Brigitte Mierau
Brigitte Mierau wurde 1951 in Hamburg geboren. 2013 absolvierte sie ein First Class Honours Degree in Fine Art am Camberwell College, University of the Arts in London. Zudem besuchte sie die Royal Drawing School in London, bis sie ihre Faszination für gestickte Bilder entwickelte.
Die in Hastings, England lebende Künstlerin stickt auf Stoff in Bild und Wort ihre Auseinandersetzung mit Kunst, Bildung, sozialen Ungerechtigkeiten und dem aktuellen Weltgeschehen. Der offizielle Titel des Wandteppichs, den wir hier zeigen, lautet: »Preliminary Notes to Self for the Making of The Brexit Tapestry«. Unter dem Titel »The Brexit Tapestry« wurde er in der London´s Camberwell Space Gallery gezeigt.
Die 22 handgestickten A3-Seiten berichten in Notizblockform von den Anfängen des Brexit vor dem Referendum in den 60er-Jahren, bis zu den ersten politischen Verhandlungen zur Umsetzung im Dezember 2017 und gibt das persönliche Erleben dieses Prozesses der Künstlerin als Deutsche, die mehr als die Hälfte ihres Lebens in England verbracht hat, wieder. Legt man die Seiten nebeneinander, ergibt sich eine Länge von etwa sechs Metern.
Fünf Blätter des Wandteppichs „The Brexit Tapestry“
WER WIE WAS WIESO WESHALB WARUM
Gab es ein Leben vor dem Künstlerinnendasein?
Oh, ja! Ich bin erst sehr spät zur Kunst gekommen – in meinen frühen 50ern. Vor meinem Künstlerinnendasein habe ich über 20 Jahre als Tiefengewebsmasseurin gearbeitet, davor war ich für eine Gewerkschaftsszeitung und fürs Fernsehen unterwegs und ich habe einen kleinen Independent-Plattenshop gemanagt.
Welches Thema beschäftigt Dich und Deine Kunst?
Bis vor kurzem waren meine Themen überwiegend politisch oder persönlich geprägt. Vor einiger Zeit bekam ich den Auftrag, eine Arbeit über den Brexit zu machen. Dies bedeutete, dass ich sehr viel recherchierte und mindestens acht Stunden am Tag, an sieben Tagen die Woche stickte und das über einen Zeitraum von neun Monaten. Als ich herausfand, wie viel wir belogen worden waren, wurde es für mich zu einem Alptraum. Zu guter Letzt habe ich fast eine Allergie gegen die Britische Politik entwickelt, sodass ich mich nunmehr den Themen widme, die mich erfreuen. Derzeit arbeite ich an einem kleinen, rein wortbasierenden Werk. Ein Haiku des englischen Dichters John Cooper Clarke:
„Haiku“
To con-vey one’s mood
In sev-en-teen syll-ables
Is ve-ry dif-fic
Meine Werke sind ausschließlich gestickt, wobei ich Motive in einer punky/blingy/irreverant Ästhetik umsetze. Der Prozess des Stickens beglückt mich. Und Humor ist mir sehr wichtig.
Was war Dein Aha-Erlebnis in puncto Kunst?
Ich bin in einem Arbeitermilieu in Hamburg aufgewachsen. Kunst existierte einfach gar nicht. Ich glaubte, dass Künstler*innen so etwas wie „Auserwählte” seien. Nachdem ich nach England ausgewandert war, schleppten mich meine Freund*innen in Ausstellungen. Als ich vor einigen Werken stand, dachte ich: „Warum wird so ein Aufsehen darum gemacht??? Das kann ich auch!“ Ich war so ignorant und arrogant. Ich fühlte mich nie als ein Teil der „Auserwählten“ und habe es auch bis dahin nie versucht. 2002 zog ich nach St. Ives in Cornwall. In St. Ives hatte sich in den 1920ern eine berühmte Künstlerkolonie gebildet und bis heute lebt dort immer noch eine starke Gemeinschaft von Künstler*innen. Ich verstand, dass jede*r ein*e Künstler*in sein kann. Ich begann zu zeichnen, und als ich wieder nach London umzog, schrieb ich mich an der Royal Drawing School ein. Kunst hat mein Leben transformiert.
Welche (Kunst-)Ikone würdest Du gern treffen? Worüber würdest Du mit ihr reden wollen?
Wenn ich nicht vor Ehrfurcht im Boden versinken würde, so wäre es Nick Cave. Als nahezu gehörloser Mensch kann ich seiner Musik nicht so gut folgen. Aber er ist ein erstaunlicher Allround-Artist und hat so vieles in seinem Leben durchgemacht. In seinem Newsletter The Red Hand Files (www.theredhandfiles.com) lädt er Menschen ein, ihm Fragen zu stellen. Einige seiner Antworten hauen mich geradezu um. Und er hat eine große Wertschätzung für Kindness! Also Güte, oder Freundlichkeit. Eine Qualität, die so sehr unterschätzt wird.
Wenn Du Dir eine*n Prominente*n aussuchen könntest und dieser Person eine kreative Aufgabe geben würdest, wie sähe dies aus?
Im Juni 2019, kurz bevor er zum Prime Minister gewählt wurde, stellte man Boris Johnson in einem Interview die Frage, was er zur Entspannung für sich tut. Er sagte, dass er Modelle von Bussen bauen würde. Aus dem Mund von Boris können diese Worte nicht der Wahrheit entsprechen. Zur Überprüfung dessen würde ich darum bitten, dass Boris Johnson sich beim Bauen dieser Busse filmen lässt. Watching that would be hilarious!