und dem Aufkommen von Blättern und braungrünem Schleim den Verlauf der Jahreszeiten beobachten, denn seit seinem Kauf wohnte es quasi in ihrem Garten. Nachdem das Becken dem Bewegungsdrang nicht mehr genügen konnte, begann sie auch winters in die Elbe zu steigen, und der blau-weiße Pool verlor an Bedeutung.
Sicherlich hat ihre Erkrankung einen gehörigen Anteil daran, dass Sylvias Nähe zur Natur zunahm. Dass sie Flucht- und Ruhepunkt wurde und Sylvia weniger im Getümmel von Ausstellungen, Partys und skandinavischen Weihnachtsmärkten ihr Glück fand, sondern in der Betrachtung von Steinen und Wasser. Und doch WAR sie von Anbeginn an „ihr Garten“. Ihr Garten und die Art, wie sie lebte, am Rande eines Schrebergartenareals, in einem der zwei Häuser, in denen das Wohnen erlaubt war, war nicht nur einer Autorin wahrlich famoser Kinderbücher würdig. Es machte sie und ihre Bücher zu einem Gesamtkunstwerk.
Ich denke, wenn man Kinder fragen würde, wie stellst Du Dir eine Frau vor, bei der die Erde bebt, wenn sie lacht, die die wildesten Haare hat und die Bücher für Dich schreibt, die voll von Abenteuern und lustigen Begebenheiten sind, in der die Erwachsenen doof sind, wie Erwachsene eben doof sind, die Kinder aber hinter Schränken und in Gärten tolle Abenteuer erleben, sich zusammentun und mutig sind und dabei alles ein wenig verrückt und ulkig ist – die Kinder würden Sylvia beschreiben. Eine Frau, die in einem schrumpeligen Hexenhaus lebt, das vom Efeu zusammengehalten wird, das in einem wilden Garten steht, der immer dann, wenn man denkt, er endet, noch ein Stückchen weitergeht. In dem Johannisbeeren und Stachelbeeren wachsen und Äpfel, deren Bäume so alt sind, dass die grünen Früchte nur noch klein heranreifen. Ein Garten mit zu langem Gras und Büschen, deren Zweige die kleinen Wege verschließen. Dazu Rosen und wild wachsender Baldrian, wie man sie sich für Dornröschen vorstellen würde. Dazwischen, unter einem der Apfelbäume, ein Bild wie aus einem Interieurmagazin: ein langer Holztisch unter den Laternen, die an den Ästen hängen, dekoriert mit Windlichtern und Steinen, mit zwei, drei Stühlen neben den beiden Liegen, die winters wie sommers bereitstehen.
Bevor die Krankheit richtig fies wurde, kannte Sylvia kein „kalt“. Sie war in kurzen Hosen oder barfuß in ihrem Garten unterwegs, wenn ich sie in Winterkleidung besuchen kam, und stapfte unerschrocken los, um irgendein Sträuchlein zu finden, das ich zuhause in meine Vase stellen könnte. Entsprechend waren ihre Hände Gartenhände. Von Natur aus groß und etwas grob, sahen sie mit den kurzen Nägeln immer aus, als hätte Sylvia gerade einen Strauch rausgerissen oder den Zaun repariert. Was sie regelmäßig tat. Irgendwann war sie darauf gekommen, den rostigen Zaun, der ihr Grundstück zum Bürgersteig abgrenzte, durch eine Art Geflecht aus Zweigen aus ihrem Garten zu ersetzen. Auch das war Sylvia: Feine Handarbeiten für die Dame wurde durch Handwerk für Frauen ersetzt.
Zu den Händen passten die Füße. Große, ausladende Füße, die aussahen, wie sie nur bei Menschen aussehen, die die Hälfte des Jahres barfuß im Garten unterwegs sind. Es waren Füße wie vom Räuber Hotzenplotz. Starke, raumgreifende, flach-breite Abenteuerfüße. Füße einer Unerschrockenen. Dazu das Lachen, das die Regenwürmer aus der Erde trieb – eine Frau wie aus einem Buch.
Wenn Sylvia auf Männer traf, hielt ich mich fern. Sie war eine große Frau, die mit ihrer wallenden Mähne und der hellen Haut die Schönheit eines romantischen Engels verkörpern konnte. Einer Nixe oder Elfe. Oder die als Femme Fatale ihre Opfer in ihr Netz lockte. Als solche war sie unterwegs, wenn wir zu Ausstellungseröffnungen gingen oder Partys. Selbst bei eisigen Temperaturen tief dekolletiert, dezent geschminkt, die Haare im Zustand ausladenden Versprechens, stand diese im wahrsten Sinne des Wortes „gestandene“ Frau dem Objekt ihres Flirtdrangs gegenüber und tat das: „Nein!“, „Das glaub‘ ich nicht!“, „Wirklich?!!“, „Verrückt!!!“. Sie ließ die Männer von ihren Abenteuern erzählen, riss die Augen auf und antwortete mit Staunen. Bewunderung. Mit „Das gibt´s doch nicht!“, dann dröhnte Gelächter. Etwas weiter fortgetrunken bewegte sie die Hand, in der sie Glas, Zigarette oder beides hielt, beim Sprechen auf die Brust des Mannes zu. Sie berührte sie nicht, aber sie drang in seinen Herzradius ein.
Mir war das zu doof. Ich hielt es nicht aus. „Nein!“, „Echt!“, „Das gibt´s doch gar nicht!“, wenn die blödsten Typen das blödste Zeug erzählten. Sie liebte dieses Spiel. Überhaupt liebte sie das Mann-Frau-Ding. Sie hatte viel weniger Schwierigkeiten damit als ich. Sie war durchaus emanzipiert, nicht aber feministisch in dem Sinne, dass sie die Verhältnisse im Kern und in aller Konsequenz infrage stellte. Vieles war für sie schon o.k. zwischen Männern und Frauen. Männer mussten stark und Frauen verführerisch sein. An irgendeinem Punkt machte sie eine grundsätzliche Überlegenheit der Frauen aus, die eine Art Ausgleich schaffte für die Unausgewogenheit des Standes der Geschlechter in der Welt. Männliche Männer waren ihr Ding, ob mit oder ohne Ferrari.
Mit Manfred starb eine große, wenn auch anstrengende Liebe, und die Grube, die sich mit seinem Tod auftat, konnte Sylvia erst nach zwei Jahren langsam verlassen. Kurz danach kam ihr eigener Krebs um die Ecke und Frau Heinlein, fest entschlossen, ihm nicht viel mehr als diese Ecke in ihrem Leben einzuräumen, fasste einen Plan. Ich weiß noch genau, als sie mir mitteilte, sie habe sich etwas überlegt. Es wäre ja klar, sagte sie, dass es noch recht lang dauern würde, bis ein Mann käme, der Manfreds Position einnehmen könne. Der mit ihr durchs Leben ginge und die breite Schulter bot, die sie so stark ersehnte. Bis dahin könne und wolle sie nicht warten. Weder obenrum noch unten. Und nun hatte sie eine Lösung gefunden. „Ein Ü-Mann! Ein Mann für die Übergangszeit!“ Sie habe beschlossen, erzählte sie, einen Mann, vor allem für untenrum, in ihr Leben zu lassen. Bis der Richtige da wäre. Ein Ü-Mann eben.
Ich weiß nicht mehr, ob zu diesem Zeitpunkt der Ü-Mann schon am Start war oder ob er noch gefunden werden musste, jedenfalls war für viele Jahre von nun an „der Ü-Mann“ fester loser Bestandteil ihres Lebens. Später machte der, auf den die Wahl gefallen war, eine Umschulung zum Lokomotivführer. Lange blieb es beim „Ü-Mann“, erst vor kurzer Zeit wurde sein Name gewechselt. Nun hieß er „Loki“.
Sylvia hat für Palais F*luxx nicht nur eine wunderbare Kolumne über ihr Leben geschrieben, sie hat auch drei Texte verfasst, in denen sie das schwierige Verhältnis zu ihrem Vater einzufangen versuchte. Ein Mann, der – warum auch immer – den holprigen Weg gewählt hat, ein grantiger, unfreundlicher Mensch zu sein. Vor allem seiner Tochter gegenüber. Als Sylvia jetzt starb und sich über Tage hinweg die engsten Freundinnen und Freunde im Krankenhaus versammelten, um sie zu begleiten, war auch der Mann ununterbrochen an ihrer Seite, der sich aus der Situation des Übergangs zu einer verlässlichen Größe in ihrem Leben entwickelt hatte. Es kam zu der Situation, dass der 92-jährige Herr Heinlein, auf seinen Stock gestützt, ins Krankenzimmer kam. Wir begrüßten ihn nacheinander. Dann stand er dem Mann mit dem unklaren Status gegenüber und sagte in wohlmeinendem Ton: „Sie sind der Lokomotivführer?“
Mir hat dieser Moment des Schrägen sehr gefallen. Eine pragmatische, am sexuellen Begehren orientierte Lösung, die sich über Jahre als tragfähig erweist, die aber nie einen richtigen Namen bekommt, und am Ende alle Akzeptanz. „Sie sind der Lokomotivführer?“
Die vielen Jahre mit Sylvias Krankheit waren davon geprägt, dem Krebs das Leben entgegenzustellen. Sylvia ließ sich nicht nehmen, was das Leben ausmacht. Die Freude, das Staunen, das in-die-Vollen-Langen, den Genuss. Aber natürlich gab es Momente, in denen alles zusammenbrach und die pure Trauer über den nahenden Verlust des Lebens sich zeigte. Manchmal mussten die Panik und die Angst medikamentös eingefangen werden. Aber es gab auch diese Situationen, die es erlaubten, dem so Besonderen Raum zu geben und zu sagen, Sylvia, guck Dir doch Deine Situation mal an! Du hast seit Jahren Krebs. Andere, bei denen er zeitgleich gekommen ist, leben schon nicht mehr. Du lebst immer noch! Und ja, Du hast keine Haare mehr, aber Du hast immer noch Sex. Zeig mir mal die Frau in unserem Alter, die so viel Sex hat wie Du! Und das nicht nur mit einem Mann, dem Ü-Mann, nein, seit 15 Jahren ist da außerdem dieser ominöse Kerl, den keiner von uns Freundinnen kennt, der aber treu an Deiner Seite bleibt und mit Dir vögelt, wenn Du willst!“ Und dann überlegte sie kurz, sagte, da hätte ich eigentlich Recht, und wir hatten schön was zu lachen.
Und ja, es stimmt. Ich kenne keine Frau in unserem Alter, von der ich weiß, dass sie so ein aktives Sexleben hat. Chemo, Eisbaden und Geschlechtsverkehr – wahrscheinlich war das das Rezept, über acht Jahre der scheiß Krankheit zu trotzen.
Wenn man verstehen will, was an Sylvia das Besondere war oder wenn es darum geht, den Geist dieser Frau, ihren Witz, ihre Feinheit, die Raffinesse ihrer Sprache, ihrer Gedanken wieder lebendig werden zu lassen, wenn man sie nochmal mit all diesem Irrsinn, dem Vielen, dem Wilden spüren will, muss man ihre Kinderbücher lesen. In ihnen ist alles drin.
Sie leben von der Wahrnehmung der Kinder, von ihrem Blick auf diese Welt. Von ihrem Staunen, ihrer Neugier, ihrem wahrheitsforschenden Blick, ihrer vorurteilsfreien Naivität. Ihrer charmant simplen Sprache.
Ich weiß, dass ihr Sohn Berry ihr viele Vorlagen für die Figuren und Handlungen geliefert hat, am deutlichsten in „Mission Unterhose“. Dass eine Kinderbuchautorin sich an ihrem Kind orientiert, ist nicht verwunderlich. Aber ich habe mich oft gefragt, wie es wohl für Berry gewesen sein mag, diese mitunter so verwunschene Mutter gehabt zu haben. Eine Frau, die ihre Liebe über Großzügigkeit ausdrückt. Die als „Königin der Süßigkeiten“ das bunteste, fieseste Zuckerzeug in Mengen im Schrank hatte, die es bei uns nicht mal an Weihnachten gab. Die immer eine gute Erklärung fand, warum Berry Dinge nicht machen musste, die Spülmaschine ausräumen etwa. Die mit ihrem Zehnjährigen die Animationsfilme dieser Welt guckte und anschließend stundenlang besprach. Die mich schalt, ich sei zu streng, „zu unlocker“, weil ich aus Eigeninteresse dafür sorgte, dass mein Sohn früh im Bett war und außer für die Sesamstraße der Kasten ausblieb. Ich weiß nicht, ob sie Berry gegenüber jemals „nein!“ gesagt hat. Ob sie wütend wurde oder ihn angeschrien hat. Keine Ahnung, wie sie Grenzen gesetzt hat und ob es überhaupt welche gab. Wenn ich die beiden im Erwachsenenalter miteinander erlebt habe, hat mich jedes Mal die Ebene verzückt, die Mutter und Sohn miteinander hatten und auf der es immer noch wichtig war, sich über den Inhalt von Abenteuer- und Fantasieserien auszutauschen. Über Geschichten.
Sylvia hat mir vor ein paar Jahren einen Film geschickt, in dem eine Filmstudentin ihren Neffen fragt, wovon ihr Abschlussfilm handeln soll. Und seine Antwort Wort für Wort umsetzt. Von der Farbe, die Wörter haben sollen, über die onomatopoetische Umsetzung der Handlung bis hin zu der Frage, wie man Ängste vertreibt (durch Essen).
Dieser kleine Film, den sie mit den Worten schickte: „Bitte: guck und bleib dran, nicht gleich abschalten, es kommt eine Botschaft!“, sei, so schrieb sie weiter, ihr Lieblingsfilm. Wer sie kennt, wird sofort wissen, warum. Alle anderen werden eine Ahnung bekommen und verstehen, warum sie auch als Erwachsene so viel staunen konnte. Weshalb das Zusammensein mit ihr, oder auch nur ein Telefonat, so lustig war. So belebend. Es war Tanken für den Geist. Sie paarte ihre gebildete, studierte, belesene, gut informierte Erwachsenen-Sicht mit der fragenden, ungetrübten eines Kindes. Es brachte Blüten hervor wie sie sie in ihrer grandiosen Kolumne „Na fein!“ auf Palais F*luxx veröffentlichte: „Neulich nun, als ich kurz vor Mitternacht durch den Supermarkt hastete, um das gewohnte Zeugs zusammenzuraffen, kam mir ein Aktions-Regal mit weißem Klopapier in die Quere. Frontal auf der Umhüllungsfolie ein einziges Wort: ‚Traumweich.‘ Seitlich unter dem Markennamen die zurückhaltende Information: ‚wohlfühlen seit 1928.‘ Eine kleine Weile zitterte ich wie ein hungriges Frettchen, dann schlug ich zu.“
Oder: „Kommen wir zu Abenteuern. Sie lauern immer und überall. Mein aufregendstes und gefährlichstes Erlebnis in diesem jungen Jahr: Ich verließ das Sprechzimmer eines feschen Arztes, auf dem Weg zur Tür nestelte ich an meinem Trenchcoat-Gürtel herum. Er war aus seiner hochspeziell designten, tunnelartigen Schlaufe gerutscht und so viel war klar: dorthin zurück bekomme ich ihn in diesem Leben nicht mehr. Der Arzt trat dicht neben mich und sagte, was ich mein Leben lang nur aus Filmen kannte: „Lassen Sie mich durch. Ich bin Arzt!“ Dann führte er den Gürtel mit Chirurgen-Geschick an seinen Platz – es war ein schöner, kleiner Moment und wenn ich es recht erinnere, stiegen wir danach in einen Hubschrauber und flogen auf eine Palmeninsel.“
Mich hat oft angestrengt, dass bei Sylvia immer alles so groß und so absolut war. Ich musste mich immer fragen, wie viel Prozent an Aufblasen, Übertreibung und Schönfärberei ich abziehen musste, um den Informationskern richtig einordnen zu können. Mich nervte, dass sie nicht sagen konnte: „A + B = C.“ Sondern dafür einen Ritt durch sonstwelche Welten absolvierte. Ich meckerte meiner Freundin Eva gegenüber: „Immer ist alles eine Geschichte!“, und dann dachte ich, „ja, weil sie eine Geschichtenerzählerin ist.“. Ich begriff: Es ist ihr Wesen. Das hat mich entspannt. Ich musste mich weniger reiben.
Ich hätte das früher verstehen können. In ihrer Mailsignatur steht unter „Sylvia Heinlein“ „GUTE GESCHICHTEN“. In Großbuchstaben.
Sind Menschen ersetzbar? Nein. Sind alle eigen, besonders, unwiderbringlich? Ja.
Aber auch ja: manche sind besonderer. Eigener. Schräger. Verrückter. Lustiger. Bekloppter. Überraschender. Anstrengender. Origineller.
Meine Freundin Sylvia war die originellste, schrägste, lustigste, eigenste und anstrengendste Freundin, die je einen Fuß in mein Leben gesetzt hat. Und wenn sie jetzt geht, dann klafft eine Lücke, als wenn ein Garten einen Busch verliert. Dort, wo eben noch das volle Grün satt gemacht hat, ist nun einfach nur Nichts. Ein Raum ohne Materie, ohne Gegenüber. Etwas, durch das der Wind hindurchpfeift und welkes Laub herüberträgt. Es entsteht eine Weite, wo keine sein sollte. Ein Nichts, dass das Auge, den Blick nicht aufhalten und nicht fesseln kann. Ein Loch, das immer ein Loch bleiben wird und das allenfalls mit den Jahren etwas kleiner wird, weil das Leben links und rechts sich langsam ausbreitet, heranwächst und die Lücke kleiner werden lässt.
Aber das Kahle, das Bloße, das wird nicht weggehen, damit werde ich leben müssen wie mit kreisrundem Haarausfall oder einem abben Arm. Ab und zu werde ich es mit Erinnerungen füllen können, mit dem Vielen, das diese Frau mir hinterlassen hat. Mit ihrer Stimme, ihrem Lachen, der Wucht ihres Auftritts. Mit ihren Sylvia-Ausrufen, die, von ihr in die Atmosphäre geschickt, die Luft füllten. Ich werde sie bewahren und wann immer es geht, in die Welt rufen. „HERRLICH!“, „MANN, MANN, MANN!“, „SO!“.
Und ich hoffe, dass mir der Ton ihrer Stimme im Ohr erhalten bleibt, denn ich kann mir nicht vorstellen, ohne Sylvia zu sein.



Die drei Texte über sich und ihren Vater erschienen unter dem Titel „In der Schwebe“ und sind hier zu lesen
Ihre Kolumne „Na fein!“ ist hier zu finden
Der wunderbare Film der Filmemacherin Bianca Giaeva ist hier anzusehen










Hier geht es zu Sylvias wunderbarem Text „Der stille Charme der Zigarette in der Nacht“
Foto 2, 3, 6, 8, 11, 13, 14 und 16 wurden von Eva Häberle aufgenommen, die anderen sind von Sylvias Insta Accounts „Madame in Nature“ und sy.hamburg