Die Wechseljahre haben ein Geschenk in Petto: dass wir unsere Stimme finden. Silke Burmester über den Benefit sinkender Hormonspiegel
Als junge Frau gründete Gina Birch eine der wenigen Frauen-Punkbands: The Raincoats. Letztes Jahr, mit 68, hat sie ihr erstes Soloalbum veröffentlicht. Screenshot aus der sehenswerten arte-Doku: „Punk Girls – die weibliche Geschichte des britischen Punk„
Ein Grundbaustein, damit es mit dem Patriarchat läuft, ist, dass Frauen ruhig sind. Lautlos sollen wir uns in unser Schicksal fügen, klaglos Leid ertragen und will das Kind durch den Geburtskanal, wird mitunter ein Stück Holz gereicht, auf das wir was zu beißen haben, statt den Schmerzen Ausdruck zu verleihen. Neuester Witz patriarchaler Grenzbestimmung: Der Vorwurf, Kamala Harris lache zu laut. Eine solche Frau sei für das präsidiale Amt nicht geeignet. Wir erinnern uns, auch in der Türkei, wo man Frauen ebenfalls lieber in der Küche als im Parlament zu sehen scheint, hatte 2014 der Vizeregierungschef versucht, Frauen das Lachen in der Öffentlichkeit zu verbieten. Auch bei uns waren Weibsleut lange Zeit angehalten, ihr Lachen hinter vorgehaltener Hand zu verbergen. Und für den Umstand, dass Menschen mit einer Vulva auf die Idee kämen, ihrem Dasein auf anderem Wege Ausdruck zu verleihen, schloss man sie systematisch von kultureller und künstlerischer Bildung aus.
Nun wollen wir an dieser Stelle nicht über das Lachen reden, sondern über die Wechseljahre, die für Zweidrittel aller Frauen wenig Lustiges bereithalten. Und doch geht es um die Frage, wie viel Lautstärke, wie viel Ausdruck, wie viel Zorn, Verweigerung und Wut uns Frauen zugesprochen wird. Wie viel davon wir uns selbst zusprechen – und ob mit der Lebensmitte nicht endlich der Zeitpunkt gekommen ist, die Einzäunung männlicher Zuschreibung zu übertreten.
Ein Thema zu enttabuisieren ist ebenfalls ein Akt, Sprache zu finden, Grenzen abzubauen und – in diesem Fall – Hoheit zurückzugewinnen. Und so haben wir aktuell historischen Grund für emanzipatorisches Freudengeschrei, denn, unsere Generation holt gerade die Wechseljahre aus der Zone des „Darüber spricht man nicht“. Wir holen sie in die Mitte der Gesellschaft – und machen sie zum heißen Scheiß.
Es geht um Deutungshoheit. Ergreifen wir sie!
Wer als Frau was auf sich hält, zählt sich zu den aktuell etwa neun Millionen in Deutschland, deren Körper und Psyche in einer Art zweiter hormoneller Pubertät neu ausgerichtet wird. Gewichtszunahme, Schlafstörung, Gelenkschmerzen, Brainfog bis zur Orientierungslosigkeit – selten hat ein Kanon der Beschwerlichkeiten so ein Zugehörigkeitsgefühl ausgelöst. Bücher und Podcasts sprießen aus dem Boden, Frauen kapern Instagram mit ihren Erkenntnissen und einem trotzigen „Jetzt erst recht!“, Firmen lassen sich beraten, wie sie sich „menopausefriendly“ aufstellen und in Großbritannien haben zwei Frauen die Firma „GenM“ gegründet, um mit als „wechseljahrsfreundlich“ gekennzeichneten Produkten Hersteller und Konsumentinnen zusammenzubringen und Supermärkte zu animieren, Konsumgüter für die Frau um 50 aus der Staubfalle der untersten Regale in Greifhöhe zu platzieren. Und ich habe mit Palais F*luxx ein Onlinemagazin für „Rausch, Revolte, Wechseljahre“ gegründet.
Dabei geht es um nichts Geringeres als um die Deutungshoheit. Darum, mit dem Bild der schwitzenden Frau, die nicht zu gebrauchen ist, aufzuräumen. Es geht darum, einen natürlichen Prozess weiblichen Seins zu enttabuisieren. Und Frauen, die drohen, jetzt, wo sie nicht mehr „fruchtbar“ sind, als „funktionslos“ aussortiert zu werden, in der Schönheit ihrer Reife ins Scheinwerferlicht zu stellen – und ihnen eine Stimme zu geben. Die Beschäftigung mit den Wechseljahren, die Befreiung aus der Tabu- und Igitt-Zone ist ein Akt der Selbstbestimmung. Ein Akt weiblicher Emanzipation und Ermächtigung.
So weit, so dufte.
Weniger dufte finden viele die andere Seite der Medaille, die der altersbedingte Umbruch mit sich bringt. So war vor einigen Wochen zu lesen, dass Lilly Becker der tz berichtet: Die Menopause hätte ihr enorm zugesetzt, sie wäre extrem gereizt gewesen, „eine Furie“. Unerträglich für ihre Familie.
Ja, so stellt sich das dar. Einem wilden Hormon-Tohuwabohu ist es zu verdanken, dass wir auf einmal mitunter sehr unerträglich sind. Schlechte Laune haben und keine Geduld. Dass wir an Punkten aus der Haut fahren, an denen wir doch bis dahin sehr duldsam waren. Dass wir sagen: Bis hierhin und nicht weiter! Was Folgen haben kann. Kofferpacken etwa. Beziehung beenden. Job kündigen. Lauter Dinge, die keinen guten Ruf haben.
Der Krawall ist biologisch
Die Erklärung für den Krawall ist eine biologische: Im Vergleich zum männlichen Hormonsystem ist das weibliche ein hochkompliziertes Zusammenspiel unterschiedlichster Akteure. Während der drei Phasen der Wechseljahre, der Prämenopause, der Perimenopause und der Postmenopause verändern sich die Spiegel der verschiedenen Hormone in unterschiedlichem Ausmaß. Es kommt zu stetigen Schwankungen und Dysbalance des gesamten Systems. Einer der wichtigsten Akteure ist das Progesteron, dem eine ausgleichende und beruhigende Wirkung zugeschreiben wird und das auch für erholsamen Schlaf entscheidend ist. Sinkt sein Spiegel, können Unruhe und Gereiztheit die Folge sein, Schlafmangel tut sein Übriges. Ein anderer Hauptakteur ist das Östrogen, das als „Psychoschutz der Natur“ verstanden wird. Auch sein Rückgang, kann dazu beitragen, dass die psychische Ausgeglichenheit sich verabschiedet, wie Prof. Dr. med. Anita Riecher-Rössler von der Psychiatrische Poliklinik des Universitätsspitals Basel in einem Artikel über die Psyche in der Menopause festhält.
Lilly Becker berichtet, dass sie sich „in therapeutische Behandlung“ begab, das Ergebnis: „Im Hause Becker kehrte wieder Ruhe ein“, wie es im Artikel heißt. Becker spricht von der Hormonersatztherapie (HRT), bei der der Hormonspiegel künstlich ausgeglichen und ggf. hochgehalten wird. Das kann enorm hilfreich sein und etwa helfen, Schlafen zu können. Die HRT kann Depressionen vertreiben, Energie zurückbringen, einen wieder lebens- und einsatzfähig machen und verhindern, dass die Vagina zum Reibeisen wird. Der ausgleichende Effekt der HRT kann aber auch dazu führen, dass wir sozial „geschmeidig“ bleiben. In unserer Rolle. Funktionieren und uns kümmern und alles freundlich ertragen.
Und da möchte ich fragen: Warum sollte ich das wollen?
Wenn „Mutter Natur“ es so eingerichtet hat, dass Frauen zur Lebensmitte „krawallig“ werden, dann mit Sicherheit aus gutem Grund. Da scheint etwas für uns vorgesehen.
Noch rätselt die Wissenschaft welchen Zweck der Prozess hat. Neben Menschen sind Schimpansen und manche Walarten die einzigen Tiere, von denen man weiß, dass ihre Weibchen in die Menopause kommen. Hier fällt auf, dass sie in diesem Lebensstadium diejenigen sind, die die Pods, die Gruppe der Wale, anführen. Auch in einigen menschlichen Kulturen lässt sich mit der Menopause ein sozialer Aufstieg von Frauen beobachten. Dorthin, wo ihre Lebenserfahrung als wertvoll für die Gemeinschaft betrachtet wird, wie etwa in den Ältestenrat. Wie das Buch „Regel-lose Frauen“ – als eines der wenigen zum kulturellen Umgang mit den Wechseljahren – beschreibt, gilt das für Länder, die eines eint: sie haben keine Pharmaindustrie im Rücken. Niemand, der die menopausalen Veränderungen, wie bei uns, zum Mangel erklärt. Und natürlich „Gegenmittel“ parat hat.
Ich bin kein Mangelwesen
Ich bin kein Mangelwesen. Für mich ist „Jugend“ keine Norm und alles andere eine Abweichung. Und schon gar kein „Zuwenig“. Ich habe keinen „Östrogenmangel“, mein Östrogenspiegel ist lediglich niedriger als früher. Ich bin jetzt anders. Nicht weniger. Im Gegenteil. Nie habe ich mich so auf den Punkt gefühlt, wie jetzt. So klar. So sicher. Und das sehe ich auch bei anderen Frauen: Sie kündigen ihre jahrzehntelange Tätigkeit und werden Tauchlehrerin oder Trauerrednerin. Sie machen sich selbständig. Sie richten sich ein eigenes Zimmer ein. Sie beenden ihre Partnerschaft oder – Familie hin oder her – bereisen monatelang China. Es sind Frauen, die sagen: „Mir reicht´s. Ich mach die Dinge jetzt so, wie ich es will!“ Und lassen sich den Rücken tätowieren oder feiern eine Woche lang ihren 60. Geburtstag.
Diese Klarheit ist oft hart erkämpft. Im Körper toben die Hormone – und haben für viele Frauen eine mitunter existenzielle Krise im Gepäck. Aber, so sagen Psycholog*innen, die Transformation sei notwendig. Sie sei elementar, die Vorbereitung auf die Lebensphase „Alter“.
Dieser Prozess, diese Wandlung ist auch für andere nicht immer schön. Sie ist anstrengend. Nervenaufreibend. Vor allem dann, wenn man, etwa als Partner, an Bestehendem festhalten will. Aber die Natur hat es so eingerichtet, dass es nicht um die anderen geht. Es geht um uns. Die Natur hat uns sinkende Hormonspiegel geschenkt, in deren Folge unsere Kraft und unser Potential sich entfalten will. Wir – oft nach all den Jahren – unsere Stimme finden.
Die Renitenz 47+ eine Riesenchance – für alle
Dieser Veränderungswille, dieser Aufbruch ist nicht nur für uns Frauen ab der Lebensmitte eine Riesenchance er ist es auch für die Gesellschaft. Stellen wir uns vor, wir würden Frauen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie keine Kinder mehr bekommen können, nicht länger als „verbraucht“ betrachten, sondern ihre grauen Haare – wie bei Männern – als Zeichen von Erfahrung und Expertise lesen. Welch ein Potential, welch Ressourcen, welche Weisheit stünden zusammen mit der Lust der Frauen auf Veränderung für die Gestaltung unserer Gesellschaft zur Verfügung! Was ließe sich mit dieser Lust, mit dieser Kraft und Energie verändern! Erweitern! Aufbauen!
Ich habe Verständnis für jede Frau, die, um die menopausalen Beschwerden zu lindern, um wieder ein Leben zu haben, Hormone nimmt. Auch ich nehme welche, um schlafen zu können. Aber wir sollten behutsam mit ihnen umgehen. Wir sind dazu erzogen, ruhig zu sein. Angepasst. Nicht aufzufallen und sich nicht „in den Vordergrund zu spielen“. In der Folge fügen wir uns in die Rolle, die das Patriarchat für uns vorsieht und sind in dieser Gesellschaft die Doofen. Die zweite Reihe. Die Wechseljahre befreien uns von dieser Anpassungsbereitschaft, sie schenken uns unsere Stimme. Ein natürlicher Prozess zur Renitenz der Frau – haben wir je ein besseres Geschenk erhalten?! Wir sollten uns wohl überlegen, ob wir es ausschlagen.
Foto: Monica Melton/unsplash