Buchvorstellung
„Ein Wochenende“ von Charlotte Wood
Worum geht es?
Drei Frauen jenseits der 70 treffen sich, nachdem die Vierte im Bunde gestorben ist. Sie wollen noch einmal ein Wochenende in dem Haus verbringen, in dem sie so viele schöne gemeinsame Erlebnisse hatten. Jude, Wendy und Adele wollen das Strandhaus der verstorbenen Sylvie ausräumen. Sie stoßen dabei nicht nur auf alte Postkarten und verschimmelte Pfannen, sondern auch auf Erinnerungen, die nicht nur schön sind. Drei sehr unterschiedliche Leben und eine gemeinsame Freundschaft, die durch den Tod von Sylvie zunächst aus dem Gleichgewicht zu geraten scheint.
Was kann das Buch und was hat es mit mir zu tun?
Charlotte Wood schafft es in diesem Roman mit sehr leisen Tönen ganz große Dinge anzusprechen. Wie werden wir sein, wenn wir alt sind? Gestehen wir uns ein, alt zu sein? Welche Rolle spielen Freundschaften in unserem Leben? Wie viel sind wir bereit auszuhalten, wenn eine jahrelange Verbindung besteht? Was verzeihen wir? Wie blicken wir auf die Frauen, die uns seit Jahrzehnten begleiten?
Während wir in die Perspektiven der sehr unterschiedlichen Frauen eintauchen, werden wir gar nicht drum herumkommen, über uns und unsere Freundinnen nachzudenken. Zu überlegen, ob es da diese Frauen gibt, mit denen uns ein Band zusammenhält, das auch durch schlechte Laune, zuweilen Erniedrigung und Kritik nicht zerreißen kann. Werden wir sein wie Adele, die ihren alten Körper liebt und das allen anderen auch zeigt? Haben wir uns wie Jude immer aufrecht gehalten, um am Lebensende zu erkennen, dass uns vielleicht nicht viel mehr bleibt als diese Freundschaft? Oder finden wir uns in Wendy wieder, einer Frau, deren Hund sinnbildlich für das Alter steht und für die körperliche Vergänglichkeit von uns allen?
Und was passiert, wenn der Mensch, der immer alles zusammengehalten hat, plötzlich nicht mehr da ist, was bedeutet das für unsere eigene Rolle in bestehenden Beziehungen? All diese Fragen klingen noch lange nach.
Warum sollte mich das interessieren?
Weil wir alt werden, hoffentlich. Weil wir Freundinnen haben, die uns zum Teil schon sehr lange begleiten, hoffentlich. Weil wir uns Fragen stellen sollten: Waren wir immer gerecht zu ihnen? Haben wir sie so behandelt, wie wir selbst behandelt werden wollen? Sind wir immer ehrlich mit ihnen gewesen? Was müssen wir besprechen, bevor es zu spät ist?
Sind nicht Frauen untereinander immer auch auf eine ganz einzigartige Weise miteinander verbunden? Sind Freundschaften unter Frauen nicht etwas so Wunderbares, dass wir uns viel mehr um sie kümmern müssten? Dass wir dafür sorgen sollten, die sogenannten Zickenkriege sein zu lassen und endlich – wie Männer – bessere Netzwerke zu bilden. Frauen, Freundinnen zu unterstützen und zu fördern?
So viele Fragen hat dieses Buch für mich aufgeworfen, aber auch so viele schöne Antworten gegeben. Vor allem die eine: Jede Freundschaft kann ein sehr starkes Band fürs Leben sein. Vielleicht wissen wir es jetzt noch nicht, aber hoffentlich irgendwann.
Warum ist die Autorin interessant?
Charlotte Wood ist 1965 in Australien geboren. Sie hat sich in ihren Büchern schon immer mit Frauen und ihren Geschichten beschäftigt. Sie selbst hat mal gesagt, sie hätte die ersten Romane aus Liebe zur Sprache geschrieben, eines auch, um eine Freundin besser zu verstehen, die als Kriegsreporterin arbeitete. „The Australian“ bezeichnete Charlotte Wood „als eine unserer originellsten und provokativsten Schriftstellerinnen“.
Kostprobe:
„So würden die Tage ohne Sylvie also sein, mit dieser Distanz zwischen ihnen, die sich ausweitete und vertiefte. Sie blieb stehen und beobachtete, wie der Abstand zu den beiden anderen immer größer wurde. Auch sie gingen nicht gemeinsam. Bis jetzt hatte sie nie darüber nachgedacht, dass sich das ausgeleierte Gummiband ihrer Freundschaft eines Tages auflösen könnte. Es schien unmöglich. Aber etwas Totes hatte sich in ihre Gefühle füreinander eingeschlichen und schien sich auszudehnen. Es ließ sie an das Great Barrier Reef und die Korallenbleiche denken. Am liebsten hätte sie geweint: über die Hässlichkeit und die Verheerung all dieses Verlusts.“
Charlotte Wood: „Ein Wochenende“, übersetzt von Brigitte Walitzek, Kein & Aber, 288 Seiten, 14€
Rezension: Anja Goerz