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Palais F*luxx

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Lesen oder lassen?

Buchbesprechung: „Second-Class Citizen“



Worum geht es?
Buchi Emecheta erzählt die Geschichte einer jungen Nigerianerin, einer Igbo, die Anfang der 60er-Jahre durch den Tod ihrer Eltern schon früh auf sich gestellt ist und durch ihre Lust auf Bildung schon bald eine gute Arbeit hat – und ihre Familie finanziert.
Die junge Frau Adah steigt schnell innerhalb ihrer nigerianischen Lebensgemeinschaft auf, verdient viel Geld und ist respektiert. Ihre Sehnsucht nach Halt und Nähe, vor allem aber die Tradition lassen sie bereits mit 17 Jahren heiraten und ihr erstes Kind bekommen. Wider die Gepflogenheiten, die Tradition und die Ratschläge folgt sie ihrem Mann in das Land ihrer Sehnsüchte, nach England. Einem Land, in dem sie auf ungeahnten Rassismus trifft, in dem ihr nur die schlimmsten Behausungen zur Miete angeboten werden und in dem sie allenfalls innerhalb ihres beruflichen Umfeldes, als Bibliothekarin, Anerkennung und Respekt erfährt. Mit 21 Jahren hat sie bereits drei Kinder, das vierte und das fünfte folgen schnell, obschon ihre Ehe eine Zumutung und ihr Mann ein infantiler, gewalttätiger Nichtsnutz ist, dem Adah in allen Fragen des Lebens ebenso wie intellektuell überlegen ist.

Warum sollte mich das interessieren?
Generell ist, was hier zu lesen ist, weder neu noch überraschend. Es ist eine von x „Ich-finde-meinen-Weg“-Geschichten, von Emanzipationserzählungen, wie man sie schon dutzendfach gelesen oder im Film gesehen hat. Egal ob schwarze oder weiße Menschen, die Storys, in denen Männer ihren Minderwertigkeitskomplex in Gewalt umwandeln, sich in rasender Wut an Frauen auslassen, sind nichts Neues. Und das war es auch nicht, als das Buch 1974 geschrieben wurde. Neu war, dass Frauen im Zuge der zweiten Frauenbewegung selbst die Stimme erhoben, dass sie ihre Situation nicht länger schweigend ertrugen, sondern Veränderung verlangten. Dass Emechetas Roman autobiografisch ist, und zwar der einer Frau, die später zu den wichtigen weiblichen Schwarzen Stimmen Afrikas zählen wird, gibt der Erzählung eine Relevanz, die über die üblichen Erweckungs-Geschichten hinausgeht.

Warum ist es interessant?
Weil man einiges über die nigerianische Kultur, das Verständnis von Familie, aber auch von der Abgrenzung der Völker Nigerias untereinander erfährt. Es ist für jemanden, die in der BRD sozialisiert ist, eigenartig zu hören, welche Macht die Schwiegereltern haben. Welche Macht eine Schwiegermutter ausübt, selbst, wenn man Tausende Kilometer von ihr entfernt lebt. Es ist eigenartig, zu erfahren, dass Kinder nicht bei den Eltern blieben, sondern zu Pflegeeltern gegeben wurden. Wie selbstverständlich es ist, dass Männer, die nichts zuwege bringen und nicht an sich zweifeln, mehrere Frauen haben, dass die Familiengemeinschaft über eine Frau beraten und bestimmen darf, ohne dass sie auch nur gehört wird.
Und es ist interessant, weil es ein autobiografisches Buch ist. Buchi Emecheta, die zu den wichtigsten afrikanischen Erzählerinnen gehört, erzählt hier ihre eigene Geschichte und beim Lesen kommt Freude darüber auf, dass diese junge Frau trotz aller Umstände die Stimme des Schreibens in sich gespürt hat und ihr gefolgt ist.

Warum macht das Lesen Spaß?
Das Buch ist in einer einfachen Sprache geschrieben. Weder gibt es sprachliche noch gedankliche Kapriolen, es liest sich wunderbar weg, ohne oberflächlich oder schlicht zu sein. Gleichzeitig folgt man fassungslos diesem unfähigen Mann und Adah, die in schwer nachzuvollziehender Geduld das Leid erträgt.

Über die Autorin
Buchi Emecheta wurde 1944 in Lagos geboren, mit 17 Jahren bekam sie ihr erstes Kind, mit 22 Jahren hatte sie bereits fünf. Zu dieser Zeit trennte sie sich von ihrem gewalttätigen Mann, brachte sich und die Kinder allein durch und schloss ihr Soziologiestudium mit Auszeichnung ab. Der Roman „Second-Class Citizen“ wurde 1974 in London, 1975 in den USA veröffentlicht.
Emecheta schrieb Romane ebenso wie Kinderbücher, Hörspiele und Fernsehstücke für die BBC, 1981 wurde sie Professorin für Englische Literatur an der Universität Calabar in Nigeria. Sie starb 2017 in London und gilt als eine der wichtigsten literarischen Stimmen Afrikas. „Second-Class Citizen“ erscheint jetzt erstmalig auf Deutsch.

Kostprobe:
„Irgendwie schaffte Adah es, nach Hause zu kommen. Es dauerte sehr lange, da sie mehrere Pausen einlegen und sich ab und zu irgendwo hinsetzen musste. Sie klingelte, weil sie in ihrer Eile, Francis zu verlassen, den Schlüssel vergessen hatte. Sie ärgerte sich darüber. In England vergaß sie ständig ihren Haustürschlüssel. In Afrika hatte sie selten einen bei sich gehabt. Dort waren die Türen immer offen. An Nachmittagen waren alle auf ihrer Veranda, redeten, aßen Zuckerrohr, Kokosnüsse oder Bananen. In England schlossen sich die Leute ein. Sie machten ein Paradies aus ihrem Wohnzimmer, weil sie sich nicht oft draußen aufhielten, nicht so wie in Nigeria.“

Buchi Emecheta: „Second-Class Citizen”, aus dem Englischen übersetzt von Marion Kraft, Aufbau-Verlag, 285 Seiten, 23 Euro
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Rezension: Silke Burmester

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