Es gibt diesen eigenartigen Moment, in dem die Abgrenzung, das Fremdsein, die Distanz zwischen Frauen sich ganz plötzlich auflösen. Das mögliche Gefälle, die Hierarchien. Es ist der Moment auf einer Veranstaltung, im Restaurant oder Kaufhaus, wenn man sich in den Toilettenräumen am Waschbecken begegnet. Man wäscht sich die Hände, blickt in den Spiegel, kramt in seiner Handtasche und sucht. Einen Kamm, den Puder, einen Lippenstift. Dann fällt der Blick auf die Frau, die neben einem im Spiegel steht. Auch sie schaut einen an oder auch sie sucht etwas. Zieht die Lippen nach oder fummelt unzufrieden murmelnd an ihrem Haar. Dann sagt man, nein, sie müsse sich keine Sorgen machen, ihr Haar sei toll. Oder man reicht seinen Kajalstift rüber. Oder sie bietet an, mit ihrem Deo auszuhelfen, die Handtasche zu halten oder zieht Papiertücher aus dem Spender an der Wand, weil der auf der eigenen Seite schon leer ist.
Für einen Moment löst sich die Fremdheit auf und macht einem Bündnis Platz. Draußen sind wir geschminkte, geschönte Konkurrentinnen, Bewunderte oder schlicht Irrelevante. Hier, am Waschbecken gestatten wir der anderen, hinter unsere Maske bzw. Maskerade zu blicken, wie wir hinter ihre. Und vereinen uns schwesterlich in unserem Bestreben, gewappnet in die Schlacht zu ziehen. Zurück in den Saal, den Speiseraum, das Einkaufsparadies.
Ich habe diese Momente immer gemocht. Austausch, Schwesternschaft, Solidarität.
Die Konkurrenz ist einem Mit- und Füreinander gewichen
Meine Jugend habe ich mit Gleichaltrigen im Kitzel des erwachenden Frühlings verbracht, seitdem ich in den Wechseljahren bin, lebe ich quasi im Waschraum. Soll heißen, die Konkurrenz, das Hauen und Stechen, das Niedermachende, Ignorierende, die Bissigkeit, mit der wir Frauen einander mitunter begegnen, findet jetzt, über 50, nicht mehr statt. Stattdessen sehen wir einander an – und sind offen. Aufgeschlossen, neugierig, entgegenkommend, empathisch, helfend. Solidarisch.
Diese Offenheit, mit der wir uns – auch, wenn wir uns kaum kennen – begegnen, haut mich um. Unsere Bereitschaft, auf einander zuzugehen, zu trösten, zu helfen, zu unterstützen und füreinander da zu sein.
Was ist der Unterschied zu früher? Warum ist das jetzt möglich?
Ich glaube, es ist dieses Lädiertsein, das uns ein solches Verhalten ermöglicht. Der Umstand, dass bei keiner mehr alles toll ist. War es früher für viele wichtig, das eigene Leben als tipi-topi erscheinen zu lassen, haben wir es jetzt mit Dingen zu tun, die zu groß sind, um sie zu übertünchen. Die Trennung. Das Dickwerden. Die kleine Wohnung nach der Villa. Der Krebs. Der Schmerz über die ausziehenden Kinder. Die Job-Müdigkeit. Die sterbenden Eltern. Die schrumpelnden Knie. Die Orientierungslosigkeit.
Mit Frauen, die wir aus Gründen der Konkurrenz 30 Jahre lang allenfalls mit dem Hintern angeguckt haben, kommen wir in unserer Versehrtheit ins Gespräch, „Was, Du auch?!?“.
Erst gemeinsam jammern, dann zusammen über das Elend lachen
Ich glaube, dass die Erklärung dafür eine einfache ist: Wir kloppen uns nicht mehr um Jobs und nicht um den besten Mann für die Fortpflanzung. Wir haben uns im Beruf bewiesen, wir wissen, was wir können, und, wie Julia Karnick es formuliert, „Sperma spielt für unsere Zukunftsplanung keine Rolle mehr“. Sprich, wir konkurrieren nicht mehr um lebensentscheidende Themen.
Stattdessen wenden wir uns einander zu und entdecken darin eine unglaubliche Kraft und Wucht. Eine Befeuerung. Und eine Befreiung. Perfekt war gestern. Wem das Knie schrumpelt, die Arme hängen und erst recht der Busen, wer frustriert ist, weil es im Beruf kein Weiter gibt, überfordert, weil die Eltern störrische Alte sind, die sich jeder vernünftigen Lösung verweigern, wer mitansehen muss, wie der Mann, mit dem man die Kinder großgezogen hat, eine Tür weiter geht, um eine neue Familie zu eröffnen wie einen neuen Mail-Account, wer zusehen muss, wie die Jungen die Aufgaben übernehmen, und wer im Restaurant einfach nicht mehr wahrgenommen wird, kann nur klar kommen, wenn sie Gleichgesinnte sucht. Und sich erst aufs Trauern, aufs Lamentieren und Klagen verständigt, um sich anschließend im Humor zu vereinen. Die Absurdität in all dem zu finden. Den Witz im hängenden Busen und dem Geheule um das ausziehende Kind. Um den sich trennenden Ehemann, den man bei genauerer Betrachtung heute gar nicht mehr nehmen würde. Wir brauchen die Ermächtigung, die das gemeinsame Lachen schafft, um das Ganze nicht ausschließlich als bedrohlich wahrzunehmen, sondern auch einen Ausweg oder schlicht etwas Neues zu suchen. Neue Gemeinschaft, neue Lebensentwürfe, neue Zukunftspläne.
Es ist ja kein Zufall, dass so viele von uns über gemeinsames Wohnen im Alter nachdenken, darüber, wie wir gerade mit unserer zu erwartenden geringen Rente der Lieblosigkeit und Einsamkeit der üblichen Altenbekümmerung entgehen.
Die schwirrende Leichtigkeit des Hochsommers
Seitdem ich mich im Waschraum eingerichtet habe, ist mein Leben schöner. Es ist vielfältiger, offener. Es ist eine solche Wohltat, anderen Frauen entspannt gegenübertreten zu können. Nicht mehr die Konkurrentin in ihr zu sehen, die alles irgendwie besser hinkriegt, sondern zu wissen, dass sie ganz ähnliche und schwierige Themen hat wie ich. Dass bei ihr auch der Krebs nagt oder der Lebensentwurf zerbröselt ist, dass sie gern ihre Beziehung verlassen würde, dass ihr Beruf sie nicht mehr glücklich macht, die Eltern sterben oder sie Angst hat, ohne Partner*in alt werden zu müssen. Kurz, dass auch sie ihr Leben neu zusammensetzen muss.
So ein Waschraum ist wie die Küche auf einer Party. Oder damals mein Jugendzentrum. Es ist der Ort, an dem man das Kitzeln des erwachenden Frühlings spürt. In unserem Fall vielleicht die schwirrende Leichtigkeit des Hochsommers. It´s the best place to be.
Silke Burmester
Diesen Text haben wir im Februar 2021 erstmals auf unserer Homepage veröffentlicht. Im Zuge der Podiumsveranstaltung „Die intersektionale Perspektive: Vereinte Vielfalt? Oder jede macht ihr‘s?“ auf der Tagung des Journalistinnenbundes holen wir ihn mit Freude wieder nach vorn.