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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Das Jahr in einem Wort

Julia Karnick hat auf ihrer Facebook-Seite Frauen aufgefordert, das vergangene Jahr mit einem Wort auf den Punkt zu bringen. Sieben der Wörter hat sie ausgewählt, um die Geschichten dahinter zu erzählen. Hier sind sie, jeden Tag eine.

Michaela Hammer, 48, Industriekauffrau

Dieses Jahr hat unsere große Tochter Abi gemacht und mit ihrem Studium angefangen. Sie ist flügge geworden – 19 Jahre, nachdem sie viel zu früh aus dem Nest gefallen ist, ein 730 Gramm leichtes Vögelchen mit geschlossenen Augen und durchscheinender Haut, unter der man ein Netz aus blauen Äderchen und das winzige Herz pochen sah.

Lily wurde in der 26. Woche per Not-Kaiserschnitt geboren. Sie hatte schlechte Überlebenschancen, und es war klar: Selbst wenn sie es schaffen würde, wäre das Risiko groß, dass sie behindert sein könnte. Sie lag lange auf der Intensivstation, es gab viele Komplikationen. Das war eine extrem harte Zeit in ständiger Angst, mit sehr vielen Tränen und durchwachten Nächten. Aber Lily war eine Kämpferin. Nach einem Vierteljahr konnten wir sie nach Hause holen, und neun Monate nach ihrer Geburt – also eigentlich mit sechs Monaten – fing sie an zu krabbeln. Schon im Kindergarten begann sie zu lesen, mit Fünf kam sie in die Schule. 

Sie hätte in der Nähe studieren können, aber sie wollte richtig weit weg. 500 Kilometer

Nun studiert sie Wirtschaftsmathematik in Halle, 500 Kilometer entfernt. Wir wohnen in der Pfalz. Sie hätte auch an die Mannheimer Uni gehen können, bis dorthin sind es von uns aus nur 20 Minuten, aber das wollte sie nicht. Sie wollte richtig weit weg. Schon Wochen vor ihrem Umzug musste ich immer wieder weinen, und als wir sie zum Beginn des Wintersemesters nach Halle gefahren haben: Oh, da war es fast so, als bräche es mir das Herz. Wir haben noch eine 13-jährige Tochter, Ida, aber nachdem Lily weg war, fehlte etwas. Mein Leben fühlte sich erst mal unvollständig an.

Zum Glück habe ich „die Gang“

Was mir sehr dabei hilft, Lily loszulassen, ist »die Gang«. Das sind meine fünf besten Freundinnen und ich – samt Männern. Wir waren zusammen in Lilys Krabbelgruppe. Wir haben unsere Kinder zusammen groß gezogen, und zusammen werden wir immer älter, mit allen Höhen und Tiefen, mit Problemen, Kummer, Krebs, Tod und Trennung und mit ganz viel Lebensfreude. Wir feiern sehr gerne und viel, und zu runden Geburtstagen schenken wir uns immer gemeinsame Zeit: lange Wochenenden, an denen wir Frauen zusammen verreisen. Einen solchen Kreis von alten, guten Freundinnen zu haben ist ein großes Geschenk. Und ein Grund dafür, dass ich trotz aller Wehmut gerade sehr glücklich bin mit meinem Leben. 

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