Buchvorstellung: „Wetter“
Montage: Brigitta Jahn
Worum geht es?
Wenn man das sofort wüsste, dann wäre dieser Roman nur halb so gut. Denn seine Geschichte offenbart sich erst nach und nach, man muss sich einlassen auf die Absätze, die zwischen Personen und Zeiten hin- und herspringen. Ein bisschen so, als würde man am windigen Strand von Westerland stehen und mit jeder neuen Bö kommt ein anderer Geruch, Sonnenmilch, Frittierfett, Salzluft. Und vor jeder Welle fragen wir uns, wird das Wasser leicht um unsere Knöchel spülen oder uns von den Füßen reißen. So fühlt sich das Lesen dieses Romans an. Und es geht um Lizzie.
Warum ist dieses Buch so besonders?
Die Bibliothekarin Lizzie erzählt ihre Geschichte. Aber Halt, ist sie überhaupt eine richtige Bibliothekarin? Bekommt sie Geld für ihre Arbeit oder ist es mehr ein Hobby? Und ist Sylvia ihre Chefin oder Freundin? Eine Bekannte, die ihre Hilfe einfordert beim Beantworten von schrägen Hörerfragen zu deren Endzeit-Podcast? Und wie bereitet sich ein Prepper auf das Überleben im Krisen- und Katastrophenfall vor?
Eine Geschichte, zusammengebaut aus Versatzstücken. Erinnerungen, aktuelle Erlebnisse und Begegnungen von Lizzie, Gedanken und sogar Witze werden eingestreut.
Ich verspreche: So ungewöhnlich seid ihr schon lange nicht mehr an eine Geschichte über Liebe und Familie herangeführt worden. Denn am Ende ist es genau das.
Gebt euch einen Moment, um in die Geschichte einzutauchen und den anfangs vielleicht ungewohnten Stil zu genießen, es lohnt sich.
Warum sollte mich das interessieren?
Weil so viele Fragen angestoßen werden, die uns doch irgendwie alle beschäftigen.
Was ist der Unterschied zwischen Liebe und Distanzlosigkeit?
Liebe ich meinen Mann nicht mehr, wenn ich mit einem anderen Spaß habe?
Will ich ein neues Leben?
Wie hat mein Sohn es gemeint, als er gesagt hat: Du bist nicht gut genug für mich als Mutter?
Diesen Gedanken von Lizzie kann man folgen.
Manchmal sind es ihre eigenen Gedanken, manchmal angestoßen von außen. Sie macht sich Sorgen um sich selbst, um ihren ehemals drogensüchtigen Bruder, der eine Frau findet und Vater wird.
Sie genießt die Vertrautheit zu ihrem Mann, ist aber auch froh, als er mit dem Sohn alleine verreist.
Warum ist die Autorin interessant?
Die New Yorkerin Jenny Offill, Jahrgang 1968, gilt als eine der wichtigsten amerikanischen Autorinnen ihrer Generation, sagt der Verlag. „Wetter“ ist ihr zweiter ins Deutsche übersetzte Roman, der erste hieß „Amt für Mutmaßungen“. „Wetter“ wurde unter anderem von der New York Times zu den besten Romanen des Jahres 2020 gezählt. Dass sich der nicht ganz einfache Aufbau, die besondere Sprache der Autorin so gut vermitteln, ist sicher auch der Übersetzerin Melanie Walz zu verdanken, die unter anderem auch schon Romane von Patricia Highsmith und Virginia Wolf ins Deutsche übertragen hat. Sie zeigt, welche Kunst das Übersetzen sein kann.
Kostprobe:
Ich stelle mich einer Theorie über das Impfen und einer über den Spätkapitalismus. „Wünschen Sie sich manchmal, wieder dreißig zu sein?“, fragt der Fachmann für einsame Herzen. „Nein, nie“, sage ich. Ich erzähle ihm den alten Witz über Zeitreisen.
„Zeitreisende werden hier nicht bedient.
Ein Zeitreisender betritt die Bar.
Auf dem Nachhauseweg komme ich an der Frau vorbei, die Kreisel verkauft. Wenn die Studenten richtig stoned sind, kaufen sie manchmal welche. „Heute keine Kunden“, sagt sie. Ich suche einen für Eli aus. Er ist blau und weiß, sieht aber bläulich aus, wenn er sich dreht. Vergiss nicht die 25-Cent-Münzen, fällt mir dabei ein.
In der Bodega gibt Mohan mir eine Rolle Münzen. Ich bewundere seine neue Katze, aber er meint, sie sei ihm nur zugelaufen. Er will sie trotzdem behalten, weil seine Frau ihn nicht mehr liebt.
„Ich wünschte, du wärst ein richtiger Seelenklempner“, sagt mein Mann. „Dann wären wir reich.“
Jenny Offill: Wetter, 224 Seiten, Piper Verlag, 12 Euro
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Rezension: Anja Goerz