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Palais F*luxx

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Zweimal Tantra, bitte!

Suse Schumacher ist seit 30 Jahren mit ihrem Mann verheiratet. Irgendwann stellte sich die Frage, ob ein Tantra-Kurs eine Bereicherung für die Beziehung wäre. Die beiden beschließen, erst besucht er einen, später dann Suse. Ein Erfahrungsbericht

Tantra, oh Schreck! Nun ist er weg, und ich bin mit meinem Kopfkino allein. Ich verfluche mich dafür, dass ich mich so liberal gegeben habe. Sein Tantra-Kurs fühlt sich wie das Eingeständnis von toter Hose an. Habe ich etwas nicht mitbekommen? Genüge ich als Frau nicht mehr? Ich laufe zum Spiegel und sehe mir meinen Körper von allen Seiten an. Bis auf den Bauch, der nun mal entsteht, wenn Kinder kommen, bin ich für mein Alter ganz gut in Schuss. Nicht mehr taufrisch, aber Busen, Beine, Po völlig okay. Es fehlt, trotz Langzeitbeziehung, auch nicht an sexuellem Interesse. Allerdings haben sich Routinen in unser Liebesleben geschlichen, und die Rollen sind klar besetzt. Er agiert, ich empfange. Hinterher rollen wir uns auf die Seite, sagen Gute Nacht und schlafen ein. Das ist besser als kein Sex, aber Thrill ist es auch nicht. Versuche, den gewissen Kick mit dem Kauf erotischer Kleidung wiederherzustellen, erwiesen sich genauso als kurzzeitige Strategie wie der Besuch von Diskos, in denen nackte Tatsachen zum Konzept gehören.
Was bedeutet es nun für meine Ehe, dass mein Mann an einem Tantra-Workshop teilnimmt? In den Tagen vor seiner Abfahrt haben wir nächtelang über Eventualitäten gesprochen, Bedenken gewürdigt, zerredet, nochmal besprochen, gestritten, uns versöhnt. Intensive Nächte waren das. Ungewöhnlich für unsere langjährige Beziehung.
Schließlich einigten wir uns darauf, dass er mich bei jeder seiner Entscheidungen mitdenken solle. Workshop-Übungen mit wechselnden Partnern? Kein Problem. Tantra-Massage? Kein Problem. Sex mit einer anderen Frau? Problem!!! Eigentlich weiß ich nicht viel über Tantra, nur dass es aus Indien kommt und mit Sexualität zu tun hat.

Die Abmachung: Zuerst besucht er einen Kurs, zwei Monate später ich

Die Idee, einen Tantra-Workshop zu besuchen, hatte ihm eine gemeinsame Freundin ins Ohr gesetzt. Begeistert war ich zunächst nicht. Andererseits hoffte ich, dass es unsere Beziehung beleben würde, und so beschlossen wir, uns drauf einzulassen. Zunächst er und zwei Monate später ich. Der Gedanke, dass er jetzt mit anderen Frauen erotische Erlebnisse hat, wenn auch im Rahmen eines Workshops, kratzt an meinem Selbstwertgefühl. Dabei will ich doch entspannt und großzügig sein, ihn hinterher mit offenen Armen empfangen und sagen: „Na, Schatz, hast du dich mal so richtig ausgetobt? Wie schön!“ Stattdessen Unsicherheit und Eifersucht.
Auf der Facebook-Seite des Workshops schaue ich mir mal wieder die Fotos und den Beziehungsstatus der Frauen an, die sich für den Kurs angemeldet haben. Mindestens drei, davon bin ich überzeugt, entsprechen seinem Beuteschema. Warum sollte eine dieser Frauen auf mich Rücksicht nehmen? Und er? In der Schlussszene meiner gedanklichen Inszenierung verlässt der Gatte mich wegen einer Frau, die jünger, hübscher und beruflich unabhängig ist, besseren Sex verspricht und keine Kinder will.
In meiner Panik rufe ich eine enge Freundin an. Sie reagiert fassungslos. „Was? Du lässt deinen Mann auf einen Tantra-Workshop?“, kreischt sie ins Telefon. „Habt ihr Sexprobleme? Warum schickst du ihn dann nicht gleich in einen Swingerclub?“ Ich erschrecke. Gerade sie, die im Gegensatz zu mir schon mehrere Lebensabschnittspartner gehabt hat, auf einigen Selbsterfahrungsworkshops war und in allem lockerer zu sein scheint? Mit meiner Offenheit habe ich eine Grenze eingerissen, die ich in vielen Freundschaften habe: Man spricht über vieles, aber nicht darüber, welche Vorlieben man beim Sex hat, wie oft man zum Orgasmus kommt oder mit wie vielen man schon geschlafen hat.
Am Abend meldet sich endlich mein Mann. Er sei gut angekommen, sagt er, ich solle mir keine Sorgen machen. Ich versuche, entspannt rüberzukommen, und halte mich mit Fragen zurück. Er hat nicht viel Zeit, er muss zurück in den Zirkel, wie das Im-Kreis-Sitzen dort heißt. „Es wird spät heute“, sagt er zum Abschied, „ich melde mich erst morgen wieder bei dir.“ Dann legt er auf. Noch sechs Tage, bis er wieder bei mir ist.
Darüber, was mein Mann in seinem Tantra-Seminar erlebt und wie ihn diese eine Woche verändert hat, ist von ihm ein langer Artikel im SZ-Magazin erschienen, im Heft Nummer 47/2017. Wie ich mich in dieser Zeit gefühlt habe, als mein Mann die Tage mit erotischen Massagen und Seelen-Striptease verbrachte – und wie ich mich dann auch darauf einließ, davon handelt dieser Text. Vielleicht klingt es seltsam, aber ich muss dazusagen, dass er und ich nicht viel darüber gesprochen haben, was wir jeweils im Einzelnen erlebt haben. Aber verändert, das ist klar, hat es uns. Jeden für sich und beide miteinander.

Ich merke wie er mir entgleitet, zur Ablenkung räume ich die Wohnung auf


Am zweiten Tag seiner Tantra-Woche wartet am Morgen eine SMS auf mich: „Schön, dass es dich gibt.“ Seine Nachrichten an mich bestimmen nun meinen Alltag. Die Namen fremder Menschen geistern durch meinen Kopf. Er erzählt von einem netten Austausch mit einer Frau in unserem Alter, die auch in einer langen Beziehung sei und Kinder habe. Eine andere nennt er seine „Schwester“ und erzählt, dass sie als „Bodyworkerin“ arbeite und sehr unkompliziert sei. Stelle ich dazu Fragen, antwortet er ausweichend. Auch über seine emotionale Verfassung erfahre ich nicht viel. Ich würde ja selbst noch meine Erfahrungen machen, sagt er, während er am Telefon von den „gechillten Leuten“, dem Seminarort und der vegetarischen Kost schwärmt. Ich merke, wie er mir entgleitet. Wieviel erfahre ich da gerade wirklich? Wie wird es sein, wenn er zu mir zurückkehrt? Werden wir uns näher sein, oder entfernt uns der Workshop voneinander? Bekomme ich einen Mann wieder, der sexuell und spirituell erwacht ist? Muss ich dann mit zum Tantra-Festival oder zur Nackt-Cuddel-Party? Und was, wenn ich das alles nicht will?
Um mich abzulenken, räume ich unsere Wohnung um, kaufe ein Buch über Tantra und treffe Freunde. Alle fragen nach ihm. Doch durch das Erlebnis mit der engen Freundin bin ich vorsichtig geworden. Er habe mal etwas Zeit für sich gebraucht, sage ich nur und frage mich, ob einer unserer Freunde schon mal auf einem Tantra-Kurs war.
Als die Woche herum ist, warte ich am Flughafen. Da kommt er durch die Tür und strahlt. Er ist vielleicht ein wenig schlanker, und die Schatten unter den Augen sind kleiner. Doch noch etwas an ihm ist anders. Unsere Umarmung ist lang und intensiv. Wir atmen im gleichen Rhythmus. Vorsichtig frage ich: „Was hast du gemacht? Du siehst mindestens zehn Jahre jünger aus.“ Er lächelt und sagt, dass es die beste Entscheidung seines Lebens war. Mehr kommt nicht, denn wir haben abgemacht, dass wir unser Wiedersehen zelebrieren, und das bedeutet, mit kompletter Aufmerksamkeit zuzuhören, was beim Autofahren nicht so einfach ist. Zumindest sagt er mehrfach, dass er mich vermisst habe, legt seine Hand auf meinen Oberschenkel und kuschelt seinen Kopf an meinen.
Zu Hause fallen wir übereinander her und haben den besten Quickie seit Langem. Dann sitzen wir im Bett, und er erzählt von einer Frau, die er in unseren Telefonaten nicht erwähnt hat. Er nennt sie seine „Hippiefrau“. Mein Misstrauen springt an. Er sagt, sie sei seine Partnerin bei der Tantra-Massage gewesen. Ich habe gelesen, dass Tantra-Massagen einen Zustand der Ekstase auslösen können. Diese altindische Massageform, bei der auch die Geschlechtsorgane einbezogen werden, läuft nach Regeln ab. Es gibt einen Gebenden und einen, der empfängt, wobei individuelle Grenzen vorher geklärt werden. Ein Orgasmus ist nicht zwingend. Es geht wohl eher darum, alle Sinne zu aktivieren, um dem Empfangenden ein Gefühl der Vollkommenheit zu ermöglichen. Soweit die Theorie. „Und“, frage ich etwas zu cool, „hast du auch ihre Yoni berührt?“ Yoni, soviel weiß ich inzwischen, ist das tantrische Wort für Vagina. „Ja, klar“, antwortet er, und es sei großartig gewesen. Ich schlucke.
Ich solle mal halblang machen, sagt er, denn er habe sich an unsere Abmachung gehalten. Da die Tantra-Massage ein wichtiger Teil des Workshops sei, sieht er darin kein Problem. „Hatte sie einen Orgasmus?“, frage ich vorsichtig. „Sie fand es auf jeden Fall gut“, sagt er. Nach und nach erfahre ich, dass es ihm Spaß gemacht hat, ein Gebender zu sein, wo und wie massiert wird, dass die Empfangende speziell atmen muss. Es gehe dabei nicht um Sex, sagt er, obwohl das Erwecken der sexuellen Energie, auch Kundalini genannt, sehr wesentlich sei, denn diese freigesetzte Energie sei letztlich reine Lebensenergie.
Hinterher, sagt er, hätten sie im Yab Yum gesessen und Energien getauscht. Im Yab Yum? Ich habe diese Sitzhaltung bei buddhistischen Statuen gesehen. Ist das nicht ein Symbol der höchsten sexuellen Vereinigung? Sofort fügt er hinzu, dass sie angezogen gewesen seien und es nur um die Energie gegangen sei. „Ah, okay, nur Energie?“, stammele ich.

Mein Mann ist verändert – und ich fühle mich aufrichtig geliebt und begehrt

Nach wie vor spüre ich deutlich, wie anders er ist. Offener und positiver. „Ach, wie gerne hätte ich das mit dir erlebt“, sagt er, während er mich im Arm hält, streichelt, mich an sich zieht, küsst. Ich fühle mich aufrichtig geliebt und begehrt. Meine Vorstellung von der Hippiefrau wird blasser. Ich beginne zu ahnen, dass dieser Workshop wirklich mehr sein muss als ein erotisches Massage-Seminar.
Er spricht viel über die tantrisch-hinduistische Erkenntnislehre. Er sagt, das Wort Tantra komme aus dem Sanskrit und werde mit „Gewebe“, „Kontinuum“ oder „Zusammenhang“ übersetzt. Alles hänge mit allem zusammen. Die Vorstellung von einem großen Netz, und wir mittendrin, gefällt mir. Dann bietet er an, mich zu massieren. Drei Stunden später, der Morgen dämmert bereits, wache ich entspannt und glücklich auf. Ich habe keine orgastische Ekstase erlebt, aber eine Idee davon bekommen, wie sinnlich eine Tantra-Massage sein kann und dass ich viele Stellen meines Körpers zu wenig beachtet habe.
Wir nehmen uns in jenen Tagen miteinander Zeit. Tauschen uns viel über unsere Gefühle aus. Meditation und Massagen werden Teile unseres Lebens. Ich lerne von ihm, wie ich während der Massage atmen und mich bewegen soll, damit ich tiefer ins Fühlen komme. Auch die Hippiefrau taucht wieder auf. Sie kommuniziert mit ihm über Facebook. Doch eifersüchtig bin ich nicht mehr. Stattdessen bin ich nun auch mit ihr befreundet und tausche mich mit ihr aus. Das ist wohl echt tantrisch.
Zwei Monate später ist es wieder Zeit, voneinander Abschied zu nehmen, denn nun bin ich dran. Angst, Scham, Freude, das alles empfinde ich zugleich – die Freude darüber, etwas Neues zu lernen. Hoffentlich komme ich dann auch so entspannt nach Hause wie er.

Vor meiner Abreise sagt mein Mann, ich bräuchte keine Rücksicht auf ihn zu nehmen

Puh, mehr als 50 Leute in einem Raum. Ich bin an einem anderen Ort als mein Mann es war, mit anderen Trainern und offensichtlich viel mehr Teilnehmern. Wenn ich hier über diese anderen Menschen schreibe, dann in leicht verfremdeter Form, aus Respekt vor ihrer Intimsphäre.
Offen bleiben, authentisch sein, nicht nach Äußerlichkeiten bewerten … Innerlich wiederhole ich immer wieder das Mantra, das mein Mann mir mitgegeben hat. Da ist der junge Finne, der mein Sohn sein könnte und erzählt, dass er noch nie eine längere Beziehung hatte. Die mittelalte Norwegerin mit Tantra-Erfahrung. Die kleine Spanierin, die hofft, dass sie sich nach dem Seminar besser spüren kann. Bei einigen Männern bin ich skeptisch, ob es ihnen wirklich nur um eine spirituelle Reise geht, wie sie sagen.
Die Kennlernrunde ist zu Ende. Um unsere „Körper zu aktivieren“, wird nun Musik gespielt. Kiss von Prince. Wir sollen uns durch den Raum bewegen. „Tanze, atme, sei Teil der Gruppe“, sagen die Trainer. Einfach zu tanzen war nie mein Problem. Doch als einer der mir suspekten Männer mich ergreift, um mit mir zu tanzen, ist es mit meiner Leichtigkeit vorbei. Ich lächle und versuche, mich aus der Umarmung zu lösen. Wie verhält man sich, wenn man jemanden nicht gleich vor den Kopf stoßen will und er andererseits nicht zu bemerken scheint, dass er übergriffig ist? Mit dem Hinweis, aufs Klo zu müssen, ziehe ich mich zurück – und bin froh, dass die Trainer wenig später über die Regeln sprechen, die in dieser Woche für alle gelten. Ich lerne, dass es in Ordnung ist, wenn ich Nein sage, und dass Nein auch Nein bedeutet. Gleiches gilt für Ja. Mir fallen Situationen von früher ein, in denen ich nicht klar war und „Vielleicht“ geantwortet habe, wie dieser Abend in der Disko, an dem mich mein damaliger Flirt fragte: „Kommst du noch mit zu mir?“, und mir nicht anderes einfiel als: „Ja, vielleicht später.“ Ich lerne, dass ein Vielleicht auch ein Nein ist und ich nur dann Ja sagen soll, wenn ich es wirklich meine.
Warum fällt es mir so schwer, Nein zu sagen? Kommt da die brave Tochter zum Vorschein, die es allen recht machen und auf keinen Fall anecken will? Habe ich Angst davor, prüde zu wirken, wenn ich Nein sage?
Ich fand es immer ungerecht, dass Männer, die viele Frauen „flachlegen“, damit prahlen dürfen und es umgekehrt besser ist, wenn ich nicht gleich beim ersten Date im Bett lande. Meine Mutter sagte: „Willst du gelten, mach dich selten.“ Heißt: Verhalte dich taktisch klug. Ich tat wie geheißen, meinte aber schon damals, dass Taktik und Liebe einander widersprechen. Viel lieber hätte ich mich so gezeigt, wie ich bin. Seitdem faszinieren mich Frauen, die sich nehmen, was sie brauchen, allen Anfeindungen zum Trotz.
Ich bräuchte keine Rücksicht auf ihn zu nehmen, sagte mein Mann vor meiner Abreise. Ich solle mich ruhig mal ausprobieren. „Ich habe doch dich“, gab ich viel zu schnell zurück, „was soll ich mit anderen Männern?“ Nun besehe ich mir die Typen im Workshop genauer und bleibe bei einem großen, kräftigen Mann mit dunklen Locken hängen. Insgeheim nenne ich ihn meinen Wüstenprinzen. Den würde ich gewiss nicht von der Bettkante stoßen, denke ich und merke, dass ich nervös werde.
Zur Nacht bekommen wir den Auftrag, Spaß mit uns selbst zu haben. „Just feel, breathe and be aware“, sagen die Trainer. Eigentlich kein Problem für mich, allerdings teile ich mir das Zimmer mit einer anderen Frau. Es ist die Spanierin. Mindestens zwanzig Jahre jünger als ich, klein und nicht auf den Mund gefallen.

Ich höre das kurze rythmische Atmen meiner Zimmergenossin. Schön für sie, denke ich

Als wir uns am Abend auf dem Zimmer begegnen, beginnt sie sofort zu weinen. Sie sagt, der Kurs sei für sie eine Mutprobe. Sie träume von einer tiefen Beziehung, habe aber bisher nur ein paar sexuelle Erfahrungen mit Männern gehabt, und die Erfahrungen seien alle furchtbar gewesen. Nun wisse sie schon bei dieser ersten Aufgabe nicht, wie sie das machen solle. Sie habe keine Beziehung zu ihrem Körper.
Ihre Offenheit rührt mich. Ich halte mich selbst für ziemlich langweilig, da ich seit fast 30 Jahren mit demselben Mann zusammen bin. Aber statt wild, frei und offen scheint Sexualität für meine Zimmergefährtin eher Stress als Entspannung zu sein. Sie erzählt mir, vielen Freundinnen in ihrem Alter gehe es ähnlich. Alle sprächen über Sex, aber in den wenigsten Fällen komme es dazu. Ich dachte immer, die jüngere Generation sei in allem unkomplizierter. Doch da fällt mir ein, dass mir beim Baden im Baggersee im vorigen Sommer die vielen jungen Leute aufgefallen sind, die angezogen ins Wasser sprangen. Da war meine Generation anders: Wer baden wollte, riss sich die Klamotten vom Leib und sprang, und es war egal, ob sich irgendein Spießer daran störte.
Ich setze mich neben sie und lege ihr meinen Arm um die Schulter, während sie leise schluchzt. Instinktiv beginne ich, immer tiefer in meinen Bauch zu atmen. Eine Technik, die ich in Yogakursen gelernt habe und die Unruhe und Spannungen löst. Meine Atmung überträgt sich auf sie, und sie beruhigt sich ein wenig. Wie sagten die Trainer? Enjoy yourself. Geht es wirklich um Selbstbefriedigung, oder ist damit irgendetwas anderes gemeint? Verunsichert biete ich ihr an, dass ich aus dem Zimmer gehen könne. Sie kichert und sagt, sie überlege zu meditieren. Nachdem wir das Licht gelöscht haben, höre ich sie leise, aber immer schneller atmen, während ich selber lustlos über meinen Körper streichle. Es scheint, als sei meine Kundalini schon im Tiefschlaf. Aus der anderen Ecke des Zimmers vernehme ich kurzes, rhythmisches Atmen, das sich immer mehr steigert. Wie schön für sie, denke ich und höre auf. Es dauert ewig, bis ich eingeschlafen bin.

Mein Mann schickt Nachrichten und will wissen, wie es ist. Ich habe keine Lust, zu antworten

Am nächsten Morgen steht für alle, die wollen, um sieben Uhr Meditation auf dem Plan. Aber nicht Lotussitz und Stille, sondern „dynamische Meditation“. „Atme zu Anfang chaotisch durch die Nase und konzentriere dich aufs Ausatmen“, erklärt der junge Engländer, der ansonsten als Physiotherapeut und Yogalehrer arbeitet, schon mal in Poona war und nun im Workshop assistiert. „Nutze deine natürlichen Körperbewegungen. Fühle, wie sich deine Energie aufbaut, aber erlaube ihr nicht zu entweichen.“ Während im Raum laut und chaotisch geatmet wird, fällt es mir schwer, nicht immer wieder in meinen gewohnten Atemrhythmus zu verfallen. Das nervt mich. Ich mache doch Yoga und meditiere fast jeden Morgen, was ist bloß los mit mir? Ich habe immer weniger Lust weiterzumachen. Warum bin ich nicht im Bett geblieben? Ich fange an, innerlich Ausreden zu erfinden, um die Meditation abzubrechen. Mein Rücken tut plötzlich weh, mein Mund ist trocken vom vielen Atmen. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird die Musik schneller. Jetzt soll ich explodieren und alles rauslassen. Die Übung hatte mein Mann auch. „Fake it until you make it“, sagte er mir darüber, also: Tu so, als ob, solange, bis du in der Übung wie von selbst drin bist. Ich schnappe mir ein Kissen und haue darauf rum, schreie, brülle, tobe – und bin dabei komplett im Widerstand. Und dann prelle ich mir am Fußboden den Daumen. Mit dem Gefühl, komplett versagt zu haben, höre ich abrupt auf und schleiche aus dem Raum.
Nach dem Frühstück trifft sich die ganze Gruppe wieder im Zirkel. Die Trainer fragen, wie das „self pleasuring“ gewesen sei. Ein Amerikaner erzählt, er habe die ganze Nacht lang sehr viel Spaß mit sich gehabt. Die anderen Männer nicken anerkennend. Die Frauen sind zurückhaltender. Einige erzählen, dass sie mit der Aufgabe Probleme hatten. Als ich an der Reihe bin, zögere ich. Soll ich sagen, dass ich lustlos war? Ich blicke in die Runde und sage, ich hätte mich sehr beim Einschlafen genossen. Immerhin habe ich nicht gelogen. Meine Zimmernachbarin sitzt mir schräg gegenüber, sie zwinkert mir zu. Sie erzählt der Gruppe, sie habe starke Widerstände gegen die Self-pleasuring-Aufgabe gehabt und sei emotional am Ende gewesen. Doch dann hätte ich ihr aus diesen destruktiven Gedanken und Gefühlen herausgeholfen. Sie hätte zum ersten Mal richtig Spaß mit sich gehabt. Jetzt strahlt sie über das ganze Gesicht. Thank you, you make my day!, denke ich – weil Englisch hier die Kurssprache ist, denke ich schon öfter auf Englisch.
Als ich später kurz mein Handy anstelle, hat mein Mann mir schon mehrere Nachrichten geschrieben. Wie es mir geht, will er wissen. Ob ich bei der dynamischen Meditation gewesen sei? Ob mich einer der Männer stärker interessiere? Ich merke, dass ich keine Lust habe zu antworten, und schalte das Handy wieder aus. Was soll ich ihm schreiben? Dass ich mich im Widerstand befinde? Dass ich mich nach der Meditation gefragt habe, ob ich den Workshop abbreche? Dass ich gerade nicht weiß, ob ich darüber verzweifelt lachen oder weinen soll? Gleichzeitig wird mir klar, warum es in seiner Tantra-Woche manchmal so lange dauerte, bis er antwortete, denn hier geht es um bewusstes Wahrnehmen und Selbstreflexion. Darum, sich die eigenen Dämonen anzuschauen, statt sie zu unterdrücken. Einer meiner Dämonen ist, dass ich die einfachsten Dinge wie eine Meditation nicht hinbekomme, und das will ich jetzt erstmal mit mir allein klarkriegen, bevor ich meinem Mann davon erzähle.

Manche Männer könnten meine Söhne sein

Die nächsten zwei Tage habe ich immer mal wieder Abreisefantasien. Mit meinen Dämonen einen guten Umgang zu finden, fällt mir schwer. Ich wache morgens mit Rückenschmerzen auf. „Reiß dich zusammen“, denke ich. „Raus aus der Komfortzone“, sagen die Trainer. „Was soll der ganze Quatsch“, antwortet mein Widerstand.
Die Gruppengröße strengt mich an. Mindestens einmal am Tag sitzen wir im Kreis und teilen unsere Gedanken, Gefühle und Widerstände, die wir während der Übungen wahrgenommen haben. Das dauert. Einige Sätze sind jedoch dabei, die mich nachdenklich machen. So erzählt eine Frau, sie habe bei der Meditation festgestellt, dass sie überhaupt nicht mit sich und ihrem Herzen verbunden sei. Stattdessen plappere ihr Kopf pausenlos. Statt anwesend zu sein, kreise ihr Denken ständig um Vergleiche mit anderen Teilnehmern: Die bewegt sich besser als ich. Die ist schöner als ich. Der sieht aus, als hätte er sich drei Tage nicht gewaschen. Alles oberflächiges Zeug, und sie wisse nicht, wie sie es abstellen soll. „Nimm einfach wahr, aber sei dir dabei bewusst, dass du nicht deine Gedanken und Gefühle bist. Übe das immer wieder und lass es dann los. Es wird sich verändern, du wirst sehen“, antwortet der Cheftrainer.
Vorher war mir diese Frau eher durch ihr Schweigen aufgefallen. Ich hielt sie für abgeklärt. Nun erlebe ich sie als verunsichert. Als der Zirkel zu Ende ist, passe ich sie ab, um ihr Danke zu sagen. Durch sie ist mir bewusst geworden, dass auch meine Gedanken ständig plappern und bewerten. Ja, es ist richtig laut in meinem Kopf, und es nervt mich. Verbiete ich mir zu denken, höre ich es erst recht. Zum Beispiel als die Norwegerin dran war mit Erzählen: Ich dachte, dass ihr Kleid schön ist, auch wenn ich selbst so etwas nie anziehen würde. Was die wohl beruflich macht? Ob die mit dem Amerikaner etwas hat? Auf jeden Fall ist er sehr an ihr interessiert. Gestern Nacht haben die nach dem Zirkel doch noch ewig gequatscht …
Den Wüstenprinzen habe ich immer noch nicht kenngelernt. Andere könnten meine Söhne sein. Und einige Männer habe ich weiter im Verdacht, nur hier zu sein, um sich Frauen sexuell zu nähern. Was tue ich, wenn ich an so einen gerate? Da ich die Frage nicht beantworten kann, versuche ich, sie loszulassen.
Ich habe inzwischen so etwas wie Freundschaften geschlossen. Mit einem Dänen in meinem Alter habe ich viel darüber gesprochen, welche Vor- und Nachteile eine lange Beziehung hat und wie Kinder ein Paar auf die Probe stellen. Er sagt, seine Frau habe darauf bestanden, dass er diesen Workshop besucht. Sie hadere – im Gegensatz zu ihm – schon länger mit der Monogamie. Als dann ein anderer Mann auftauchte, habe er lange mit sich und seiner Eifersucht gekämpft, wolle seine Frau aber nicht verlieren. Nun wolle er hier lernen, sich für andere Menschen zu öffnen.
Ich fühle mich ihm verbunden, auch wenn Polyamorie nicht mein Thema ist. Ich bin hier, weil ich tiefer in die Geheimnisse von Tantra-Massage und Energieaustausch tauchen und meine Beziehung damit beleben möchte. Und ich hoffe, dass ich einen entspannten Umgang mit mir und meiner Sexualität lerne.
Ich denke an meine protestantische Familie und daran, dass ich eher von meinem ersten Freund aufgeklärt wurde als von meinen Eltern. Als ich mit 14 meiner Mutter eröffnete, dass ich bei Nils übernachten wollte, ging sie in die Apotheke, um ein Paket Kondome zu kaufen. „Hier, damit du nicht schwanger wirst“, mehr kam von ihr nicht. Bei meinem Vater habe ich es erst gar nicht versucht. Als er mich am nächsten Tag am Frühstückstisch vermisste und erfuhr, wo ich die Nacht über gewesen war, beschimpfte er meinen Freund am Telefon und beorderte mich nach Hause. Dabei war gar nichts passiert, weder Nils noch ich wussten, wie man ein Kondom benutzt. Zudem waren mir meine Erregung und die Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen so unangenehm gewesen, dass ich die Hälfte der Zeit auf der Toilette verbracht hatte.
Der Däne, dem ich diese Geschichte erzähle, lacht. Ja, auch er kenne von seinen Eltern eher eine prüde Haltung. „Muss ja“, habe seine Mutter immer gesagt. Wie sollen da Neugier, Experimentierfreude, Leichtigkeit entstehen? Gott sei Dank ist meine Generation durch die Achtundsechziger entspannter mit Sex, auch wenn ich mich hier im Vergleich zu einigen jüngeren Teilnehmern als ziemlich unentspannt wahrnehme.

Ich erzähle von meinem Leben und finde mich sehr spießig

Wir sitzen im Kreis und beobachten, wie die Trainerin den englischen Assistenten massiert. Ich schreibe die einzelnen Schritte und Handgriffe mit, um nichts zu vergessen. Zunächst fragt sie den Assistenten, ob er Grenzen habe. Ob es Stellen gebe, an denen er nicht berührt werden möchte. Ich höre, dass bei einer Tantra-Massage der Körper des anderen „zelebriert“ werde. Dass es nicht auf meine Befindlichkeit oder mein Wollen als Gebende ankomme, sondern ich einzig dem sinnlichen Erleben des anderen dienen würde.
Während die Trainerin Öl über seinen Körper streicht, soll der Assistent intensiv in den Bauch atmen und sich dabei rhythmisch bewegen. Wir halten den Atem an, als er lauter wird und undefinierbare Geräusche von sich gibt. Ich bewundere seinen Mut, sich so offen und nackt zu zeigen. Der Assistent zuckt und stöhnt, dann liegt er erschöpft unter einer Decke und guckt entspannt, während die Trainerin neben ihm sitzt und unsere Fragen beantwortet. Ich schaue in die Gesichter der anderen Frauen. In vielen, so kommt es mir vor, zeigt sich ein Ausdruck von so etwas wie zweifelnder Entschlossenheit – und die Frage, ob wir die Massage nachher auch so hinbekommen. Vielleicht ist das aber auch nur mein Gefühl, dass ich jetzt auf alle Frauen projiziere.
Erst einmal ist Pause. In drei Stunden sollen alle gestärkt und geduscht wiederkommen. Die Männer mit Sarong und Handtuch, die Frauen mit Massageöl. Beim Hinausgehen flüstert mir meine Zimmernachbarin zu, wie aufgeregt sie sei. Sie finde es schrecklich, nicht zu wissen, welchen Mann sie später massiert. Auch ich bin unsicher und beruhige mich schließlich damit, dass passieren wird, was passieren soll und ich eh keinen Einfluss darauf habe. Dieser Gedanke ist neu für mich, und er fühlt sich gut an.
Dann wird ausgelost, welche Frau welchem Mann zugeteilt wird. Möge ich den bekommen, dem ich jetzt guttue, denke ich und schließe meine Augen. Als ich sie wieder öffne, steht ein attraktiver Israeli vor mir. Danke, murmele ich in mich hinein. Wir schauen uns in die Augen, atmen dreimal tief ein und aus und sprechen dann über seine Grenzen. Noam sagt, er habe keine, ich solle einfach machen. Ich schaue mich noch einmal im Raum um. Meine Zimmernachbarin lächelt mir gequält zu. Sie hat den Mann abbekommen, der am ersten Tag mit mir tanzen wollte. Er ist ungefähr in meinem Alter und geschieden, das weiß ich aus seinen Erzählungen im Zirkel. Mehr Begegnungen hatten wir nicht, denn ich gehe ihm seit unserer Tanzsituation aus dem Weg.
Zwei Stunden später decke ich Noam mit seinem Sarong zu und setze mich verschwitzt und glücklich neben ihn. Er liegt mit geschlossenen Augen auf dem Rücken und lächelt. Space oder den Raum halten, nennt man das. Ich passe auf, dass niemand ihn jetzt stört. Ich spüre eine Welle positiver Energie durch meinen Körper wandern. Mein Herz ist weit, während mein Körper vibriert, als würde ein elektrischer Strom durch mich fließen. Ob das die Kundalini ist? Ich kenne das Hineinspüren in meinen Körper durch mein Yoga, doch jetzt nehme ich auch immer häufiger mein emotionales Befinden wahr. Ja, ich bin achtsamer mit mir.
Nach dem Abendessen sind Noam und ich im Gruppenraum verabredet. „Danke, das war unglaublich schön und tief“, sagt er. „Da war so viel Vertrauen und Geborgenheit.“ In meinem Bauch kribbelt es. Doch dann denke ich an meinen Mann und unser Leben zuhause. Ich frage Noam nach der jungen Israelin, mit der ich ihn in den vergangenen Tagen öfter gesehen habe. Er antwortet, er sei in keiner festen Beziehung. Er habe eine Liebschaft mit dieser Frau, die wiederum in einer offenen Beziehung lebe.
Ich erzähle von meinem Leben und fühle mich sehr spießig. Doch Noam findet es schön, dass ich schon so lange mit meinem Mann zusammen bin. Das wünsche er sich auch, aber er habe noch nicht die Eine dafür gefunden. Dann schlägt er vor, auf sein Zimmer zu gehen. Sein Zimmergenosse und er hätten die Regelung, dass sie zu bestimmten Zeiten das Zimmer jeweils für sich allein hätten. Heute Abend sei er dran. Ich denke wieder an meinen Mann und merke: Ich bin geschmeichelt, aber ich will nicht. Noam sagt, das könne er verstehen. Wir reden noch eine Weile, aber der Zauber ist verflogen. Nach einer halben Stunde verabschieden wir uns. Im Hinausgehen höre ich aus einer dunklen Ecke des Zimmers tiefes Stöhnen. Verdammt, denke ich, warum bin ich nur so feige.
Leise gehe ich zurück zu meinem Zimmer, während über mir ein unermesslich schöner Sternenhimmel strahlt. Es ist fast Mitternacht und ganz still. Dass ich Noams Einladung ausgeschlagen habe, ärgert mich jetzt. Doch gleichzeitig höre ich in mir ein klares: Nein. Da weiß ich, dass es so richtig für mich ist.
Am nächsten Tag werden wir Frauen massiert. Meine Zimmernachbarin erzählt mir, sie habe mit ihrem Empfänger-Mann bei der Massage gestern einen sehr tiefen energetischen Austausch gehabt. Zunächst sei sie erschrocken, als er plötzlich anfing, laut zu weinen. Er sei hinterher aber sehr glücklich gewesen, denn es seien zarte, liebevolle Gefühle in ihm aufgestiegen, die er lange nicht mehr gespürt habe.
Als wir ihm dann zufällig begegnen, ist es, als stünde ein anderer Mensch vor uns. Seine Haltung hat sich verändert. Er wirkt aufrechter und präsenter. Auch sein Gesicht ist offener, wärmer. Etwas in ihm sei geheilt worden, sagt er mit sehr weicher Stimme. Da sei jetzt das Gefühl zu genügen, mit seinem Körper, seiner Männlichkeit, seinem Sein. Er fühle sich reich und beschenkt und könne sich zum ersten Mal in seinem Leben akzeptieren. Dann fängt er wieder an zu weinen, es sind Freudentränen. Im nächsten Moment liegen wir uns alle in den Armen, halten uns fest und lachen. Beschämt stelle ich fest, dass mein Urteil über ihn eine reine Kopfgeburt war.

Es wird gelost, wer einen massieren wird. Mein Masseur ist der Wüstenprinz


Wieder im Zirkel. Welcher der Männer wird mich heute massieren? Immerhin schließe ich durch die Begegnung mit dem weinenden Mann keinen mehr aus. Ich merke, ich bin häufiger im Hier und Jetzt. Mein Kopf, so scheint es, hat sich mit einem Drink in der Hand in den Urlaub verabschiedet. Stattdessen meldet sich mein Herz öfter, und ich stelle fest, dass unter seiner Führung die Dinge entspannter sind. Meine Begegnungen mit anderen Teilnehmern sind herzlicher. Wir umarmen uns und atmen tief miteinander, bevor wir miteinander sprechen. Es folgen Einladungen zum Kuscheln, und oft spüre ich ein Ja. Ich weiß viel schneller, was ich will und was nicht. Das zeigt sich auch im Zirkel. Es geht längst nicht mehr darum, sich im besten Licht zu zeigen, sondern Ängste und andere unangenehme Gefühle werden geteilt. Der Amerikaner, der sich am Anfang immer als der größte Lover dargestellt hat, spricht plötzlich über seine Angst, sein Penis könnte zu klein sein. Die Frau, die jedes Mal perfekt geschminkt und gekleidet beim Workshop erscheint, gesteht, dass es kaum etwas gebe, was sie an sich mag. Ihre Makellosigkeit sei ihr Versuch, sich zu verstecken, damit keiner mitbekommt, wie es dahinter aussieht.
Die vielen Menschen, die mir vor fast einer Woche völlig fremd waren, sind Teil meiner kleinen Familie geworden. Ich halte die Hand eines älteren Mannes, der neben mir sitzt, während mich die kleine Spanierin im Arm hält.
Dann sollen wir auf unser Zimmer gehen, duschen und mit einem Sarong bekleidet wiederkommen. Auch diesmal werden die Paare gelost. Und oh Wunder, mein Masseur wird der Wüstenprinz sein. Ich merke, dass ich mich darüber freue und sich gleichzeitig mein Kopf wieder einschaltet. Hoffentlich kann ich mich bei ihm fallenlassen, denke ich.
Zwei Stunden später liege ich ernüchtert auf meinem Handtuch, der Wüstenprinz hat den Raum verlassen. Nix energetischer Austausch, er hat mich zwei Stunden einfach nur durchgeknetet. Zunächst bin ich frustriert. Was hatte ich auf diesen attraktiven Mann nicht alles projiziert: Sinnlichkeit, tiefes Wissen, ganz viel Sensibilität. Nun hat mich die Wirklichkeit eines Besseren belehrt. Als ich ihn wenig später im Garten treffe, bedanke ich mich für diese Lektion, während er mich verständnislos anschaut. Ich gehe weiter und muss so sehr lachen, dass es meinen ganzen Körper schüttelt. Die Sonne scheint in mein Gesicht. Ich denke an meinen vertrauten und so einfühlsamen Mann. Alles ist an seinem Platz.
Und dann – zurück zu Hause. Es fühlt sich an, als wäre ich ewig weggewesen. Ich bin verliebt in uns und unser Leben. Mein Mann und ich nehmen die Dinge nicht mehr so ernst, und wir fühlen uns wie Gefährten, die von einer langen Reise zurückgekehrt sind. Es ist, als hätten wir einen Zeitsprung in unsere Anfangszeit gemacht, als noch alles neu und aufregend war. Mit dem Unterschied, dass wir inzwischen einander viel besser kennen und verstehen. Unsere Beziehung ist seit dem Workshop tiefer, ehrlicher und geprägt von gegenseitigem Respekt. Das überträgt sich auch auf unser Liebesleben. Wir spielen miteinander, fühlen und genießen einander, ohne zwingenden Höhepunkt.
Auch unser Freundeskreis hat sich verändert. Er ist größer geworden. Wenn die Hippiefrau zu Besuch kommt, kuscheln wir zu dritt auf dem Sofa. Ich frage mich, warum ich auf sie eifersüchtig war, und finde darauf keine Antwort mehr. Und es gibt Abbrüche von Freundschaften mit Menschen, die mich lange begleitet haben. So finde ich mit jener engen Freundin, die auf das Stichwort Tantra so entsetzt reagierte, keine Gesprächsthemen mehr. Sie erzählt mir von Schuhkäufen, Botox und dem vorigen Cluburlaub. Mit meinem Eso-Scheiß brauche ich ihr erst gar nicht zu kommen, sagt sie. Am stärksten ist für mich aber die Erkenntnis, dass meine Gedanken und Bewertungen meine Wirklichkeit bestimmen – und dass ich es selbst in der Hand habe, wie ich etwas wahrnehme. Lieber erst einmal tief durchatmen und spüren. Oh Tantra sei Dank!

Suse Schumacher war früher Journalistin, jetzt ist sie Psychologin und Coach und arbeitet u.a. als Naturtherapeutin. Infos zu ihrer Arbeit findet Ihr hier: www.suseschumacher.de 
Zusammen mit ihrem Mann, dem Journalisten Hajo Schumacher, betreibt sie den Podcast https://wir-der-mutmach-podcast-der-berliner-morgenpost.blogs.julephosting.de 

Foto: Samuel Austin/Unsplash

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