Sylvia Heinleins Wochenjournal über die Stürme im Wasserglas des Alltags. Diesmal: Überraschungen
Ich hab’s weiter richtig nett, so mit mir allein. Wenn ich vom Einkaufen zurückkomme, rufe ich „Okay! Ich zeig‘ mal, was ich mitgebracht habe!“ in die Küche. Dann packe ich Nüsschen und Chips und Schokolade und Eiscreme aus und freue mich. Die Zeit, da ich das Knabberzeug in kleinen Schälchen auf dem Couchtisch anrichtete, ist lange vorbei. Mittlerweile stecke ich einfach den Kopf in die Tüte. Schälchen sind für irgendwann später, wenn wieder Besuch ins Haus kommen darf. Falls bis dahin nicht alle komplett verwildert sind.
Ein Blitz erscheint in meinem Computer
Überraschungsbesuch gibt es vorläufig nur im Internet. Neulich ploppte irgendwo ein Chat-Fensterchen auf und ein Fremder meldete sich bei mir, es war der Visionäre Goldene Bulle. „Hallo!“, schrieb er, „ein Blitz ist mir erschienen.“ Donnerwetter, dachte ich noch, da kam auch schon die nächste Nachricht: „Es war in Hamburg.“ Der Bulle wusste Bescheid und es störte ihn überhaupt nicht, dass ich schwieg, er hatte selber genug zu sagen: „Etwas ist los“, las ich und dann gab es eine kleine Pause. Er machte das gut, der Bulle – man soll nie zu viel auf einmal verraten, nur so fängt man das erwartungsvolle Mäuschen. Die nächste Meldung trieb mich auch direkt in seine Fänge: „Es betrifft Dich!“
In genau diesem Moment klingelte es an meiner Haustür, es war Frederik, mein Postbote, der einzige Mann, dem ich zurzeit noch regelmäßig begegne. Er übergibt mir meine Post gerne persönlich, mit ausgestrecktem Arm und Maske. Wenn ich ihm am frühen Nachmittag im Morgenmantel die Tür öffne, ruft er „Also, also! Auf-auf und hinaus an die frische Luft!“ Ich bin Frederiks Lieblingskundin. Es ist schön, der Liebling von jemandem zu sein, und wenn es nur der Postbote ist. Wer weiß jedenfalls, was für eine Wendung der Visionäre Goldene Bulle meinem Leben gegeben hätte, aber war er nicht mehr da, als ich an den Computer zurückkehrte. Nicht, dass ich deswegen beleidigt gewesen wäre – aber stramm ist so ein Benehmen natürlich nicht.
Nächste Woche gehe ich zum Speed-Picknick
Immerhin habe ich demnächst ein Date mit einem Unbekannten. Es wird ein Speed-Picknick im Freien. Wir werden auf einer großen Decke sitzen, ausreichend weit voneinander entfernt, und zügig Kuchen essen. Wir haben uns auf eine Dreiviertelstunde geeinigt, das ist mehr als genug, um zu wissen, ob man irgendwann mal miteinander knutschen möchte. Menschen beim Essen zu betrachten, da erledigt sich ja so manches sehr schnell. Es wird wohl aber ohnehin nicht wirklich passen mit uns, der Mann ist Handwerker und fleißig, ich hingegen bin sehr faul.
Falls sich nun jemand fragt, ob es nicht Gewichtigeres zu berichten gibt: Aber ja doch, ich überlege nur noch, ob ich mich traue. Auf Instagram folge ich einer jungen, sehr beliebten Kämpferin und lerne gerade, was radikaler Feminismus meint. Ich würde gerne weiter mitdiskutieren, aber der Nachwuchs ist empfindsam und leicht erregbar und mein eigenes hitziges Gemüt nicht mehr für jede Aufregung zu haben. Das festzustellen macht mich ein wenig melancholisch. Aber auf eine gemütliche Art.