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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Männer, die den Krieg erklären

Sie meinen zu wissen, was Putin denkt und was er als nächstes tut: Männer. Sabine Tietjen hat die Nase voll von Typen, die ihr das Kriegsgeschehen analysieren und keinen Raum für das lassen, was naheliegt: Gefühle

Für Männer ist der Krieg glasklar erklärbar. Und wehe, frau hat Fragen oder ist schlicht schockiert
Illustration: Brigitta Jahn


In den letzten Wochen haben mir mehrere Männer den Krieg erklärt. Nicht in dem Sinne, dass sie mir drohen oder mich angreifen wollten, vielmehr wollten sie mir erläutern, was Krieg eigentlich ist und wie er funktioniert. Einer legte mir detailliert dar, wie der Krieg in der Ukraine ausgehen wird.
Ich befand mich in den vergangenen Wochen in einem Zustand großer Erschütterung und Angst, angesichts dieses unmenschlichen, unfassbaren Irrsinns. Alle Frauen, mit denen ich sprach, sei es im privaten oder beruflichen Umfeld, teilten oder verstanden diese Erschütterung, waren wütend, besorgt, ratlos. Männer hingegen fingen an zu erklären: Es habe schon immer Krieg gegeben, nur dieses Mal sei er halt nahe. Ach so. Der Westen sei auch nicht unschuldig an den Entwicklungen. Oh Mann, ja, gut, dass mir das jemand sagt.


Nicht dass ich falsch verstanden werde: Das mag alles stimmen und sollte mehr ins Bewusstsein geholt werden. Aber doch nicht zu diesem Zeitpunkt, als das Unvorstellbare passierte, als Zerstörung, Tod und nicht in Worte zu fassende Katastrophen über die Ukrainer*innen hereinbrachen! Als die Gefahr eines Krieges, der sich auch hier abspielen könnte, aufkam! „Jetzt, da es dich betrifft, wirst du betroffen!“, hält mir einer vor. Stimmt, das ist so, dem kann ich nichts entgegensetzen. Diese Erkenntnis hilft bloß grad niemandem. Mit einer mir unbegreiflichen Selbstgewissheit und Gelassenheit suchten Männer das Geschehen in einer analytischen Kälte zu erfassen, dass ich fror.

Die Hälfte der Bevölkerung weiß, wie Putin tickt

Und wie gut sie Putin kennen und wissen, wie es im Kreml zugeht, erstaunlich! „Putin wird sich von einer Demo in Berlin nicht beeindrucken lassen.“ „Putin trifft die Entscheidungen nicht allein / ist nicht der Teufel / ist nicht irre.“ Was? Was ist nochmal nicht irre daran, unter Einbezug von in die Welt gekübelten Vergewaltigungsfantasien einen Krieg zu beginnen? Ein Mann, mit dem ich sprach, konstatierte, dass wir hierzulande das „ukrainische Narrativ“ zu hören bekämen. Wie bitte? Wo genau finde ich auf den Bildern von den in Schutt und Asche gebombten Städten das „ukrainische Narrativ“? Wo in den Gesichtern der Menschen, deren Leben gerade zerstört wurde, oder in den Berichten über die, die es nicht überlebt haben? Ich begriff: Ich hörte vor allem eins, und das war ein männliches Narrativ.

Wer hat hier Schwierigkeiten, das Unfassbare zu akzeptieren?

Der eine empfahl mir den NDR-Podcast „Streitkräfte und Strategien“ – allein der Titel! Durch das Programm führen zwei Männer. Ein anderer lobte den Blog eines Journalisten, der, wie ich bald merkte, auch alles schon zu wissen scheint. Männer allüberall, und sie erklären und erklären. Aber das Entsetzen, Ohnmacht, oder ein anderes – irgendein! – Gefühl, das spürte ich nicht! In einem Radiobeitrag ( Whataboutism in Krisenzeiten) hieß es neulich, es seien vor allem Linke, die gerade Schwierigkeiten hätten, „diese neue Wirklichkeit zu akzeptieren, dass Gut und Böse so klar verteilt sind: Russland überfällt ein anderes Land, Punkt.“ Stattdessen, so der Beitrag, bedienten sie sich der Taktik des „Whataboutism“: „Und was ist mit …?“ Was sei mit dem Nato-Angriff im Kosovo? Oder den US-geführten Kriegen im Irak und in Afghanistan? – Ich erkannte in dem Radiobeitrag etwas wieder, womit auch ich durch meine Gesprächspartner konfrontiert werde: Wenn ich von der Schrecklichkeit dieses Krieges sprach, werden mir die Schrecklichkeiten anderer Kriege entgegengehalten. Und wer, frage ich, geht zum Berliner Hauptbahnhof und erklärt das den Menschen, die dort gerade ankommen? Ja, hier haben Linke Schwierigkeiten, die neue Wirklichkeit zu akzeptieren: linke Männer. Aber auch das fällt vielen von ihnen offenbar schwer zu benennen, zu erkennen! – und prompt verfallen sie ins Erklären. Warum bloß?
In ihrem Palais-Fluxx-Beitrag „Keine weiteren Fragen“ schreibt Constanze Kleis: „Am Ende ist das männliche Frageverhalten … das Konservierungsmittel des Status quo und damit reiner Selbstschutz.“ Vielleicht ist es mit dem Erklärverhalten ähnlich: Um zu vermeiden, dass Angst oder Unsicherheit die Oberhand gewinnen, schiebt sich flugs eine historisch-geopolitische Einordnung dazwischen, wie eine Übersprungshandlung, und die Welt wird erklärt: „Es gab schon immer Krieg, nur jetzt ist er nahe.“

Einfach mal nichts wissen. Einfach mal die Klappe halten

Eine Freundin von mir hat den Zweiten Weltkrieg als Kind und Jugendliche in Berlin erlebt. Jetzt kommt alles wieder hoch. Zum Beispiel die Erinnerung daran, wie bei einem Bombenangriff das ganze Mobiliar wackelte, wie hinterher die Fensterscheiben zerborsten waren, und dass die Katze fort war und nie wiederkam.
Es ist eine Erzählung vom Krieg und nicht eine Analyse über Krieg. Es ist nah, und wir brauchen Nähe. Analyse muss sein und wir werden vieles neu denken und uns erklären müssen. Aber es gibt Momente, da reicht pure Analyse nicht aus. Da muss es doch möglich sein, mal Gefühle zuzulassen, mal nicht recht zu haben oder mal nicht(s) zu wissen, und dann einfach auch mal nichts zu sagen. Keine weiteren Erklärungen mehr, solange, bis endlich auch Gefühl Eingang in die Wahrnehmung findet.

Sabine Tietjen, Jahrgang 1969, lebt in Berlin. Zu ihren Leidenschaften zählen das geschriebene und gesprochene Wort. So arbeitet sie als Biographin und Korrektorin und macht derzeit eine Ausbildung zur Feierrednerin. Als gebürtige Bremerin bewahrt sie sich bewusst das Beste vom Norden und zeichnet sich durch einen gewissen Gleichmut aus. Aber nicht immer.

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