Buchvorstellung „Das Leben keiner Frau“
Worum geht es?
Melanie, stellvertretende Chefredakteurin einer Münchner Tageszeitung wird 50, realisiert, dass das Wort „Wechseljahre“ entgegen aller Erwartung auch für sie gilt – und schlittert in eine Lebenskrise, bei der ihr jeden Tag ein Stückchen mehr der Boden unter den Füßen wegrutscht. Das Buch beginnt mit ihrem theatralisch inszenierten Selbstmordversuch, erzählt werden die Wochen davor. Wir sind dabei, wenn der Schraubstock aus Suff, Sex und Selbstmitleid Melanie in ihrer inneren Isolation mehr und mehr die Luft abdrückt und die schmucken Wände ihrer teuer ausstaffierten Wohnung näherkommen.
Warum ist das interessant?
Weil die Autorin Caroline Rosales mit einer seltenen Gnadenlosigkeit ihrer Protagonistin und unserer Gesellschaft gegenüber zu Werke geht. Spitz und passgenau benennt Rosales in Form von Melanies Gedanken, die Härte, mit der die Gesellschaft auf alternde Frauen blickt. Sie formuliert das beißende Vergnügen, mit dem Frauen mitleidig abgewertet und aussortiert werden. Und wie im Vorbeigehen schwingt die Protagonistin die Machete der zynischen Betrachtung und macht all die kleinen Versuche, irgendwie in dieser Welt klarzukommen, sich einzurichten, vielleicht sogar, glücklich zu sein, mit leuchtenden Augen den Gar aus.
So muss sogar die Figur der erwachsenen Tochter Mona herhalten, um das Lebensmodell der achtsamen jungen Frau vorzuführen, und damit ein aktuelles Frauen- und Familienbild als niedlich-dämliche Versuchsanordnung darzustellen. Die 25-jährige Mona ist eine Frau, die mit Hingabe überbehütende Mutter ist, und mit einem Mann zusammenlebt, der, statt sich als Karrierehengst zu beweisen, was „mit Sinn“ macht. Für Melanie unsexy genug, um die Kleinfamilie in Grund und Boden zu stampfen und sich ernsthaft zu fragen, wieso ausgerechnet ihre Tochter so eine hirnlose, langweilige Person geworden ist.
Das Gute an Melanies Verdammungsfeldzug: Er ist – mitunter – ungeheuer wohltuend. Nach dieser ewigen glückliche-Mutter-stolz-auf-das-Kind-wir-sind-so-gute-Freunde-Beweihräucherung, die Frauen wie ich betreiben, ist es eine Wohltat, von einer Mutter zu lesen, die ihr Kind hingebungsvoll blöd findet. Die sich in Anbetracht einer Tochter, die sich im Familiengehäuse einrichtet, fragt, was sie falsch gemacht hat – und ihrem Kind allenfalls mit Unverständnis begegnet.
Natürlich ist das im Kern nicht schön und Melanie ist kaum eine Figur, die man mögen wird, im Gegenteil. Umso interessanter aber ist sie als literarische Figur. Und hier liegt der enorme Wumms des Buches, seine Kraft, sein Sog: Man sieht einer Frau dabei zu, wie sie zynisch und unfreundlich ist, eingebildet und eitel, wie sie es sich mit ihrem Umfeld verdirbt und es immer schwieriger wird, sie zu mögen – und das ist befreiend. Endlich mal ein weiblicher Kotzbrocken. Endlich einmal nicht die weiße Bluse. Endlich einmal mit dem Löffel in den Teller mit der Gulaschsuppe schlagen und in der nun braun gefleckten Bluse zum Termin gehen. Und natürlich den Job nicht bekommen.
Was hat das mit mir zu tun?
Ob die Geschichte von Melanie mit einem zu tun hat, oder nicht, inwieweit sie einen berührt, wird daran liegen, in welcher Form einem die Krise begegnet, die an den Wechseljahren zu hängen scheint, wie Scheiße am Schuh. Der Kern, der Melanie umtreibt, ist ihre vermeintlich schwindende Attraktivität und ihre Wirkung auf Männer. Melanie gehört zu der Sorte Frauen, die ihren Selbstwert aus dem Begehren der Männer zieht, von der Zugehörigkeit zu einem Mann und seinem Status. Und sie gehört zu denjenigen, die für ihren Selbstwert, ihren Wunsch nach Zugehörigkeit ebenso wie das Bestreben der Abgrenzung nach unten, auf die Kraft teurer Marken setzt. Sprich, sie ist eine Frau, die im Äußeren verhaftet ist, und nun, in der Krise in ihrem Inneren nichts anderes findet als einen trefflich ausgebildeten Zynismus, der nichts weiter kann, als einsam zu machen.
Die Autorin, 39 Jahre alt und mit dem vierten Kind schwanger, hat auf die Frage, wie es käme, dass sie in diesem Alter sich mit dem krisenhaften Prozess einer Frau in den Wechseljahren beschäftigt, gesagt, die Fragen, die ihre Figur umtrieben, die stelle sie sich auch. Das Leben, die Gefühle einer Frau, in einer solchen Krise, seien ihr nicht fern. Und da möchte man ausrufen: „Ach, die süßen Irrtümer der jungen Dinger!“ und sagen: Nein. Das, was in dieser Zeit mit einem geschieht, diese Wellentäler, dieses Hin- und Hergeworfen werden, diese Orientierungslosigkeit, dieser ersatzlose Verlust von dem, was eben noch die Identität ausgemacht hat, diese unglaublichen Fragezeichen – die ahnt man nicht. Die erahnt man noch nicht einmal. Die Art und Weise, wie man auf einmal in einem Sturm zu sein glaubt, wo man hin und her geworfen wird und nichts anderes bleibt, als sich am Boot festzubinden, in der Hoffnung, dass es nicht im Sturm zerbricht – davon hat man vorher keine Ahnung. Und so ist Caroline Rosales Buch in mancher Hinsicht doch sehr jung, ihre Protagonistin gedanklich und sprachlich mitunter zu modern und gleichzeitig fern von eben jener Gelassenheit, die dieses Alter auch bedeutet, aber es ist ein starkes Buch.
Wie ist es geschrieben?
Fulminant. Es ist eine sprachliche Wucht. Präzise und spitz. Kein Wortpaar ist zufällig, keine Paarung willkürlich. Da ist eine junge Frau „unverschämt zierlich“, ein neu eröffnetes Lokal riecht „nach Fett und Geldwäsche“. So blöd es auch klingt, es macht einfach Spaß, Melanie durch ihr abgefucktes Leben zu folgen, weil es so treffgenau beschrieben ist. Ob es die Situation ist, als sie ihren Rauswurf ahnend, zum Chefredakteur gerufen wird, ihre Beobachtungen der jungen Eilika, die Melanies Kolumnenplatz bekommen wird, oder die Erniedrigungen, die Melanie durch die spitzen Worte ihrer Mutter erfährt – immer gelingt es Caroline Rosales durch die Genauigkeit ihrer Wortwahl uns die Situation spüren und die Gefühle entstehen zu lassen, die so ein Erleben auslöst.
Kostprobe
„Sie hat den Ballast an mich weitergegeben, ihre Willkür, ihren Neid auf meine Jugend, vielleicht gebe ich jetzt meinen an Mona weiter, aber wer weiß das schon. Bei Frauen geht es nicht wie beim Theweleit‘schen Soldatenkörper darum, dass ein Mann die Schläge seines Vaters an seinen Sohn weitergibt. Es ist die Missbilligung, das Kleinmachen, das von einer Frauengeneration zur nächsten wie durch eine feuchte Zimmerdecke trieft.“
Caroline Rosales: „Das Leben keiner Frau“, Ullstein, 240 Seiten, 13,99 Euro
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Rezension: Silke Burmester