Schlechte Laune? Frauengold!
Überfordert, unterfordert? Frauengold!
Braten trocken? Frauengold!
Carola Dorner über die gezielte Betäubung von Frauen – zum Wohle der Gesellschaft.
Also der Männer
Über Jahrzehnte hinweg zementierte das hochprozentige Wundermittel das Bild der unterwürfigen Frau. Bis heute wirkt der Fusel gesellschaftlich noch nach.
Eigentlich eine schöne Idee. Da bringt eine Firma aus Karlsruhe ein Stärkungsmittel auf den Markt, das Frauen den Alltag erleichtert. Die Sorgen lauern überall, wo Frauen in den drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zugelassen sind: im Haushalt, im Delikatessladen, im Vorzimmer. So zumindest zeigt es die Frauengold-Werbung. Sie schlägt auch gleich die Lösung vor: »Frauengold nehmen und man kann objektiv urteilen und steht über den Dingen.« Es gibt kaum eine Sorge, die nicht durch eine Kurflasche Frauengold in schummeriges Licht getaucht würde. Kein Wunder, denn das Mittel hatte neben ein paar Kräutern und weitgehend wirkungsfreien Zutaten 16,5 Prozent Volumenalkohol. Nüchtern war die Enge der Nachkriegsjahrzehnte für Frauen kaum zu ertragen.
»Wohlbehagen an allen Tagen«
Nach ein paar Gläsern sieht die Hausfrau in der Fernsehwerbung die Katastrophen des Alltags mit einer großen, nun ja, Objektivität – zumindest aber mit großer Gelassenheit. Die Falten verschwinden vor lauter Vitalität, der tollpatschige Ehemann wird nicht beschimpft, als er eine Vase umschubst, sondern kurzerhand aufs Sofa gezogen. Prost. Ähnlich verschwommen sieht eine Einkäuferin den Mangel an Kapern, und statt den Laden zusammenzukreischen, versteht sie: Das kann dem bestsortierten Feinkosthandel passieren. Kocht sie halt keine Königsberger Klopse zu Mittag. Prost. Auch die Sekretärin, die eben ihren Chef anschreien wollte, dass sie sich nicht alles gefallen lassen muss, sieht nach einem Schluck ein: doch. Sie muss sich alles gefallen lassen. Demütig entschuldigt sie sich und nimmt alle Fehler auf sich. Prost!
»Trink Frauengold und du blühst auf«
Warum aber ging die gestresste und frustrierte Hausfrau, Mutter und Sekretärin nicht einfach mit ihren Freundinnen auf einen Aperol Spritz in die nächste nette Bar, wenn sie am Feierabend runterkommen wollte? Es war unmöglich. Dass Frauen in der Öffentlichkeit Alkohol tranken, war gesellschaftlich nicht vorgesehen. Der Kulturanthropologe Gunther Hirschfelder forscht an der Uni Regensburg über die Bedeutung von Alkohol im Wandel der Zeit. »Im 16. Jahrhundert war es für eine Frau in Köln kein Problem, in einer Schenke ein Glas Wein zu bestellen. Diese Freiheit wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder beschnitten und aufs Neue erkämpft.« Statusveränderungen würden für Frauen oft einher- gehen mit einem veränderten Trinkverhalten. »In den 20er-Jahren sehen wir den Bubikopf, das Rauchen in der Öffentlichkeit und Liköre. In der Nazizeit werden diese Freiheiten kassiert. In den 50ern ist die Nazi-Symbolik verschwunden, die Gesellschaft aber bleibt« – die Menschen bleiben die gleichen, viele Werte auch.
Frauen werden in eine häusliche Rolle gezwungen und Alkohol wird mit Freizügigkeit in Verbindung gebracht. Trinken gehört sich nicht – für sie. »In dieser Zeit kommt der Eierlikör auf dem Pudding in Mode. Und Frauengold.« Wenn das Haushaltsgeld reichte, tingelte die Frau von Apotheke zu Drogerie zu Reformhaus und deckte sich mit dem Stimmungsaufheller ein – für etwas mehr als 20 Mark pro Dreiviertelliterflasche. Das war ein Batzen Geld für einen simplen Likör.
»Frauengold trinken und objektiver urteilen«
Die Kulturwissenschaftlerin Alexandra Regiert promoviert in Regensburg über den Wandel von Paarbeziehungen zwischen 1945 und 1989. In Frauengold sieht sie eine Antwort auf die dauerhafte Unzufriedenheit von Frauen, die in der neuen Bundesrepublik so eingeschränkt waren wie selten zuvor. »Als 1953 Frauengold auf den Markt kam, war das Kreislauftonikum mit Prozenten für Frauen die einzige Möglichkeit, sich die frustrierende Situation schönzutrinken.« Das Universum der Frau war der Haushalt und ihr Platz in der patriarchalen Hierarchie unter Mann und Chef. Frauengold half dabei, dieses System auszuhalten – und es zu zementieren. Frauengold war kein Zaubertrank, sondern ein Betäubungsmittel.
Es ist kein Zufall, dass Frauengold nicht zum Aufbegehren verführte, sondern zum Verharren in der unerträglichen Situation. Genau dafür war es gedacht. Ein Schmiermittel gegen das ungute Knirschen im Getriebe. Der Geniestreich kam aus der Firma Homoia, aufwendig ausgedacht, beworben und vermarktet von Männern, die Interesse daran hatten, dass sich nichts ändert. Besser noch, der goldene Käfig wurde als erstrebenswert verkauft. Frauengold hatte eine bestimmte Zielgruppe: die Frau, die wusste, dass Gold seinen Preis hat.
In den 50ern, als die Kaufkraft noch schwächelte, mussten Frauen sich Frauengold leisten können – oder es sich wie Schmuckstücke schenken las- sen. Das Gold in der Flasche war Luxus. In den 60ern, als das Wirtschaftswunder in Gang kam und Frauen – mit dem Einverständnis des Ehemannes natürlich – wieder Geld verdienen durften, wurde Frauengold zum Massenprodukt, in den 70ern bekam es etwas Trashiges, Katzengoldglänzendes. 1981 wurde das Kreislauftonikum verboten. Es enthielt Auszüge aus der Osterluzei, einer vermeintlichen Heilpflanze – die heute als krebserregend gilt. Da hatte es sich ohnehin überholt. Inzwischen durften Frauen in Kneipen gehen und Wein bestellen. Wie im Mittelalter. Ein Akt der Emanzipation.
»Frauengold schafft neuen Lebensmut«
Und heute? Die Journalistin Eva Biringer hat in ihrer gerade erschienenen Alkoholikerinnen- Autobiografie den Zusammenhang von Emanzipationsbestrebungen und weiblichem Alkoholismus bitterpräzise ausgeführt. In den meisten Teilen der Gesellschaft geht Alkoholismus zurück. Aber unter erfolgreichen Frauen nimmt er zu. Männer trinken noch immer mehr als Frauen, aber die Frauen holen auf. Eva Biringer führt das zum Teil auf den Kampf um Gleichstellung zurück. Eine Frau trinkt in der heutigen Zeit, weil sie es kann. Weil sie es sich leistet und weil sie die gleichen Rechte einfordert wie die männlichen Kollegen. Trinken als Akt der Selbstermächtigung. Mit allen Konsequenzen für den sonst sportlich kontrollierten Körper. Während der Lockdowns der vergangenen zwei Jahre mischt sich in den Emanzipationscocktail wieder ein Hauch von Frauengold: Trinken, um nicht aufzubegehren in einer Zeit, in der viele Mütter in eine Rolle gedrängt wurden, die erschreckend an die der Hausfrau aus dem Jahr 1953 erinnert.
Das erste Glas gegen die Umstände, das zweite auf die Selbstermächtigung. Das widerspricht sich? Nicht, wenn es Mittel für und gegen alles gibt. Frauengold schafft Wohlbehagen. Wohlgemerkt an allen Tagen. Darüber sollen wir mal nüchtern nachdenken.
Text: Carola Dorner ist freie Journalistin und Dozentin und ihre Artikel u.a. für den „Spiegel“ tragen so schöne Titel wie „Die Kaiserin und die Pocken“ und „Schreiben und Klappe halten“ über das Leben einer Ghostwriterin. Da freuen wir uns, dass wir Ihren Text „Hicks“ für uns einfangen konnten.
Diesen Text hat Carola für das gesellschaftspolitische Magazin „Science Notes“ geschrieben, die so toll sind, ihn uns zur Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen. Dafür beschwipsten Dank!