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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Na Fein!

Sylvia Heinleins Wochenjournal über die Stürme im Wasserglas des Alltags.
Diesmal: Berührendes

Aus Dank den Postboten in seinem Postmobil in den Himmel gelobt und mit Kuchen vollgestopft

Heute habe ich intensiv darüber nachgedacht, was ich an dieser Stelle grundsätzlich so von mir gebe und warum. Anlassgeber war mein Postbote. Ich trug noch nicht einmal einen Morgenrock, als er klingelte, denn es war erst 14.30 und ich war gerade beim Überlegen, wo der Tag wohl so hinwollte. Also öffnete ich die Tür in Leibchen und Unterhose. Meinem Postboten war das schnuppe, er wollte ja nicht gucken, sondern sich vom Urlaub zurückmelden. Er war im Ahrtal gewesen, erfuhr ich, die ganzen drei Wochen, und hat dort einen Baumarkt geleitet. Präzise gesagt: er hat in einem großen Zelt Arbeitsmittel für die Helfer*innen der Flutkatastrophe organisiert und ausgeteilt. Mein schlechtes Gewissen wegen allem Möglichen bekam noch einmal einen ordentlichen Schub, denn ich hatte mich seit Juli gedanklich nicht mehr mit den Zuständen nach der Flut beschäftigt. Mein Postbote erzählte, dass die Hilfskräfte international waren, an den Wochenenden waren es tausende, auch ein 85jähriger Mechatroniker, dessen Frau seine Hilfe anbot. Er selber traute sich nicht, weil er befürchtete, mit dem Tempo nicht mithalten zu können. Mein Postbote sagte ihm, er sei selig, ihn im Team zu haben, er solle aber unbedingt langsam machen und dabei ordentlich Kaffeepausen einlegen. Seitdem repariert der alte Herr jeden Tag fünf Maschinen und alle sind sehr glücklich. Ich werde jetzt einen Kuchen backen für meinen Postboten und ihm eine Dankeskarte schreiben – im vollen Bewusstsein darüber, dass ich damit zu mindestens 50 Prozent mir selber das Gefühl geben möchte, irgendwie beim Helfen dabei zu sein.

Zurück zu meiner Aufgabe hier: ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht viel mehr versuche, als mit etwas Raffinesse eine lockere, positive Stimmung zu verbreiten; hin und wieder gelingt mir dabei ein interessanter Gedankenansatz, dann bin ich sehr zufrieden. Politik, Naturkatastrophen, echte Dramen und ein ernsthaft erhobener moralischer Zeigefinger passen nicht in dieses Konzept – die Geschichte vom Postboten ist also ein Ausrutscher, der Mann hat mein Herz einfach komplett erwärmt. Ich surfe ohnehin gerade auf der Welle anrührender Erlebnisse: Mein kleiner Bruder aus Amerika ist zu Besuch, beim Spazieren kamen wir an einem Spielplatz mit Seilrutsche vorbei, ein Superding. Ich rutschte, ordentliches Juchhei!, als ich zurückschwang, hätte der Spaß eigentlich sein Ende gehabt. Mein Bruder jedoch fing mich ab und schob mich mit Bärenkraft das Hügelchen zum Startpunkt hinauf, damit ich ohne Mühe gleich nochmal flutschen konnte. Ach, meine Luder, es ist etwa fünf Jahrzehnte her, dass Jemand so etwas für mich getan hat. Es war ein perfekter Moment voller spontaner Liebe und seitdem habe ich mich nicht mehr mit meinem Bruder gestritten und werde es auch niemals mehr tun, wahrscheinlich.

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