Eine Erzählung von Regina Kramer
Seitdem ich erfahren habe, dass eine Freundin ihren Freund (jetzt Ehemann) im Zug kennengelernt hat, und zwar auf der Strecke Berlin – Hamburg, und wie sie mir berichtete, ist sie nicht umgestiegen, sondern hat sich in ein Abteil gesetzt und irgendwann ist der Freund, (jetzt Ehemann, damals aber noch Fremder) zugestiegen und hat eine Unterhaltung angefangen, seitdem also fahre ich auch Zug.
Ich suche mir ein anderes Bundesland. Nordrheinwestfalen
Natürlich habe ich mit der Strecke Berlin – Hamburg angefangen. Hinfahrt, Rückfahrt. Unergiebig. Dann habe ich vorne und hinten jeweils einen Bahnhof zugefügt: Hamburg-Altona, Berlin Südkreuz. Ebenfalls unergiebig. So habe ich mir ein anderes Bundesland ausgesucht. Nordrheinwestfalen. In Düsseldorf war ich noch nie. Ich reservierte Platz 17 in Wagen 21, Großraum, Ruhezone. In Fahrtrichtung fuhr ich ungestört an Wolfsburg vorbei, leider kam keiner der mitreisenden Fahrgäste für eine Unterhaltung in Frage. Ich stand auf, viel Gepäck hatte ich ja nicht und ging durch den Zug.
In Wagen 22 saßen ausschließlich ältere Frauen, in Wagen 23 wurden im vorderen Teil komplizierte Vertragsklauseln mit unbekannten Geschäftskollegen am Smartphone diskutiert. Im hinteren Teil rief einer mehrmals: „Ich bin im Zug, hörst du mich, hallo, hörst du, ach, aufgelegt!“. In Wagen 24 vertrieben mich schreiende Kinder.
In Hamm in Westfalen bin ich ausgestiegen und zurück nach Hannover gefahren. Von dort fuhr der ICE 789 nach München und ich in der ersten Klasse.
Auf der 27. Zugfahrt klappt es endlich
Ich kenne die Bundesrepublik inzwischen recht gut. Meistens sitze ich nun im Speisewagen, das Servicepersonal grüßt mich schon per Handschlag. Ich bin nicht mehr die Jüngste, demnächst fünf vor fünfzig, wenn das so weitergeht, bald drüber, deshalb habe ich mir neulich eine Bahncard geleistet, Singlebörsen sind unter meinem Niveau.
Was soll ich sagen, auf der 27. Zugfahrt hat es endlich geklappt. Ich war auf dem Weg nach Waren an der Müritz, ich wusste vorher auch nicht, wo das liegt. Ich war in Berlin-Gesundbrunnen in den RE 4358 gestiegen. Warum? Das weiß ich nicht genau. Vermutlich, weil er am Gleis stand. Der Regionalexpress fuhr in Richtung Rostock und verfügte über einen Snack Point im Zug. Wenn es nötig gewesen wäre, hätte ich auch die fahrzeuggebundene Einstiegshilfe in Anspruch nehmen können. Es war nicht nötig.
Ich werfe meine Bahncard auf die Gleise
Während ich noch auf meinem i-Phone googelte, was eine Fahrzeuggebundene Einstiegshilfe ist, rauschten Oranienburg und Gransee ungesehen an mir vorbei. In Neustrelitz stieg ein Mann in meinen Wagen und hat eine Unterhaltung angefangen.
Was soll ich sagen, der Mann (jetzt noch ein Fremder) gefiel mir sehr und ich, die ich nicht viel erlebe, außer häufigen Reisen, hörte ihm (dem späteren Freund?) gern zu.
Kurz bevor der Zug in den Bahnhof von Waren einfuhr, erzählte der Mann (jetzt fast ein Bekannter), dass er schon einmal in einen Zug gestiegen sei.
„Nach Hamburg?“ fragte ich.
„Ja, nach Hamburg, woher wissen Sie das?“
„Und da haben Sie sich in ein Abteil zu einer Frau gesetzt, die Sie später…
„Was machen Sie denn da?“ hörte ich den Mann (jetzt die Enttäuschung) noch rufen, da war ich schon aus dem Zug gesprungen, hatte meine Bahncard auf die Gleise geworfen, und lebe seitdem, weil ich mich weigere, noch einmal in meinem Leben mit dem Zug zu fahren, in Waren an der Müritz.