Wie der dtv-Buchverlag weibliches Denken kleinmacht
Dieser Text von Silke Burmester ist im Rahmen der Audiokolumne „Sexistische Kackscheiße“ Teil des Podcasts „Mikas Matrix„

So und nun ich. Und das mal wieder so richtig in Rage. So richtig aufgebracht. In meinem Hirn explodieren die … ja, was eigentlich? Die Rosen? Die Margeriten? Die Nelken, Tulpen, das Schöllkraut???
Ja, was haben wir Frauen* eigentlich unter unseren Haaren? Also, in unserem Kopf? Also dort, wo Männer ein Hirn haben?
Oder ist die Frage präziser, wenn ich frage, wofür Frauen* ihr Hirn nutzen? Wenn es nach dem dtv Verlag geht, um Blumen blühen zu lassen. Rosen. Gelbe, rote, weiße, pinkfarbene Rosen ist, was rauskommt, wenn Frauen* denken.
Anlass meiner in voller Pracht erblühten Wut ist das Cover des Buches „Das Gehirn in der Menopause“ von der Neurowissenschaftlerin und Nuklearmedizinerin Dr. Lisa Mosconi. Ein Sachbuch. In den USA ein Bestseller. Und dort mit einem Buchumschlag, der drei farbige Kreise zeigt, die ineinandergreifen – und als Fachbuch erkennbar. Außerdem traut man sich im Original, den Frauen* das Wort „Wissenschaft“ auf dem Titel zu hinterlassen. In Deutschland soll die Leserin* durch den Umstand gelockt werden, dass sie durch die Lektüre in der Lage sein wird, „unentdeckte Kraft“ zu „nutzen“.
Und was macht man hierzulande optisch, wenn es um Frauen* und Hirn geht? Man zaubert – ja, hier wird man gezaubert haben, mit Denkarbeit hat das nicht viel zu tun – eine Glühbirne auf den Titel, deren Glühkörper von Schnittblumen dargestellt wird. Rosen. Also, nochmal für Doofe: Blüten am Stil formen eine Glühbirne.
Die Message ist einfach: Denken, das heißt, Ideen haben. Und was versinnbildlicht, spätestens seit Daniel Düsentrieb, die Idee, was bildet sie ab? Eine Glühbirne! So weit so sachlich.
Nur, bei dieser Sachlichkeit bleibt es nicht, wenn es um die Darstellung der Denkleistung von Frauen* geht. Diese muss nach dem Verständnis der Verlags-Primeln durch Blumen, präzise, durch Schnittblumen dargestellt werden.
Was eben so in einem Frauen*gehirn wächst.
Unter diesem Umstand sind Denkleistungen von Frauen* wie die von Hedy Lamarr, im Zweiten Weltkrieg das Frequenzsprungverfahren zu erfinden und damit den Grundstein für den Mobilfunk zu legen, wie die Forschung von Marie Curie, für die sie zwei Nobelpreise erhielt oder Virginia Woolf, Jahrhundertliteratur verfasst zu haben, noch höher zu bewerten. Können Frauen doch nicht einfach denken, sondern müssen ihre Gedanken durch ein Gestrüpp aus Schnittblumen bringen. Durch ein Meer an dornigen, wuchernden, sich verzweigenden Pflanzen. Gedanken sicher dorthin zu bringen, wo sie fern aller blumigen Verwirrung ihre Früchte bilden können, ist eine Aufgabe für sich. Eine, die Männer nicht zu haben scheinen. Die denken direkt. Ohne Umwege durch die Botanik.
Es ist unklar, welches Kraut in den Köpfen beim dtv Verlag wächst. Oder geraucht wird. Was die Zugänge zu Logik, Klarheit und Achtung vor Frauen in einen Dornröschenschlaf versetzt hat. In jedem Fall wird eine Heckenschere helfen.
Hat sie erste Hirnareale freigelegt, wird auch dort die Erkenntnis erblühen: So lang das Denken von Frauen* mit Rosen und Orchideen gleichgesetzt wird, können wir es uns abschminken, dass Frauen* ernstgenommen werden.
Oder würden Sie jemanden das Cover eines Fachbuchs gestalten lassen, dessen Verständnis von der Welt nicht über den Radius von Blume2000 hinausreicht?

Das us-amerikanische Original – so sieht das Buch aus, wenn man Frauen* ernst nimmt
Immerhin, ein Bestseller