Breitbeinigkeit ist keine Frage der Chromosomen. Über den Spaß, als Frau in den sogenannten Männerdomänen die Sau rauszulassen.
Vorgelesen von Marion Gretchen Schmitz.
Mit den Bonanzarädern fing alles an. Was sollte ich mit einem langweiligen Mädchenfahrrad, das nichts konnte, außer weinrot zu sein, wo die Bonanzaräder mit ihrem Bananensattel, dem Auto-Schaltknüppel auf der Mittelstange und den Motorrad-Reifen doch atemberaubendes Entertainment boten?
Ich hatte ein orangefarbenes Bonanzarad, das ich, nach geduldiger Einweisung von Rentner Hase aus dem zweiten Stock, auch selbst reparieren konnte. Das war ein echt lässiges Geschoss – und noch lässiger wurde es, nachdem ich Spielkarten mit Wäscheklammern an den Schutzblechhaltern des Hinterrades klemmte, um dadurch Motorrad-Geknatter zu imitieren. Auf diesem coolen Gefährt stürzte ich mich die Steilhänge der örtlichen Kiesgrube hinunter (Motocross-Rennen in Ur-Form), hielt auf dem Jahrmarkt angeberisch damit Hof und knatterte im dritten Gang zum Freibad Marienhöhe, um dort, wenn auch ohne Fahrrad, stundenlang Salto vom Dreier zu üben – auch so eine Jungs-Domäne.
Es tat furchtbar weh, aus dieser Höhe auf den Rücken zu klatschen, aber irgendwann hatte ich den richtigen „Dreh“ raus und war mir von da an der Bewunderung meiner beiden Salto-unfähigen Cousins sicher.
Meine Idee, mit dem Bonanzarad einen See zu durchqueren, weil man ja einfach die Luft anhalten und unter Wasser auf dem Seegrund weiterfahren könne, hat dagegen leider nicht funktioniert…
Ich war trotzdem fest entschlossen, die Jungs-Domänen, die mir eindeutig interessanter schienen als der „Mädchenkram“ in Form von Barbies, Lackschuhen, Haarspangen und Poesie-Alben, weiter zu erforschen.
Taucher-Uhren aus Pappe
So ließ ich mich beim Judo von riesigen Kerlen durch die Gegend schleudern, hielt das bis zum gelben Gürtel durch und schreckte auch mit meiner „Bande“ vor Prügeleien nicht zurück. Ich trug ausschließlich Hosen (das taten allerdings viele Mädchen) und hatte kurze Haare.
Ich schnitt kernige Taucher-Uhren aus dem Quelle-Katalog aus, klebte sie auf Pappe und band sie mir ums Handgelenk. Sahen fast genauso aus, als wären sie echt. Redete ich mir zumindest immer wieder ein, denn eine echte wollte meine Mutter mir partout nicht kaufen.
Brieftaschen tackerte ich aus Stoff und Leder zusammen, Pfadfinderhemden und Taschenmesser erfeilschte ich auf dem Flohmarkt. Alles Insignien meines nach der Scheidung leider aus meinem Leben verschwundenen Vaters, meinten die Therapeutinnen-Freundinnen meiner Mutter warnend. Der Begriff „Vaterstörung“ waberte, flankiert von besorgten Blicken, durch die Hippie-Küche unserer Kommune. Ihrer Meinung nach kopierte ich die männlichen Attribute meines Vaters, um ihn so wieder in die Familie zu holen – oder so ähnlich. Das stimmte sicherlich, aber ließ sich ja nun auch nicht mehr ändern. Mein Leben hatte ja gerade erst begonnen und in den Männerdomänen gab es noch viele unerforschte Felder…
Ich switchte relativ flexibel zwischen Männer- und Frauenwelt hin und her: Mit 15, als es unübersehbar nicht mehr zu leugnen war, fand ich mich damit ab, ein Mädchen zu sein und arrangierte mich dann auch mit vollem Einsatz damit: Ich ließ mir die Haare lang wachsen, trug Bikinis – und manchmal sogar Kleider. Kaum, dass ich 18 war und mich mit Hilfe eines gürtelbreiten Minirocks erfolgreich durch die Führerscheinprüfung geschummelt hatte (Reize ausspielen und Männer dadurch zu verwirren, machte Spaß und war so verlockend einfach), ging es in puncto Männer-Hobbys weiter mit einem Strich-Achter, einem Oldtimer-Mercedes, für dessen komplizierte Reparaturen ich extra in einen Club eintreten musste. In dem sich natürlich nur Männer befanden.
Schrecklich langweilig war es dort. Die Männer (alle nicht besonders hübsch) fachsimpelten über Polituren, Ersatzteile und Baureihen und ich – gerade 20 – dachte nur an Sex. Und daran, dass ich den mit niemandem aus diesem Club haben wollte. Doch genau wie den Erdkundeunterricht in der Schule musste ich diese Treffen Aufmerksamkeit heischend durchhalten, um den Club-Mechaniker konsultieren zu dürfen. Und den brauchte mein weises, schrottreifes Gefährt mit den coolen roten Kunstleder-Sitzen leider sehr oft…
Im Wein fand ich ein neues Forschungsfeld
Langeweile war auch der Grund, warum sich meine Erkundigungen der für Frauen unkartografierten Männer-Gebiete in Weinkenntnis fortsetzten: Ich war gerade zum ersten Mal als Redakteurin einer Frauenzeitschrift fest angestellt worden und bezog (für meine damalige Einschätzung) ein unerhört hohes Gehalt. Ich saß, so wie acht andere junge Frauen, im obersten Stock eines asbestverseuchten Hochhauses in bester Hamburger Lage in meinem Einzelbüro und langweilte mich. Wir waren viel zu viele Redakteurinnen für viel zu wenige Texte, zumal das meiste auch noch an Freie Mitarbeiter rausgegeben wurde. Und seit meinem Vorschlag, eine Glosse über Klopapier zu schreiben, bekam ich vom Ressortleiter überhaupt keine Aufträge mehr.
Ich saß also jeden Tag acht Stunden in meinem kleinen Kasten und versuchte mithilfe endloser Freundinnen-Telefonate und viel Kaffee nicht einzuschlafen. Aus Verzweiflung blätterte ich mich durch andere Blätter des Hauses und entwickelte dabei immer mehr Interesse für eine Feinschmecker-Zeitschrift, in der auch viel über Weine lamentiert wurde. Ich hatte meinen Rioja bislang immer bei Aldi gekauft und kannte mich auf diesem Feld überhaupt nicht aus. Aber da direkt neben dem Hochhaus ein gut sortierter Weinladen lag, traute ich mich eines Tages dort hinein und eröffnete mir so ein neues Forschungsfeld.
Frankreich, Italien, Österreich, Deutschland – rot oder weiß – Riesling, Tempranillo, Chardonnay, Pinot Blanc … nach und nach arbeitete ich mich durch Rebsorten, Jahrgänge und Anbaugebiete. Ich kaufte mir den „kleinen Johnson“ und schlug jeden Tropfen nach. Ich riss die Jahrgangstabelle aus dem Stern, forschte im „Weinhaus Gröhl“ nach unerkannten Schätzen und studierte und probierte mich plötzlich mit Leidenschaft durch die Weinkarten guter Hamburger Restaurants wie dem Vienna oder dem Nil.
Mein neues Forschungsfeld machte mich nicht nur regelmäßig angenehm beschwipst, sondern auch so viel Spaß, dass ich kurzzeitig ernsthaft überlegte, Weinhändlerin zu werden.
Heute behaupte ich mal, alle guten Winzer in Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien und Neuseeland zu kennen, kann Rebsorten und Jahrgänge auseinanderhalten und habe ein paar Flaschen (die Profis sagen „Gewächse“) zu Hause, die vermutlich sogar Herbert Seckler, Inhaber und Betreiber der „Sansibar“ und quasi Erfinder des „Weinverkaufs an Reiche“, anerkennend abnicken würde.
Dennoch kommt es in mittelguten Restaurants immer wieder zu folgender Szene:
Kellner: Und zu trinken? (Ihr Getränkewunsch?)
Ich: Was haben Sie an offenen Weinen?
Kellner: Rot und Weiß!Ich: Weiß!
Kellner: Da haben wir einen sehr schönen Pinot Grigio… (Warum werden Frauen grundsätzlich immer Pinot Grigios angeboten?)
Ich: Und als roten vermutlich einen Merlot?
Kellner: Hä?
Ich: Egal. Und sonst?
Kellner: Wie und sonst?
Ich: Was haben Sie noch an offenen weißen Weinen?
Verständnisloser Blick.
Ich: Einen knackigen Riesling von der Mosel? Einen im Eichenholzfass ausgebauten, leicht rauchigen Chardonnay? Einen exotischen Sauvignon?
Sehr verständnisloser Blick.
Ich: Haben Sie eine Weinkarte?
Kellner: Ja, Moment…
Da es an offenen Weinen oft nur lasche Pinots oder feinherbe (also knallsüße) Cuvées gibt, bestelle ich aus Verzweiflung oft eine ganze Flasche und hoffe, dass sie richtig gelagert wurde…
Weinkarten werden grundsätzlich dem Mann gereicht – genauso wie ihm der Probeschluck eingeschenkt wird, den er gespielt fachmännisch im Mund rumspült und -manscht, so als würde er sich gerade an Mundwasser abarbeiten, bis er dann endlich gönnerhaft nickt und „schön“ sagt. Der Kellner schenkt zufrieden grinsend nach – Auskenner unter sich.
Wenn ich dann empört rufe: „Der hat aber doch Kork!“, ist der Abend meist gelaufen. Nicht umsonst gibt es in Deutschland Millionen Sommeliers, aber nur zwei, drei anerkannte Sommelièren…
Frauen, die auf Uhren starren
Aber zurück zur Frauenzeitschriften-Redaktion:
Regiert wurden die Redakteurinnen von einem Chefredakteur, der aussah wie ein Zuhälter aus einem Dieter Wedel-Film (grillhuhnbraun, Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, weiße Jeans und Goldkette). Er gehörte der ominösen Kategorie „genialer Blattmacher“ an, einem Jobprofil, dem damals seltsamerweise fast ausschließlich dickbäuchige, cholerische, stark schwitzende Machos zu genügen schienen. Der „Hahn im Korb“ stolzierte regelmäßig durch den Flur und zwinkerte in die Büros seines Harems, als wären wir Hennen in Lege-Batterien, die danach lechzten, von ihm befruchtet zu werden. Kein gänzlich unrealistisches Szenario, denn erstaunlicherweise gab es auf den feucht-fröhlichen Redaktionsfeiern tatsächlich immer wieder Kolleginnen, die sich auf ihn einließen. Ich war diesbezüglich nicht im Geringsten gefährdet. Ich konnte mir partout nicht vorstellen, was daran reizvoll sein sollte, mit einem verschwitzten, übergewichtigen und kurzatmigen Mittfünfziger ins Bett zu gehen. Erst recht nicht, als ich erfuhr, dass er eine Leidenschaft für „Golden Showers“ hatte, bevorzugt im Redaktionsfahrstuhl… (obwohl das vielleicht als psycho-wissenschaftliche Forschung schon wieder interessant gewesen wäre).
Auf den wöchentlichen Themen-Konferenzen war der Harem regelmäßig bleich vor Angst, weil Herr Grillhuhn zu cholerischen Anfällen neigte, deren Phonstärke die dünnen Mauern des maroden Gebäudes so stark erzittern ließ, dass der asbestverseuchte Putz von der Decke bröckelte.
Um mich abzulenken, ommte ich mich auf diesen Events regelmäßig in eine Trance-Meditation: Ich starrte auf die stählerne Rolex des Tyrannen und bewunderte das ungewöhnliche Schillern des Stahl-Armbandes. So eine wollte, so eine MUSSTE ich auch haben, dann würde ich zumindest am Handgelenk nicht mehr unter seinem Rang stehen!
So entschlossen wie mutig betrat ich also die Wempe-Filiale am Jungfernstieg und ließ mich auch von den beiden bewaffneten Security-Männern vor der Tür nicht einschüchtern. Wieder eine neue Welt – ein neues Universum! Da lagen sie, die glitzernden Luxus-Uhren, in ihren Vitrinen und versprachen Eintritt in eine andere Gesellschaftsschicht…
Letztendlich war es gar nicht so schlimm: Ein netter Herr im Anzug nahm mich halbwegs ernst und meine Bestellung einer Submariner ohne Datum (mit Datum konnte ich nicht bezahlen) an und damit auf. Mindestens drei Monate würde ich auf das gute Stück warten müssen, sagte er mir, und ja, ich könne auch auf Raten zahlen, sofern ich eine EC-Karte besäße.
Die erste Rolex, die ich dann ein halbes Jahr später am Handgelenk trug, war der Beginn einer neuen Leidenschaft. Mittlerweile kenne ich mich in dem Segment der „Krone“ so gut aus, dass viele Freundinnen, für die das Thema ein Buch mit sieben Siegeln ist, meinen Rat suchen, weil sich die edlen Zeitmesser in Negativ-Zins-Zeiten prima als äußerst renditestarke Wertanlage eignen: Nach rund 20 Jahren ist die Submariner, für die ich damals 6.000DM bezahlt habe, 14.000Euro wert. Das 4,6-Fache bzw. 11.000 Euro Gewinn – für alle, die nicht so gut rechnen können.
Allerdings: Sich auf der Suche nach neuen Schätzchen auf dem Uhren-Portal Chrono24 oder bei ebay rumzuschlagen, ist eine echte Qual, denn dort wird man grundsätzlich mit „Herr“ angeschrieben und als Frau gleich für blöd erklärt. Die Welt der teuren Uhren gehört den Männern. Die Frauenquote ist dort eindeutig noch nicht angekommen.
Sorry, Dummy
Wie sehr man als Frau in der Statussymbol-Welt der Männer unterschätzt wird, illustriert vielleicht folgende (wahre) Szene:
Ich esse mit einer Freundin ein viel zu kalorienlastiges Spaghetti-Eis mit Schoko-Sauce. Der Eisdielenbesitzer bringt unsere Cappuccinos und trägt eine Rolex „Lunette Verde“ am Handgelenk. D-Serie aus 2005, wie ich spotte. (Dafür gibt es sofort erkennbare Merkmale.) Das gute Stück hat mal „nur“ 5.200Euro gekostet und ist mittlerweile fast 20.000wert.
„Oh, ist das eine D-Serie?“ frage ich ihn.
Er schaut mich verblüfft an.
Ihre Uhr meine ich!
Ach so. Ja, das ist eine Hulk!
Ich weiß.
Erstaunter Blick
(Die Submariner-Uhren mit der grünen Lunette werden oft als „Hulk“ bezeichnet, in Anlehnung an den bei Wutanfällen grün anlaufenden Comic-Helden … allerdings nur das Modell mit dem zusätzlich grünen Zifferblatt, das erst ab 2010 auf den Markt kam. Das Vorgänger-Modell, von 2003 – 2010 produziert, bezeichnet man als „Kermit“.)
Ich: Die ist sehr selten! Ist das eine D-Serie?
Er: Hä?
Ich: Von wann ist die Uhr?
Er: Ich weiß nicht, hab‘ sie vor ein paar Jahren von einem Freund gekauft.
Ich: Wenn es eine D-Serie ist, ist die jetzt sehr wertvoll!
Er: Echt?
Ich: Ja
Er: Wie viel denn?
Ich: So um die 20.000…
Ihm fällt fast sein Tablett aus der Hand.
Er: Wow! Das ist ja super! Danke für die Info!
Er zieht ab, stolz auf sein Handgelenk schauend.
Aber deine ist leider nicht echt … flüstere ich ihm hinterher.
Jana Nana
(Der Name ist ein Pseudonym, weil die Autorin, angesichts der Werte, die sie beschreibt, lieber unerkannt bleiben möchte)