Wenn die Gelenke Trauer tragen
Frau Hellmann, 48, aus der Finanzabteilung beklagt sich: „Mein Orthopäde und ich sind inzwischen per Du, meine Patientenakte liegt stets griffbereit. Erst knirschten die Zehen, dann taten mir nachts die Finger weh.“ Susanne, 52, aus dem Marketing trampelt morgens wie ein Nilpferd ins Büro, bevor sie nachmittags elegant zur Besprechung tänzelt: „Meine Achillessehnen schlafen inzwischen einfach länger als ich.“ Andrea, 47, aus der Werkstatt spielt weder Tennis noch Golf, kann aber momentan die Werkzeuge nur noch mit Schmerzen nutzen – Tennis- bzw. Golfarm lautet die Diagnose. Und der neueste Trend bei den Kolleginnen im Büro sind Schleimbeutelentzündungen am Ellenbogen. Nennt man auch „student‘s elbow“, weil der Ellenbogen gereizt reagiert, wenn man sich immer wieder auf ihm abstützt.
Gereizt durch Hormonmangel
Als Wechseljahresberaterin reagiere auch ich inzwischen gereizt. Bei vielen Frauen um die 50 zwickt es hier und ziept es da und die ärztliche Empfehlung ist stets die „orthopädische Dreifaltigkeit“: Ruhe, Kühlen und entzündungshemmende Salben. Verschleiß heißt es, kommt eben mit dem Alter. Charmant. Dabei deuten in diesem Alter Gelenkbeschwerden häufig eben nicht auf den drohenden Verfall hin, sondern können Reaktionen auf die hormonellen Veränderungen in den Wechseljahren sein. Dennoch werden die Frauen viel zu häufig mit der Diagnose „beginnender Gelenkverschleiß“ abgespeist, obwohl bei erstaunlich vielen von ihnen keine nachweisbaren Verschleißerscheinungen vorhanden sind.
Nachweisbar sind dafür aber die sinkenden Spiegel der Hormone. Insbesondere das zu den Östrogenen zählende Östriol spielt hier eine Rolle. Es ist für die Versorgung der Haut und der Schleimhäute zuständig. Ist weniger Östriol vorhanden, herrscht schnell Dürre in den Gelenken. Weniger Wasser, weniger Nährstoffe, weniger Gelenkschmierstoff. Und das merken wir – besonders in Zeiten, in denen das Östriol stark abfällt. Die Gelenke schmerzen. Mal hier und mal dort – diese Schmerzwanderungen sind übrigens ein gutes Unterscheidungsmerkmal zum Rheuma. Morgens kommen wir uns Jahre älter vor und brauchen die Zeit, die uns sonst die Schlummertaste geschenkt hat, nun für das volle Vorbereitungsprogramm. Gelenke kreisen, Sehnen dehnen, Muskeln lockern. Oder kühlen und cremen, weil jetzt auch häufiger Gelenk- bzw. Sehnenscheidenentzündungen auftreten können.
Was Frauen tun können:
Wie bei vielen körperlichen Beschwerden sollte am Anfang der Besuch in der ärztlichen Praxis stehen, gerade bei akuten Entzündungen und um abzuklären, dass keine rheumatische Erkrankung vorliegt. Dann haben wir es aber schon selbst in der Hand: Bei nicht entzündeten, aber schmerzenden Gelenken und Muskeln gibt es Alternativen, zum Beispiel Massagen mit Arnikaöl oder Beinwell. Auf Dauer kommen wir aber nicht an den zwei großen Themen vorbei: Ernährung und Bewegung.
Entzündungshemmend und nährstoffreich
Durch den fehlenden Gelenkschmierstoff reiben die Gelenkhäute stärker aufeinander, was leicht zu Entzündungen führt. Daher packen wir uns nun alles auf den Teller oder in die Handtasche, was entzündungshemmend wirkt: Vitamin E-haltige Lebensmittel, zum Beispiel Keimöle oder Nüsse, Omega-3-Fettsäuren aus Lachs, Lein- und Nachtkerzenöl. Ein guter Tipp ist auch Hagebuttenpulver, in Joghurt oder Getränke eingerührt. Gemüse, gerade grünes, darf jetzt vermehrt auf den Speiseplan, dagegen gehen wir bei Fleisch, Kaffee und Alkohol eher in die Fastenzeit, um eine Übersäuerung des Körpers zu vermeiden.
Bewegung und Haltung
„Sport? Mir tut doch eh schon alles weh!“ Gerade dann sollten wir uns mehr und besser bewegen. Aber es muss weder das Training für den nächsten Marathon noch das Stemmen von 100 kg-Hantelstangen sein, sondern vor allem das Training der Beweglichkeit. Damit stehen Yoga, Tai Chi oder das morgendliche Stretchingprogramm im Mittelpunkt. Ein Tipp: Schultern, Nacken, Beine – dafür kennen wir Dehnübungen noch aus der Schule. Jetzt dürfen aber auch die Hände und Finger in den Sportraum – gerade, wenn sie häufig in die Computertastatur hauen oder immer wieder dieselben Werkzeuge halten müssen. Ein gutes Dehnprogramm gibt es hier .
Auch die Hormonersatztherapie kann helfen. Nachweislich gut wirken einige Phytohormone, zum Beispiel die Yamswurzel oder für Frauen nach der Menopause Cimicifuga und Rhapontik-Rhabarber. Nach guter Beratung kann auch eine lokale Hormontherapie mit einer Östriol-Creme eine gute Wahl sein.
Was Unternehmen tun können:
Wechseljahresbedingte Gelenk- und Muskelbeschwerden sind ein wunderbares Beispiel dafür, dass es allen Mitarbeiter:innen guttun kann, wenn Unternehmen mehr auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen in den Wechseljahren eingehen. Ergonomie am Arbeitsplatz, Förderung der Bewegung und bewusste Ernährung sind die drei Themenbereiche, die im Fokus stehen.
Ergonomie ist im Büro meistens mit dem „guten“ Sitzen verbunden, in der Produktion geht es um rückenschonendes Bücken und Heben. Aber auch ergonomisch gestaltete Werkzeuge, Tastaturen und Mäuse können Krankschreibung vermeiden.
Bewegung muss nicht viel kosten, schon kleine Aktionen können in Schwung bringen: Das Chatprogramm lässt sich erst nach dem Bewegungstipp des Tages öffnen, in den Toiletten laden Übungsanleitungen dazu ein, beim hygienekonformen Händewaschen Lockerungsübungen für den Nacken zu machen und aus der nächsten „Sitzung“ wird die „Bewegung“, zum Beispiel bei einem gemeinsamen Spaziergang. Interessanter Nebeneffekt für alle Changemanager:innen: Bewegung tut nicht nur dem Körper gut, sondern erhöht auch die geistige Beweglichkeit, so die Erkenntnisse aus dem Embodiment, wo sich mit der Wechselwirkung zwischen Psyche und Körper beschäftigt wird. Nicht zu unterschätzen in Zeiten des ständigen Wandels.
Auch der Blick auf Kantine, Snackautomat und Co. lohnt sich für Gesundheitsmanager:innen und Einkaufsprofis, die sich (nicht nur) für die Mitarbeiterinnen in den Wechseljahren engagieren wollen. In vielen Unternehmen stehen moderne Kaffeeautomaten, die mit Angeboten von Vanillechococino oder Latte-Schoko-Chai mit der Extraportion Zucker locken. Ein simpler Wasserkocher und gelenkerfreuende Tees (auch als fertige Mischungen zu erhalten) sind nicht so sexy, aber machen es den betroffenen Frauen einfacher, sich auch im Job gelenkfreundlich zu ernähren. In die Snackautomaten kann man statt säurebildender Schokoriegel entzündungshemmende Nussmischungen legen. Und in der Kantine kann das Küchenteam sich kreativ austoben. Eine gute Auswahl an Gemüsegerichten kann dabei helfen, die Reizbarkeit der Gelenke und damit vielleicht auch die der Frauen zu lindern.
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