Sie labern einen den Abend lang voll und stellen selbst keine einzige Frage: Männer. Über ein Phänomen, das verdeutlicht, wie viel viele Männer von Frauen halten. Nichts.
Mein Rekord liegt bei fast vier Stunden. Aufgestellt wurde er bei einem Verlagsessen während der Frankfurter Buchmesse. Die Sitzordnung hatte einen mir unbekannten Mann an meine Seite gespült. Gleich zu Beginn stellten wir fest, dass wir beide für Magazine schreiben. Danach erstarb sein Interesse. Er stellte mir keine einzige weitere Frage. Den ganzen verdammten Abend lang nicht. Stattdessen führte ich mit ihm ein Interview. Zum einen, weil auch längere Gesprächspausen zeigten, dass er offenbar ein Gelübde abgelegt hatte, niemals kaum mehr von einer Frau wissen zu wollen als das, was sie an Optik mitbringt. Zum anderen, weil ich – anders als er – das Schweigen peinlich fand. Nachher – klar – ärgerte ich mich. Ich hatte diesen Mann am Ende auch noch in dem Eindruck bestärkt, dass er für mich deutlich interessanter war als ich für ihn. Als hätte man einen lausigen Liebhaber auch noch gelobt und damit potenziellen Nachfolgerinnen eine ähnlich trostlose Erfahrung beschert. Dieser Mann würde nun fraglos weiter in dem Irrglauben leben, ein enorm packendes Thema abzugeben. Ich hätte es längst vorher wissen müssen – aber an diesem Abend fiel es mir erstmals so richtig auf: Männer – jedenfalls die meisten – stellen keine Fragen. Also jedenfalls kaum mehr als die, mit denen ein Mann für sich wichtige Informationen abfragt: „Wann gibt es Essen?“ oder „Haben Sie die Flüge für mich gebucht?“ oder „Magst du auch anal?“ Oder solche, die sie sich sowieso längst allein beantwortet haben: „Es fällt Ihnen doch sicher kein Zacken aus der Krone, wenn Sie mir mal einen Kaffee holen?“ Ein Phänomen, das mir so ziemlich alle Frauen, denen ich nun von diesem Abend erzählte, bestätigten. Eine berichtete, wie sie sich kürzlich bei einem engen Freund per WhatsApp erkundigte, ob er ihr eine Trauerrednerin empfehlen könnte. Er schrieb zurück „Nein, leider nicht“. Ohne wissen zu wollen, wer da gestorben ist. Die nächste erzählte, wie sie – in der Mail-Konversation mit einem Redakteur – feststellte, dass beide die nächsten Tage verreisen würden. Sie fragte „Wohin geht es denn?“. Seine Antwort: „Comer See“. Das war’s. Keine weiteren Fragen.
Bin ich die Ex von Pablo Escobar, die nächste Kanzlerkandidatin? Egal.
Auch das ganze Netz voller Frauen, die berichten, wie Männer ganze erste Dates lang bloß von sich erzählen. „Ich wusste nach dem Abend alles über ihn: seine Kindheit, wie er fast mal an einem Blinddarmdurch gestorben ist, dass er Fenchel hasst und sein Steak blutig liebt, welche Fußballmannschaft er favorisiert, warum er sich in der fünften Klasse für Latein und nicht für Französisch entschieden hatte. Ich dagegen hätte die Ex von Pablo Escobar sein können oder die zukünftige Physik-Nobelpreisträgerin oder die nächste Kanzlerkandidatin. Er würde es nie erfahren, weil er mir keine einzige Frage gestellt hatte.“ Um sich die Zeit trotzdem hübsch zu machen, hat eine Freundin ein „Bad first date drinking game“ erfunden. Sie trinkt einen Wein nach dem anderen, bis das Gegenüber auch mal eine Frage stellt und aufhört von sich zu sprechen. Sie gibt allerdings zu, dass das so etwas wie das Einfallstor zum Alkoholismus werden könnte. „Und am Ende des Abends muss ich die Getränke dann meist auch noch selbst bezahlen.“
Interessenslosigkeit als sekundäres männliches Geschlechtsmerkmal
Ich weiß, die Fraglosigkeit ist keinesfalls ein rein männliches Phänomen. Tatsächlich gibt es auch Frauen, die nie etwas fragen, weil sie das, was sie zu erzählen haben, für grundsätzlich spannender halten als alles, was andere zu sagen hätten. Und es ist ja nicht so, dass alle Männer niemals fragen. Im Gegenteil. Manche tun es sogar gern und ausgiebig. Wenn der Kontext stimmt. Eine Kollegin und enge Freundin erzählt, wie sie sich einmal sehr auf ein Abendessen bei Freunden gefreut hat – weil dort auch ein bekannter Moderator geladen war, den sie sehr schätzt. „Ich hatte mir einen anregenden Dialog vorgestellt und wie er mir all die klugen Fragen stellen würde, für die ich ihn so bewunderte. Stattdessen war er muffelig, abweisend, wortkarg. Ich fragte und fragte und bekam bloß einsilbige Antworten. Am Ende des Abends sagte ich ihm, wie enttäuscht ich war. Er antwortete – sichtlich genervt: ‚Pass auf, im Fernsehen bekomme ich das Fragen bezahlt. Hier bin ich privat!‘ Da hatte ich verstanden: Der Mann will seine wertvolle Ressource ‚Interesse‘ nicht an Nichtigkeiten verschleudern. Und diese Nichtigkeit bin ich.“ Tatsächlich liefert uns das männliche Frageverhalten wertvolle Hinweise auf die Gleichstellung der Geschlechter – beziehungsweise auf den noch sehr langen Weg dorthin. „Smart Men Don’t Ask Questions“ huldigt die amerikanische Punk-Band Psychology Machine folgerichtig der männlichen Fraglosigkeit als sekundäres männliches Geschlechtsmerkmal. Nicht, weil Männer einen Traum hätten, seit Caesar mit einer Frage auf den Lippen starb, und lieber nichts riskieren wollen. Oder weil sie sowieso alles wissen. Sondern weil sie nichts wissen wollen. Jedenfalls nicht von Frauen.
Frauen dürfen Fragen, aber keine Antworten haben
Kein Wunder, wenn auch die „Weisheit der vielen“, der Ort, an dem weltweit die meisten Antworten gesucht werden – mehr oder weniger – rein männlich ist. Frauen machen bei Wikipedia nur neun Prozent der Community aus. Und selbst denen wird das Leben schwer gemacht. „Manche Nutzer mansplainen mir auf meiner eigenen Benutzerinnenseite sogar Grundlagen von Wikipedia. Sie erklären mir, wie man zitiert. Dabei habe ich schon mehr als 60 Artikel geschrieben, die insgesamt über 500.000 Mal geklickt wurden. Ich weiß, wie man zitiert. Das ist so frustrierend“, berichtete Saskia Ehlers, Wikipedia-Autorin, 2019 auf Vice. Meint, Frauen dürfen Fragen, aber keine Antworten haben. Kann also schon sein, dass stimmt, was die Sesamstraße einst behauptet hat: „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Ganz sicher aber ist, dass wer sich gar nicht erst mit Fragen aufhält, auch bestimmt, wie die Antworten für uns alle auszusehen haben. Am Ende ist das männliche Frageverhalten deshalb auch das Konservierungsmittel des Status quo und damit reiner Selbstschutz. So wie für den Mann vom Anfang. Es hatte sich nämlich ziemlich rasch herausgestellt, dass er für kein mir bekanntes Magazin schreibt und ich ihm also locker das Wasser hätte reichen können. Wäre mir herzlich egal gewesen. Nicht aber ihm. Er musste stattdessen seine Männerwelt für sich mit Fraglosigkeit und also ostentativem Desinteresse wieder geraderücken. Sollte mir also ein widriges Schicksal einmal wieder einen Fraglosen an die Seite spülen, gilt für mich: Ich habe verstanden!! Keine weiteren Fragen mehr. Nicht an Männer und solange, bis endlich qualifiziert zurückgefragt wird.
Constanze Kleis, Jahrgang 1959, ist Journalistin und Buchautorin. Sie lebt in Frankfurt, was sich auf ihre Inhalte ebenso niederschlägt, wie ihre Freundschaft mit der Autorin und Fernsehfrau Susanne Fröhlich. Zusammen haben sie den ein oder anderen Bestseller geschrieben, und sich etwa mit dem Phänomen der Frauenfreudschaft oder dem „Runzel-Ich“ auseinandergesetzt. Aber auch ohne Frau Fröhlich fluppt es bei Constanze bestens und so veröffentlichte sie 2020 mit „Das Leben ist zu kurz für Mimimi“ einen Gegenentwurf zu unserer Coachinggesellschaft.