Buchbesprechung „Mitternachtsschwimmer“ von Roisin Maguire
Grace lebt zurückgezogen in einem Dorf an der irischen Küste. Dorthin flieht Evan nach einem traumatischen Ereignis. Ihre Lebenswege kreuzen sich. Unsere Autorin Anette Frisch hat sich das angeschaut
Worum geht’s?
Die Geschichte spielt an der irischen Küste, im kleinen Ort Ballybrady. Dort lebt Grace, Mitte 50, zurückgezogen in einem Steinhaus am Meer zusammen mit ihrem Hund, den sie schlicht „Hund“ nennt. Sie fertig Quilts an, die sie online verkauft. Außerdem vermietet sie ihre umgebaute Scheune über Airbnb. In das zieht eines Tages Evan ein. Der erfolgreiche Unternehmer ist aus der Stadt geflohen, um einem traumatischen Familienereignis zu entkommen. In der Ehe kriselt es und Evan weiß nicht weiter. So treffen Grace, die Unnahbare, und Evan, der Unglückliche an diesem abgegelegenen Ort. Wie sich ihre Leben miteinander verweben und das der Dorfbewohner:innen, darum geht es in „Mitternachtsschwimmer“ der irischen Schriftstellerin Roisin Maguire.
Was kann es?
Erzählen. Wer gern Geschichten liest, die an der irischen Küste spielen, in denen Pubs vorkommen und die vermeintlichen Eigenheiten von Irinnen und Iren, findet „Mitternachtsschwimmer“ sicher gut. Der Roman ist gradlinig erzählt, es gibt einen Anfang und ein Ende, und dazwischen trauern Menschen, schwanken zwischen Nähe und Distanz, verlieren sich in Selbstironie, kommen in Lebensgefahr und müssen gerettet werden. Dramen der Vergangenheit reihen sich an Dramen der Gegenwart. Puh.
Was hat es mit mir zu tun?
Ich bin total verliebt in Irland und die Autorin Roisin Maguire liebt das Schwimmen genauso wie ich. Wenn Grace nachts ins Meer taucht, durch Regen und Sturm über die Felsen steigt oder Fische mit einem gezielten Schlag tötet … das sind Szenen, in denen das Archaische und Ungezähmte Irlands aufblitzen und das ich mit der „Grünen Insel“ verbinde. Auch die gesamte Aufmachung des Buches hat mir gefallen: das malerische Umschlagmotiv, der Prägedruck, das gelbe Lesebändchen, das lässige Foto der Autorin auf Seite 2.
Trotzdem hatte ich mit dem Roman meine Schwierigkeiten. Mir persönlich waren die Charaktere ein wenig zu vorhersehbar gezeichnet. Zudem mochte die Sprache nicht. Sie wirkte auf mich zu derb und teilweise aus der Zeit gefallen. Da taucht zum Beispiel das Wort „Hirni“ auf. Zunächst dachte ich, das sei ein Übersetzungsfehler, doch dann folgten „Rotzlöffel“, „Mädel“ oder „den Garaus machen“. Und da verstand ich, dass die Autorin die Sprache bewusst gewählt hat – was das Recht einer Schriftstellerin ist.
Warum sollte mich das interessieren?
Wenn du ein leicht erzähltes Buch einfach so weglesen möchtest und Rosamunde Pilcher-Bücher gut findest, dann ist „Mitternachtsschwimmer“ vielleicht etwas für dich. Oder wenn du Irland magst – auch dann könnte dir der Roman gefallen wegen der Naturbeschreibungen. Ich habe „Mitternachtsschwimmer“ nicht als tiefgründige Geschichte empfunden, die nachwirkt. Für mich war es so: schnell gelesen, schnell vergessen. Aber auch das ist völlig ok, finde ich.
Wer ist die Autorin?
Roisin Maguire lebt in Ballyhornan an der Ostküste Irlands. Sie hat Kreatives Schreiben an der Queen’s University in Belfast studiert und nebenbei als Türsteherin in einem Nachtclub gearbeitet; außerdem war sie Busfahrerin und Grundschullehrerin. Die 54-Jährige taucht, angelt und schwimmt das ganze Jahr über. Wenn sie nicht schreibt, praktiziert sie Hypnosetherapie. „Mitternachtsschwimmer“ ist ihr Debütroman.
Kostprobe
Sie hörte sie, bevor sie sie sah, eine Schar grellbunter Vögel, die sich aufgeregt fuchtelnd und gackernd am Strand tummelten.
„Dumme Gänse“, sagte sie.
Sie trat Wasser, blinzelte sich das Salz aus den Augen und beobachtete, wie sie Handtücher auseinanderfalteten, Handys in Yogataschen verstauten, Sandalen auszogen. Zehen ins Wasser tauchten und wegen der Temperatur jammerten. Jetzt wagten sie sich rein. Kichern und überraschtes Kiecksen, als das Wasser ihre weichen weißen Füße berührte. Neckische Hauben auf dem Kopf, die Schultern gebeugt und blass und schmal.
Mit einer flinken Vorwärtsrolle tauchte sie ab, tief, tiefer unter die Oberfläche, fand Ruhe im Glitzern der aufsteigenden Bläschen, spürte das eisige Kribbeln auf der Haut, dem Bauch, den Oberschenkeln.
Roisin Maguire, Mitternachtsschwimmer, Dumont, 352 Seiten, 24 Euro
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Besprechung: Anette Frisch