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Palais F*luxx

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F*luxx Galerie I Kerstin Bruchhäuser

Das Arbeitsmaterial von Kerstin Bruchhäuser sind Bettlaken, Jeansstoffe oder metergroße Tischdecken. Daraus schneidet und näht sie geometrische Wandbehänge oder riesige Frauenporträts. Zu ihrem Traumberuf ist die 47-Jährige spät gekommen – allen Widerständen zum Trotz.


You May Recognize Yourself, Kerstin Bruchhäuser

Gab es ein Leben vor deinem Künstlerinnendasein?
Ja. Ich habe ursprünglich Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie in Hamburg studiert und danach als Art Direktorin in einer Designagentur gearbeitet. Als ich mein erstes Kind bekam, habe ich den Job aufgegeben, bin erst für zwei Jahre ins Ausland und danach zurück an die Uni gegangen. Das war damals die Bauhaus-Uni in Weimar, dort habe ich mit einer künstlerisch-wissenschaftlichen Dissertation promoviert. Von da an habe ich dann nichts anderes mehr gemacht als Kunst.

Ui! Das klingt nach einem harten Programm?
Das war wirklich wahnsinnig anstrengend und auch unheimlich naiv von mir zu denken, die Dissertation sei weniger zeitraubend als die Arbeit in der Agentur.

Welches Thema beschäftigt dich und deine Kunst?
Ich bin zufällig auf das Thema Aussteuer gestoßen. Bis 1958 war es gesetzlich festgelegt, dass Eltern ihrer Tochter bei der Heirat Haushaltswäsche mitgeben mussten. 1958 ist das erste Gesetz zur Gleichberechtigung in Kraft getreten – die Aussteuer war damit passé. Das Recht auf eine Ausbildung auch für Frauen war ja längst überfällig und mit diesem Gesetz erfolgten erste Mäuseschritte in Richtung Unabhängigkeit.

Eine Auswahl

Deine Arbeiten entstehen zum großen Teil aus Aussteuer, die du zu diesem Zweck gespendet bekommen hast.
Ja, das hat sich herumgesprochen. Frauen geben mir ihre Bettwäsche und Tischdecken häufig mit dem Kommentar „Wenn ich sterbe, wird die eh weggeworfen“. Ich habe viel Material von Fremden bekommen. Das war für mich ein Zeichen, dass es bei den Frauen ein Bedürfnis gibt, das aus dem Alltag stammende Textil in einen anderen Kontext zu überführen. Weil es im Haushalt seine Zeit getan hat, es aber dann auch mit Erinnerungen versehen ist, die viele nicht einfach wegwerfen und damit aufgeben möchten.

Das wirkt wie eine materielle Übersetzung des Vergangenen ins Heute …
Richtig, die grafischen Arbeiten entstehen größtenteils aus Stoffresten. Wenn ich beispielsweise aus einem Bettlaken eine Figur schneide, dann fällt Stoff ab, den ich in einem nächsten Werk wieder aufnehme. Es geht mir darum, so viel wie möglich von dem Material zu erhalten. Ich habe unglaublich viele Stoffreste und diese werden erst entsorgt, wenn sie wirklich zu klein sind, um noch etwas damit anzufangen.

Hast du eigentlich am Bauhaus studiert, weil so tolle Textilkünstlerinnen wie Anni Albers auch dort waren?
Schön wär’s. Mein Doktorvater hat es bereut, mein Thema angenommen zu haben. Er fand es furchtbar, als sich meine Promotion in eine stark weiblich konnotierte Richtung entwickelte.

Manche Künstler*innen sagen, ihre Arbeit sei körperlich sehr anstrengend. Und tut’s weh?
Auf jeden Fall! Meine Arbeiten sind von den Abmessungen her sehr groß, das heißt, ich muss jede Menge Material auf der Nähmaschine bewegen. Ich arbeite außerdem auch mit gebrauchten Jeansstoffen, davon habe ich in sehr intensiven Projektphasen schon Sehnenscheidenentzündungen bekommen. Wegen der großen Formate arbeite ich viel auf dem Boden, dann wieder hoch, dann feststecken, dann an die Maschine und so weiter und so fort, das geht phasenweise ganz schön auf die Knochen.

Gibt es so etwas wie ein Aha-Erlebnis, das du in puncto Kunst erfahren hast?
Ich wollte von klein auf Künstlerin werden. Meinen Eltern ist es aber erstmal ganz gut gelungen, mir diesen den Wunsch auszutreiben. Sie hatten einfach keinen Bezug zur Kunst und haben mich nicht unterstützt. Selbst vor dem Designstudium musste ich eine kaufmännische Ausbildung machen. Im Grunde habe ich mir erst 20 Jahre später erlaubt, Künstlerin zu werden und endlich die Ideen, die ich in meinem Kopf und in meinem Herzen habe, umzusetzen. Irgendwann war mir einfach klar, dass ich Kunst machen muss.

Gibt es in Bezug auf deine Arbeit ein Versäumnis, das dich immer noch beschäftigt?
Dass ich erst mit Anfang 40 mit der Kunst begonnen habe.

Social Abstinence Infinite Longing, Kerstin Bruchhäuser

Falls du eine unvollendete Arbeit hast, bei der du nicht sicher bist, ob du sie fertigstellen wirst, welche ist das?
Entweder es flutscht und die Arbeit wird fertig oder eben nicht, dann stimmt damit etwas nicht. Das kann an der Idee, dem Material oder der Umsetzung liegen. Sie landet dann in einer der Kisten, und davon gibt es erstaunlich viele, auf denen „textile Objekte“ oder „unfinished projects“ steht. Ich habe ein großes Spektrum an Umschreibungen für unvollständige Projekte auf diesen Kisten …

Womit lässt du dich in einem Moment der inneren Leere inspirieren?
Wenn ich diesen Moment der inneren Leere hätte, würde ich ihn gern einfach nur zulassen. Auch Langeweile hätte ich gern, das stelle ich mir sehr entspannend vor!

Welche (Kunst-)Ikone würdest du gern treffen? Worüber würdest du mit ihr reden wollen?
Tracey Emin und Louise Bourgeois. Louise Bourgeois hat immer Kunst gemacht, sich an autobiografischen Themen abgearbeitet und ist als Künstlerin spät anerkannt worden. Sie war verheiratet, hatte wie ich zwei Söhne, litt unter Schlaflosigkeit, war unglaublich produktiv. Ich mag ihre pragmatischen Ansichten. Zur Kunst von Männern und Frauen sagte sie zum Beispiel, dass es egal sein sollte, von wem die Kunst stammt. Ich weiß, das ist ein schmaler Grat, aber ich würde ihr recht geben: Eigentlich dürfte das gar keine Rolle spielen, aber so funktioniert es ja leider nicht.

Und bei Tracey Emin?
Sie führt die autobiografische, künstlerische Auseinandersetzung auf ein anderes Level. Ihre Kunst empfinde ich als sehr extrem, unglaublich direkt und an manchen Stellen sogar abstoßend.

Wenn Du nicht künstlerisch arbeiten würdest, würdest du…
…nichts anderes tun. Ich habe schon zu viel Zeit auf andere Sachen verwendet. Ich bin jetzt nicht mehr bereit, diese Richtung zu verlassen.

Welche Frage haben wir nicht gestellt, die dir aber wichtig ist?
Zweifelst Du an Deiner Kunst?

Wie ist deine Antwort darauf?
Ja, ich hatte Angst, dass meine Kunst als belanglos wahrgenommen wird, weil sie nicht schrill und provokant ist, sondern leise, dezent und zurückhaltend. Irgendwann habe ich einer Frau aus dem Kunstbereich von meinen Zweifeln erzählt. Sie fragte mich, ob die Arbeiten von Mark Rothko provokant seien und deswegen keine Berechtigung hätten. Natürlich nicht! Wenn man auf seine eher meditativen Arbeiten guckt, dann passiert etwas mit den Betrachtern. Aus dieser Perspektive versuche ich seitdem, meine Arbeiten zu betrachten.


Kerstin Bruchhäuser hat an der HAW in Hamburg studiert und ihren PhD in Art und Design an der Bauhaus-Universität in Weimar gemacht. Ihre Arbeiten werden international ausgestellt. Zuletzt waren ihre meterhohen Stoffwerke an verschiedenen Institutionen in Ausstralien und Nordamerika zu sehen. Weitere Informationen findet ihr auf der Website von Kerstin Bruchhäuser.

Kuratorin unserer Palast-Galerie ist Anette Frisch, sie hat auch das Interview geführt.

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