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Palais F*luxx

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F*luxx Galerie I Anke Feuchtenberger Genossin Kuckuck

Die Comiczeichnerin Anke Feuchtenberger nähert sich in ihrer Graphic Novel Genossin Kuckuck bildgewaltig den Erinnerungen einer fiktiven Kindheit und Jugend. Gut 13 Jahre hat sie an ihrem Opus Magnum gearbeitet, das für den diesjährigen Leipziger Buchpreis nominiert war. Aber Genossin Kuckuck ist weit mehr als ein Buch – es ist der Weg einer Künstlerin, sich Erinnerungen zu erzeichnen und dabei Nuancen zwischen Leichtigkeit und Trauer zuzulassen, bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus.

Anke Feuchtenberger mit einem ihrer drei Hunde in ihrem Atelier. Foto: Nik Pitton

Frau Feuchtenberger, Sie haben 13 Jahre an Genossin Kuckuck gearbeitet. Wie geht es Ihnen jetzt damit?
Langsam kann ich es mir fremdgucken. Das ist ganz gut.

Was bedeutet fremdgucken?
Na ja, ich war so lange in dieser Welt drin, dass manchmal ein bisschen Abstand gefehlt hat. Ich sitze gerade an der italienischen Übersetzung und muss immer mal wieder ins Buch hineingehen. Ich merke, dass ich es jetzt mehr schätzen kann. Ich war irgendwann nur noch froh, dass es fertig ist.

Das ist schön formuliert für ein Buch, das Ihre Kindheit und Jugend erzählt.
Das Buch erzählt nicht meine Kindheit und Jugend. Ich habe alle Figuren erfunden und manche Details der Realität entlehnt. Genossin Kuckuck ist für mich wichtig. Aber all meine Projekte haben sehr viel mit mir zu tun. Das gilt auch für die Bücher, die ich mit der Schriftstellerin Katrin de Vries mache. Ich kann also gar nicht sagen, dass Genossin Kuckuck anders mit mir verbunden ist oder für mich persönlich wichtiger ist. Ich könnte gar nicht arbeiten, ohne diese tiefere Beziehung zu mir selbst und meiner Arbeit.

Dennoch, war das nicht eine unglaubliche Arbeit, sich 13 Jahre lang mit sich selbst zu beschäftigen?
Ich würde das nicht so bezeichnen, dass ich mich 13 Jahre lang mit mir selbst beschäftigt habe. Ich glaube, dass jede Kunst in irgendeiner Weise vom Leben der Künstler:innen durchdrungen ist. Ich habe in den 13 Jahren Fulltime an der Hochschule unterrichtet und mich um die teilweise sehr erfolgreichen und nun prämierten Projekte der Studierenden gekümmert. Dass ich „nebenbei“ Zeit fand, dieses Buch zu machen, erscheint mir das Unglaubliche daran. Aber das ging nur, weil ich auf Urlaub und Wochenende verzichtet habe. Zwischendurch habe ich auch andere Bücher gemacht. Und es war gut, bestimmte Lebensthemen auszulagern und nicht alles in einem Buch abzuhandeln. Ich glaube, manche Themen brauchen eine andere ästhetische Herangehensweise.

Genossin Kuckuck besteht aus 800 Zeichnungen, die Sie alle mit der Hand und nicht am Computer gezeichnet  haben. Die meisten davon sind mit Kohle entstanden.
Es geht für mich nicht anders, als analog zu arbeiten. Wenn ich mir eine Zeichnung angucke, die digital gemacht worden ist, kann ich mir das nicht genussvoll anschauen. Das machen viele meiner Studierenden und ich erkenne es sofort. Man kann digital bestimmte Mal- oder Zeichentechniken nachahmen, aber das reale Verhältnis des Bildes zum lebendigen Körper, das funktioniert nicht.  

Sie waren Ende 40, als Sie mit den Erinnerungen an Kindheit und Jugend begonnen haben. Hatte Ihr Alter mit dem Wunsch zu tun, Ihrer Herkunft nachzugehen?
Auf jeden Fall. In meinen ersten beiden Büchern „Herzhaft Lebenslänglich“ und „Mutterkuchen“ ging es schon um die Beziehung zur Mutter. Damals war das eine sehr starke autobiografische Auseinandersetzung für mich. Die kam aber ein bisschen flapsig, distanziert und stilistisch sehr radikal daher. In meiner Familie ist sehr viel über die Leben meiner Eltern und deren Verwandten rund um den Krieg erzählt worden. Das war dann das Leben. Als hätte unsere Generation, die den Krieg nicht erlebt hat, kein eigenes Leben, keine eigene Biografie, keine Erinnerung. Das wurde uns geradezu abgesprochen. Und da fand ich, jetzt ist es an der Zeit. Nun bin ich selbst Großmutter und kann etwas über meine Erfahrungen berichten.

Kann der Krieg ein Grund dafür sein, dass die Erinnerungen an Ihre Kindheit und Jugend so düster geraten ist?
Für mich war der Krieg wie eine wirkliche Kindheitserfahrung. Ich hatte das Gefühl, ich sei selbst im Krieg gewesen, ich würde das alles kennen, weil das Thema in der Familie so präsent war. Meine Mutter ist Vollwaise, mein Vater Halbwaise, ich bin teilweise bei einer Großmutter aufgewachsen, die viel über den Krieg erzählt hat. Es war wichtig, mir darüber klar zu werden, wie nah das noch alles meinem Leben ist. Viele beschreiben Genossin Kuckuck als düster. Das ist mir auch gestern in der Ausstellung hinterhergeschickt worden. Als einziges Feedback für diese Ausstellung, dass sie doch sehr düster ist. Aber ich wäre sehr fleißig …

Wie haben Sie reagiert?
Ich fand das nicht so witzig. In meinen Zeichnungen geht es immer um die Arbeit mit dem Licht. Ich brauche diese Schwärze, um an das Licht heranzukommen. Die Düsterkeit ist im Grunde genommen der Versuch, Licht und Schatten, also beides, anzugucken. Und es ist eine Art von Trauerarbeit. Dass wir permanent um irgendeine Sache trauern, die zu schnell vorbeigegangen ist und die uns doch berührt.

Tut mir leid, dass ich das Düstere von Genossin Kuckuck so herausgestellt habe. Die Geschichte beginnt so positiv. Zwei Freundinnen hüpfen gemeinsam auf einem Sofa. Die eine sagt: „Ich werde dich immer lieben. Du bist meine schönste Schneckenprinzessin.“ Und nach wenigen Seiten ist die Leichtigkeit dahin.
Genau das ist es, was mir wichtig ist. Ein Teil meines Bedürfnisses oder der Notwendigkeit, dieses Buch zu zeichnen ist, dass es eben nicht diese klischeehaften Vorstellungen von Jugendliebe, Heiraten oder Kinderkriegen gibt. Sondern, dass all diese ersten Erfahrungen wichtig sind für alles, was danach kommt.

Ich wollte die Beziehung der Freundinnen ernst nehmen und sie nicht als Kinderspiel abtun. Die Liebe, die die beiden füreinander empfinden, ist genauso richtig und wichtig mit all den Enttäuschungen, wie das, was wir als Erwachsene tun. Und im Übrigen kommt mir das manchmal lächerlicher vor als das, was wir als Kinder gemacht haben.

Was machen die Leute eigentlich mit sich selbst? Haben sie keine Idee von ihrer eigenen Ambivalenz oder ihren eigenen Abgründen? Ich brauche nur durch meinen Garten zu gehen. Da habe ich Schönheit und Entsetzen.

Anke Feuchtenberger

Was ist eigentlich aus der Freundin Effi geworden? Sie war irgendwann schwanger und ist dann weggeschickt worden, oder?
Na ja, dass sie schwanger war, wird nie erwähnt, aber es liegt nah. Ich habe mit Absicht offengelassen, was mit ihr passiert ist. Es gibt eine Szene im Schnee, wo man nicht genau weiß, ob sie gestorben ist oder noch lebt.

Genossin Kuckuck erzählen Sie nicht linear. Reale Situationen wechseln mit Szenen, die an Träume erinnern. Menschen verwandeln sich in Tiere, Schnecken werden zu Botschafterinnen. Haben Sie für Ihre Geschichte ein Storyboard entwickelt, um den Überblick zu behalten?
Nein. Ich verwende keine Storyboards. Genossin Kuckuck ist mir irgendwie passiert. Als ich mit dem ersten Kapitel anfing, habe ich dermaßen weit danebengeschossen, dass ich es insgesamt dreimal gezeichnet habe. Ich wollte einfach einen Spaziergang im Wald zeichnen. Dann stand da dieser Pilz im Wald und unter seinem Schirm die Empfangsdame und ich war schon verloren.

Sie haben einmal gesagt, dass die künstlerische Arbeit die beste Art ist, alt zu werden. Warum?
Künstlerisches Arbeiten hat mit Versenkung zu tun, mit dem ureigensten Antrieb. Das kann beglückend sein. Ich habe zum Beispiel für all meine Bücher immer sehr wenig Geld bekommen oder auch mal gar keins. Was bedeutet, dass ich mit meiner künstlerischen Arbeit nie hätte überleben können. Zum Trost habe ich mir immer gesagt, diese Freude, die ich bei der Arbeit habe, kann mir eh niemand bezahlen. Ich glaube, dass diese Freude Menschen bis in Alter tragen kann.

Hatten Sie irgendwann einmal Zweifel an Ihrer Berufswahl und wollten was ganz anderes machen?
Ich habe ja zwei verschiedene Berufe. Die sehr Praxis bezogene Arbeit als Professorin an der Uni und meine eigenen Bücher. Was mir gerade sehr viel Spaß macht, ist das Übersetzen. In einem anderen Leben kann ich mir vorstellten, Übersetzerin sein.

Gibt es eine Frage, die ich nicht gestellt habe, die für Sie aber wichtig ist?
Die Einschätzung, Genossin Kuckuck sei sehr düster – das beschäftigt mich schon immer wieder. Ich frage mich dann: Was machen die Leute eigentlich mit sich selbst? Haben sie keine Idee von ihrer eigenen Ambivalenz oder ihren eigenen Abgründen? Ich brauche nur durch meinen Garten zu gehen, da habe ich beides: Das Entsetzen und die Schönheit, für mich gehören sie zusammen.

Anke Feuchtenberger studierte Bildhauerei und Gebrauchsgrafik an der Kunsthochschule Berlin. Seit 1989 arbeitet sie als freiberufliche Künstlerin und Comiczeichnerin; außerdem ist sie seit 1997 Professorin für Zeichnen und grafisches Erzählen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Sie ist Mutter und Großmutter und lebt in Hamburg und Vorpommern. Genossin Kuckuck wurde 2024 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Bereits 2021 erhielt die heute 63-Jährige den renommierten Max-und-Moritz-Preis für ihr Lebenswerk.
Homepage von Anke Feuchtenberger

Kuratorin unserer Palast-Galerie ist Anette Frisch, sie hat auch das Interview geführt

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