Buchbesprechung: „Quartett im Herbst“
Worum es geht
Marcia, Letty, Edwin und Norman – alle im Alter kurz vor der Rente – teilen sich ein gemeinsames Büro in London, lange vor der Handy- und Computerzeit. Sie sehen sich täglich, doch und haben sie neben der Arbeit und dem gemeinsamen Wasserkochen für Tee und Kaffee kaum miteinander zu tun. Der Kontakt beschränkt sich auf die Bürozeit, auch wenn alle vier alleine leben. Als Marcia und Letty tatsächlich in Rente gehen, werden die gewohnten und eingefahrenen Bahnen der vier neu asphaltiert und sorgen für störende Steinchen unterm Schuh.
Warum sollte mich das interessieren
Barbara Pym beschreibt mit ganz feinem Witz und einer unfassbaren Beobachtungsgabe, die vier Kolleg*innen, zeichnet sie durch ihre Marotten und Problemchen scharf und erzeugt so eine Atmosphäre des innigen Nebeneinanders von Eigenbrötlern. Klingt die Inhaltsangabe langweilig? Ja. Doch die 240 -Seiten-Zeit mit dem Quartett vergeht wie im Flug, da uns die Charaktere bekannt vorkommen, aus dem realen Leben. Bekannt aus irgendeinem Büro, aus irgendeiner Behörde, ohne dass wir je näher an sie herankommen würden. Dank Barbara Pym lernen wir sie kennen und schätzen – auch wenn der eine mal aus der Rolle fällt und der andere sehr seiner religiösen Andachts- und Abendmahl-Suche frönt. Nie übertrieben, immer den Figuren liebevoll zugewandt, und mit Ironie und schwarzem Humor gespickt, schreibt Pym die vier durch ihre eingefahrenen Tage und stellt durch die Veränderung der Büro-Konstellation alle – inklusive uns Leserinnen – vor neue, fast schon herausfordernde Situationen.
Warum ist die Autorin interessant
Barbara Pym, geboren 1913 schrieb bereits mit 16 Jahren ihren ersten von insgesamt 13 Romanen. Der Roman „Quartett im Herbst“ war 1977 für den Booker Prize nominiert. Der Autor Alexander MacCall Smith vergleicht die 1980 mit 66 Jahren verstorbene Pym mit der großen Stilistin Jane Austen.
Kostprobe:
„Wieder im Büro, waren die Ferien das große Thema. Edwins Prospekte mit ihren Verheißungen unsäglicher Herrlichkeiten lagen nun schon seit einer Weile auf seinem Tisch ausgebreitet, aber alle wussten, dass er nie weiter ging, als darin zu blättern, denn den jährlichen Urlaub verbrachte er unweigerlich mit seiner Tochter und ihrer Familie.
„Griechenland“, sagte Norman und griff nach einer Broschüre mit einem Bild der Akropolis. „Das war schon immer so ein Traum von mir.“
Marcia hob betroffen den Kopf. Auch die anderen wunderten sich, wobei sie es weniger stark zeigten. Was war das? Welche ungekannte Facette von Normans Persönlichkeit, welche nie zuvor geäußerte Sehnsucht offenbarte sich hier? Bei seinen Ferien, die er ausnahmslos in England verbrachte, jagte in der Regel eine Katastrophe die nächste.
„Das Besondere an Griechenland soll ja das Licht sein, diese ganz unverwechselbare Art von Licht“, steuerte Letty bei; das hatte sie irgendwo gehört oder gelesen. „Und das weinfarbene Meer – so wird es doch genannt, oder?“
„Also, welche Farbe das Meer hat, wäre mir egal“, sagte Norman. „Mir würde es um das Schwimmen gehen.“ „Sie meinen Sporttauchen und solche Sachen?“, fragte Edwin ungläubig. „Wieso nicht?“ Norman klang trotzig. „Alle möglichen Leute gehen tauchen. Und finden dabei verborgene Schätze und so.“ Edwin fing an zu lachen. „Das wäre zumindest was anderes als dieser Urlaub, den Sie letztes Jahr hatten“, witzelte er. Norman hatte eine Bustour durch Südwestengland gebucht, und sein einziger Kommentar nach der Rückkehr war, ohne Angabe von Gründen, ein lapidares „Nie wieder“ gewesen. „Allzu viele verborgene Schätze haben Sie da ja eher nicht gefunden.“
Ein Geschenk für alle, die gern hervorragend erzählte, ruhige Geschichten, gar Charakterstudien, lesen. Die es aushalten, dass Protagonist*innen alt und nicht nur mit Glück gesegnet sind.
Barbara Pym: „Quartett im Herbst“, DuMont Verlag, übersetzt von Sabine Roth, 240 Seiten, 20 Euro. Hier bestellen
Rezension: Simone Glöckler