Jeden zweiten Mittwoch stellen wir Euch eine Frau vor, die ihr Leben umkrempelt
oder sonst etwas tut, auf das sie gerade Lust hat
Heute: Almut Schnerring, Aktivistin für Gendergerechtigkeit und gegen sexistische Kackscheiße
Almut Schnerring aus Bonn ist eine nimmermüde Netzwerkerin, stets auf der Suche nach neuen Wegen, um die Welt ein klein wenig besser zu machen. Sie hat mit ihrem Blog „Die Rosa-Hellblau-Falle“ das Thema gegenderter Kinderprodukte groß gemacht, schreibt Bücher, hält Keynotes und erfindet zur Not auch tolle Aktionstage wie den „Equal Care Day”, um auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Was sie sonst noch umtreibt, erzählt sie uns im Gespräch.
Name: Almut Schnerring
Alter: 53
Beruf: Autorin, Journalistin
Wohnt in: Bonn
Motto: „Be yourself; everyone else is already taken.” (Oscar Wilde)
Auf was kannst Du locker verzichten?
Wollmäuse, Schubladendenken und die AfD.
Ohne was gehst Du nie aus dem Haus?Ich habe so eine klassische „Mental Load“-Tasche mit allem drin für alle Fälle. Wenn Dir unterwegs was fehlt, frag mich! Pflaster, Schokolade, Akku to go? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich Dir was abgeben kann. Und wer nicht kapiert, dass Witze über die Ach-so-tiefen-Handtaschen von Frauen sexistisch sind, kann sich bei mir obendrein noch ein ganzes Abendprogramm an Input über Rollenbilder und das Sich-(nicht)-Kümmern abholen 😀
Was wolltest Du als Kind für einen Beruf ergreifen?
Ich kann mich nicht erinnern und bin da eigentlich ganz dankbar dafür. Ich sehe es positiv in dem Sinne, dass ich damals nicht übermäßig belämmert wurde mit dieser Frage: „Na, Kleine, weißte schon, was Du mal werden willst, wenn Du groß bist?“ Ich hatte eine unbeschwerte, bunte Kindheit in den 1970ern und durfte schon sein, bevor ich „etwas werden“ musste.
Dein tatsächlicher beruflicher Werdegang?
Eine Lohnsteuerkarte hatte ich mal ganz kurz, als ich in der Kerzenabteilung eines Kaufhauses gejobbt habe, aber sonst war ich immer freiberuflich unterwegs, seit dem Studium. Germanistik und Kunstgeschichte, Kommunikationsforschung und Phonetik, Sprechwissenschaft und Sprecherziehung habe ich studiert. Mit einer fächerübergreifenden Magisterarbeit darüber, ob man im Hörfunk „sinnvoll“ über Gemälde sprechen und akustisch berichten kann. Die Recherchen in den Archiven der Öffentlich-Rechtlichen haben mich einerseits in die bunte Welt des Radio-Features geführt, aber auch in die wissenschaftliche Recherche und kreative Aufarbeitung immer neuer Themen. Und das ist mein Job bis heute, gemeinsam mit meinem Partner Sascha Verlan bin ich „Die Wort- & Klang-Küche, GbR“: Ich recherchiere und schreibe, produziere Radiosendungen, darf Workshops und Keynotes halten, bin Netzwerkerin und versuche mit neuen Bekanntschaften gemeinsame Projekte umzusetzen. Ich erfinde Aktionstage, zum Beispiel den jährlichen „Equal Care Day“ für mehr Wertschätzung, Sichtbarkeit und eine faire Verteilung der Care-Arbeit – und Veranstaltungsformate wie den „Goldenen Zaunpfahl“, einen Award für absurdes Gendermarketing.
Hast Du auch einen Job-Neuanfang erlebt?
Es gab sogar zwei berufliche Neuanfänge, oder jedenfalls große Wendungen. Das eine war 2014 unser Buch „Die Rosa-Hellblau-Falle“, das zu Beginn nur eine Radiosendung werden sollte. Den Begriff gab es bis dahin nicht, und wir waren damit außerhalb vom wissenschaftlichen Diskurs auch ziemlich allein. Das Thema hat uns dann aber thematisch so erschreckt und fasziniert, dass es zu unserem Spezialgebiet geworden ist. Und dazu werden wir nicht nur viel angefragt, sondern es gibt inzwischen unter dem Hashtag #RosaHellblauFalle auch eine ganze Community, die uns kennt und mit der wir uns austauschen und gegenseitig bestärken. Nicht zuletzt ist daraus 2018 der klische*esc e.V. entstanden, der mir eine neue Form der Teamarbeit und neue Projekte ermöglicht, die vorher als Radio-Duo nicht denkbar gewesen wären.
Und aus der Beschäftigung mit der Rosa-Hellblau-Falle, mit der Retraditionalisierung der Geschlechterrollen in den letzten Jahren und mit dem sogenannten „Unconscious Gender Bias“, also den unbewussten Vorannahmen in Bezug auf Geschlecht, ist unsere Idee für den „Equal Care Day“ gewachsen, den wir 2016 einfach mal gesetzt und auf den Schalttag gelegt haben: ein „unsichtbarer“ Tag, der ja meist übergangen wird, als Symbol für die unsichtbare Care-Arbeit, die in der Regel unter- oder unbezahlt abgegriffen und als selbstverständlich genommen wird.
Der Equal Care Day 2020 konnte gerade so noch vor dem Lockdown stattfinden – der 29.2.2020, der Schalttag war der, an dem die ersten Desinfektionsspender in öffentlichen Gebäuden aufgestellt wurden, und wir noch darüber gelächelt haben. Ja, und dann kamen die Monate, in denen auch der Letzte verstanden haben sollte, dass Care, also die Kümmer-, Pflege- und Versorgungsarbeit, nicht die Wertschätzung erfährt, die ihrer gesellschaftlichen Rolle entspricht. Aber es wäre ja zu schön gewesen, wenn der Leidensdruck da einen gesellschaftlichen Wandel bewirkt hätte, das ist leider nicht passiert. Eins meiner Vortragsformate trägt deshalb den Titel „Der Fachkräftemangel beginnt im Kinderzimmer“ – und da geht es um genau diese Zusammenhänge: Rollenbilder, Vorurteile, limitierende Normen, Zuschreibungen und den Wert von Arbeit bzw. die Frage, was wir eigentlich als Arbeit definieren.
Was treibt Dich an?
Ungerechtigkeit im Kleinen. Diskriminierung aufgrund von Blicken, Kommentaren, Gesten, Subtext, von der ich erst mal glaube, dass sie ganz leicht zu beseitigen sein müsste. Und mir dann die Haare raufe, warum es nicht gelingt. Da kann ich nicht aufhören zu forschen, zu erklären, zu argumentieren, nachzufragen und neue Wege zu suchen, wie wir als Gesellschaft besser zueinanderfinden könnten, ohne uns über andere zu stellen.
Dein größter Erfolg?
Und direkt geht mein innerer Blick in Richtung Beruf und sucht dort … Erfolge … hm … liegen sie dort? Seit ich mich mit dem Themenfeld rund um #EqualCare befasse, stoße ich immer wieder auf diese Geschichten von Menschen, die wohl in großer Übereinstimmung im Rückblick auf ihr Leben sagen, dass sie am meisten bedauern, nicht mehr Zeit in Familie und Freundschaften investiert zu haben. Insofern würde ich sagen, mein größter Erfolg bisher – ich habe ja hoffentlich noch eine Weile bis zum Rundum-Rückblick – ist meine Familie, meine drei Kinder, unser Miteinander zu fünft. Da habe ich vieles gut gemacht, daraus ziehe ich viel Zufriedenheit und Glück.
Was möchtest Du unbedingt in diesem Leben noch lernen?
Nichts tun. Ich vermisse das Gefühl der Langeweile, das ich als Kind schwer aushalten konnte. Jetzt wünschte ich, ich könnte das mal wieder spüren, aber ich denke und grüble und erfinde immer, ständig! Entspannungsreisen? Bloß nicht! Einfach so auf dem Sofa sitzen und Musik hören? Niemals! Ich wollte doch längst mal wieder dies oder jenes tun, und zack, wieder in Aktion. Gestern hat mir eine Freundin eine App empfohlen: Herzkohärenz, eine Atemtechnik zum Runterfahren. Bin gespannt; wünscht mir die nötige Ruhe:😊
Dein größtes Laster?
Vorräte. Aufbewahren von Dingen, die man ja eventuell noch mal brauchen könnte, bzw. von Dingen, die so schön oder nützlich sind, dass ich zwei davon möchte, denn, hallo? Man weiß ja nie! Stifte, Stoffe, Schokolade, Taschen, Geschenkpapier, Halstücher … Ich kann echt nicht gut wegwerfen und halte minimalistisches Wohnen für einen Modegag für Reiche.
Vielen Dank!
Das Interview führte Gerlind, die voller Bewunderung für Almut und ihr vielfältiges Engagement ist. Das angebliche „Laster” teilen die beiden übrigens: Schöne Schächtelchen, Stöffchen und andere Schätzchen … davon kann man doch nicht genug haben?! Gerlind hat alles nach Farben sortiert und näht, klebt und bastelt damit, was das Zeug hält. Was Menschen alles so wegwerfen, ist ihr – und offensichtlich auch Almut – völlig rätselhaft.
Link zu Almut:
Wort und Klangküche
Die Rosa-Hellblau-Falle
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