Buchbesprechung: „Räume des Lichts“
Worum geht es?
Eine namenlos bleibende Japanerin erzählt eine zahlenlos bleibende Geschichte: Von ihrem Mann verlassen, versucht sie, alleinerziehend, ihr Straucheln in den Griff zu bekommen. Und einen Rhythmus zu finden, in einem Leben, dessen Entwurf sie nicht gewählt hat.
Was kann das Buch?
Fein, leise und mit wenigen Worten schildern, was es heißt, sich unfreiwillig ohne Partner, dafür aber in der alleinigen Verantwortung für ein dreijähriges Kind wiederzufinden. Die Ich-Erzählerin erzählt ohne viele Gedanken an Sehnsüchte, Kränkung oder Wünsche von eben diesen. Von einer Frau, deren Alter wir nicht kennen, die aber sicherlich erst Anfang, maximal Mitte 30 sein wird und die mit diesem und trotz dieses Kindes versucht, die Wunde des Verlassenwerdens zu salben. Durch Geschlechtsverkehr und Whisky und die Bemühungen, den Ex fernzuhalten. Das Buch kann daran erinnern, wie sich die Ambivalenz zwischen Liebe für das Kind und Wut auf das Kind anfühlt. Wie es ist, den Anforderungen von Zeitplänen, Vorgesetzten und Krippenangestellten nicht gerecht zu werden und im See dieser Anforderungen unterzugehen, wie ein Stein.
Ist das gut?
Ja. Es ist beachtlich, wie wenige Worte Yuko Tsushima braucht, um die Situation der Protagonistin – die, so liest sich das Nachwort der Übersetzerin Nora Bierich, recht autobiografisch zu sein scheint – und ihr Leben mit ihrer Tochter auszumalen. Sie unterlässt es, uns in den Raum innerer Monologe über Zerrissenheit und Ambivalenz zu führen. Es reicht, dass Tsushima mit klarer, unsentimentaler Sprache aus dem Leben der Ich-Erzählerin berichtet. Das Buch der zu den bedeutendsten literarischen Stimmen ihrer Generation zählenden Yuko Tsushima ist 1979 in Japan erschienen. Ich weiß über dieses Japan nichts. Wie sah es mit der Gleichberechtigung in dieser Zeit aus? War es normal, dass Frauen arbeiten gingen? Sich scheiden ließen? Das Kind allein großzogen? Wie sah die Gesellschaft auf Frauen, die das taten? Die in Bars gingen und vom Mann getrennt lebten? Das nicht zu wissen, ist schade, denn es verhindert, das, was hier zu lesen ist, einzuordnen. Nach heutiger Sicht lesen wir hier von dem Spannungstrapez, auf dem eine getrennt lebende, alleinerziehende Frau sich bewegt. Wenn wir aber bedenken, wie es zum Beispiel in der BRD 1979 für eine vom Mann getrennte Frau – und ihr Kind – aussah, wie stigmatisiert eine solche Frau war, was es hieß, „geschieden“ zu sein, was es für Kinder hieß, „Scheidungskind“ zu sein, und annehmen, dass das in Japan ähnlich war – dann können wir erahnen, welche Bedeutung der Roman bei seinem Erscheinen Ende der 1970er-Jahre in Japan hatte. Und was für ein Risiko oder zumindest Wagnis es für die Autorin gewesen sein muss, dieses Buch zu veröffentlichen.
Über die Autorin
Yuko Tsushima gilt als eine der großen literarischen Stimmen Japans. Sie wurde 1947 westlich von Tokio geboren und starb 2016 in Tokio. Die internationalen Kritiken vergleichen sie mit Virginia Woolf und Sylvia Plath. Bezogen auf Sylvia Plath wird es beim Vergleich nicht nur der sprachliche Stil sein, der sich in seiner Nüchternheit ähnelt, es wird auch um das – jeweils damalige – Wagnis gehen, einem Ich eine Stimme zu geben, das sehr ambivalent seinem Kind gegenübersteht. Das nicht vor Mutterliebe überläuft, sondern das mit fremdem Blick auf einen kleinen Menschen schaut, mit dem es mitunter nichts anfangen kann. Und den es mitunter lieblos versorgt.
Vor dem Hintergrund, dass es kaum anders sein kann, als dass Yuko Tsushima 1979 mit dem Buch ein Tabu gebrochen hat, öffnet „Räume des Lichts“ das Interesse an Yuko Tsushima. Es scheint, als gäbe es eine Frau, eine Autorin zu entdecken, die wahrlich interessant ist. Da darf man auch mal kurz dem Arche Verlag danken, dass er das tut, wozu Verlage im besten Falle da sind: als Perlenfischer Schätze ans Licht zu bringen.
Kostprobe:
„Ich sagte mir immer wieder, dass es keinen Zweck habe, weiter auf ihn zu warten. Meine Tochter hatte am Samstag bei der Familie der Krankenschwester übernachtet. Dass ich sie der Obhut anderer überließ, war für mich der Beweis dafür, dass Sugiyama mich nicht mehr interessierte. Doch schon am Sonntagmorgen spitzte ich die Ohren, um zu hören, ob jemand die Treppe heraufkam oder klopfte. Als es dann tatsächlich klopfte, lief ich aufgeregt zur Tür und riss sie auf. Doch es war nur der Mann von der Zeitung, der sein Geld wollte, und später kam noch jemand von der Nachbarschaftshilfe“.
Yuko Tsushima : „Räume des Lichts“, übersetzt von Nora Bierich, 208 Seiten, Arche Literatur Verlag
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Rezension: Silke Burmester