Sylvia Heinleins Wochenjournal über die Stürme im Wasserglas des Alltags. Diesmal: Sanft gesprochen
Wenn ich so zurückdenke, habe ich den Eindruck, dass die vergangene Woche durchaus eine erfüllte gewesen sein könnte. Es ist aber ein eher vages Gefühl, ich kann mich auch irren. Von gestern weiß ich mit Sicherheit, dass abends mein Cousin vorbeikam. Ich sah ihm unter meinem Anglerschirm dabei zu, wie er zügig eine Flasche Wein leerte. Der Cousin ist Allgemeinmediziner, ich treffe ihn sehr gern, denn er beurteilt meine gesundheitlichen Bemühungen positiv. „Du siehst gut aus!“, sagt er jedes Mal und „Bravo! Zwei bis drei Zigaretten pro Tag! Die machen überhaupt nichts!“
An den übrigen Tagen habe ich auch Sachen gemacht, und zwar irgendwelche Dinge. Meine Verschwommenheit ist das Gefühl des Jahres, es heißt „languishing“, das weiß ich von einem Professor aus der New York Times, die ich täglich während meines 17 Uhr-Tees überfliege, soweit ich erinnere. Wenn man languisht, fühlt es sich an, als ob man durch die Tage torkelt und sein Leben durch eine verschmutzte Windschutzscheibe betrachtet. „Nur weil Sie nicht depressiv sind, heißt das nicht, dass Sie keine Probleme haben – aber darüber zu sprechen, gibt der stillen Verzweiflung eine Stimme“, sagt der Professor.
Sie schickt mir Hundebilder. Sie weiß, dass ich Hunde nicht mag
Grundsätzlich erfordert die Lage Gelassenheit – die Menschen beginnen, sich gegenseitig zu reizen, weil die Gefühle ja rauswollen. Eine entfernt lebende Freundin schickt mir seit Wochen provokante Fotos. Kürzlich ihren neuen Sessel, vor dem Möbel räkelte sich ihr Hund, ein unangenehm großes, aufdringliches, struppiges Tier. Ein anderes Mal erhalte ich ein herrliches Seebild, am Meeressaum tollt die Kreatur. Ich mag den Hund nicht, so wie ich alle anderen Hunde nicht mag, und die Freundin weiß das gut. Es ist, als ob sie mich hinterlistig kneifen würde. Sie selber hat panische Angst, sich ins Wasser zu begeben, also sende ich ihr im Gegenzug Bilder von mir beim Baden im Fluss. So geben wir der stillen Verzweiflung Stimme, wozu sind Freundinnen schließlich da.
Ich möchte gern noch netter werden
Abends sehe ich amerikanische Filme mit türkischer Synchronisation und deutschen Untertiteln. Manchmal machen die Türken es einfach besser als die Original-Schauspieler. Ich spreche hier nur von den türkischen Männern, sie haben überhaupt nichts Erdoganisches, sie sind die einfühlsamsten Synchronsprecher überhaupt. Ich kann das so behaupten, denn ich habe auch die Franzosen, Italiener, Koreaner und Russen ausprobiert. Die Russen haben eine spezielle Herangehensweise, selbst wenn sie „Es tut mir leid, dass Deine Frau gestorben ist“ sagen, klingt es nach „Du Hundesohn! Hör auf zu jammern!“ Die französischen Männer synchronisieren lässig, man hört heraus, dass es Wichtigeres zu tun gibt, zum Beispiel schnell nach Hause zu kommen und etwas Gutes zu trinken. Die Italiener sind ganz ähnlich, und über die weiblichen Sprecher gibt es generell gar nichts zu sagen. Es ist schnurzpiepe, welche Sprache man wählt, sie klingen alle gleich nett.
Auch ich möchte nett sein und noch netter werden. Eine Freundin ohne Hund sagte mir neulich, ich sei unklar und würde allen immer nur Honig ums Maul schmieren. Ja, was denn?! Wenn das Leben einem Steine an den Kopf wirft, muss man sich darauf besinnen, dass es ja auch schöne Sachen gibt, zum Beispiel, wenn man endlich das Altpapier weggebracht hat. Oder eben Honig.