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Palais F*luxx

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Tatort „In seinen Augen“ – an oder aus?

Heike Makatsch kann wenig dafür, dass ihre Tatort-Folgen so blöd sind. Silke Burmester über die aktuelle, die geschickt mit den Vorurteilen gegenüber Paarungen zwischen älteren Frauen und jungen Männern spielt und sogar die Kommissarin reifen lässt

Duschen für Fortgeschrittene: Da hat Charlotte doch mal was, was Bibiana (Ulrike Krummbiegel) gern hätte. Einen feschen Mann im Haus. Bild: SWR/Peter Porst


Eigenartigerweise fällt nie der Name Heike Makatsch, wenn man über Schauspielerinnen 47+ spricht. Vielleicht, weil ihr noch immer so ein quietschiger, rotziger Widerstand anhaftet, wie er die Jugend kennzeichnet. Jedenfalls die gelungene.
Die Tatort-Folgen zu gucken, in denen sie Ellen Berlinger spielt, kann man sich in der Regel sparen. Die Drehbücher sind meist mau bis misslungen. Ihre Figur als „Frau gegen den Strich“ ist unsympathisch angelegt, darin unausgegoren und wohl von ihren Erschaffern ungeliebt. Dummerweise hat sie auch noch den schier um Antipathie ringenden Sebastian Blomberg an der Seite – „Wer will schon so zwei Ekelpakete sehen?“, fragt die Freundin.

Die TV-Kommissarin löst Fälle Dank ihres Bauchgefühls

Nun aber will Ellen Berlinger den vermeintlichen Diabetes-Tod einer Millionärin aufklären – und das wird dann doch ganz interessant. Jedenfalls, wenn man aus der Perspektive schaut, wie Frauen 47+ – wenn überhaupt, haha! – im Fernsehen dargestellt werden. Welche Rolle innerhalb der Gesellschaft ihnen zugestanden wird, welche Handlungsspielräume. Welche Macht.
Die Kommissarin ist eine der wenigen Rollen für Frauen 47+ im Fernsehen, in denen Frauen ohne Ehemann an der Seite agieren können und wo sie sprechen, ohne dass es im Gespräch um Liebe, Ehe oder Kümmern geht. Die Kommissarin ist eine der raren Gattungen im deutschen Fernsehen, in der die Frau zupackend, durchsetzungsstark und mitunter aggressiv agieren kann. Und dennoch, so stellte neulich eine Schauspielerin im Gespräch fest, resultiert ihr Handeln oft aus einem Gefühl heraus. Nicht Erfahrung und Know-how lassen sie die Fälle lösen, sondern ihr „Gefühl“. Konkret, ihr „Bauchgefühl“.
Wie zum Hohn liefert die Folge „In seinen Augen“, die am kommenden Sonntag läuft, nicht nur den Beweis, sondern dies in so extradumm, dass es einer schlauen Frau wie Heike Makatsch nicht leichtgefallen sein dürfte, den Schwachsinnstext von Drehbuchautor Thomas Kirchner über die Lippen zu bringen, nachdem sie dem Haupttatverdächtigen in die Augen gesehen hat: „Ich habe es gesehen, es war Mord! Die Gewaltbereitschaft. Die Gerissenheit. Angst! Ich kann hinter diesen Moment der Erkenntnis nicht mehr zurück!“

Eine Erzählung über Bedürfnisse und den Spaß an Macht

Wir haben also eine dramaturgisch unausgereifte Hauptfigur, einen schwer erträglichen Nebendarsteller und die unprofessionellsten Worte der Kommissarinnengeschichte und trotzdem soll der Tatort „In seinen Augen“ interessant sein?
Ja, denn er erzählt die Geschichte zweier Frauen in ihren 60ern. Bibiana Dubinski ist eine kapriziöse, lebenshungrige und auch sexuell sehr selbstbewusste Millionärin, ihr steht Charlotte Mühlen gegenüber, eine eher zurückhaltende, bescheidene und auch weniger eitle Frau. Ihre Freundschaft lebt von der jeweiligen Andersartigkeit des Gegenübers und davon in der anderen zu finden, was einem selbst fehlt.
Als Charlottes Hund stirbt, lernt sie Hannes kennen, der beim Tierbestatter arbeitet. Hannes ist Anfang 30, ein Mann mit rauer Vergangenheit und Geheimnissen. Aufbrausend und zupackend. Und dabei extrem schmuck. Die beiden werden ein Paar. Als Bibiana tot aufgefunden wird und Ellen Berlinger hinter die Erkenntnis nicht mehr zurückkann, dass der Insulinschock kein Unfall gewesen sein kann, wird Hannes schnell der Hauptverdächtige.

Im Mittelpunkt stehend und doch fast nonchalant nebenbei erzählt dieser Film vom Leben zweier Frauen, die auf die 70 zugehen. Erzählt vom Alltag jener, die sich alles kaufen kann – und tut. Und von der, die alles hat, was sie braucht. Außer Liebe. Nähe. Wärme. Zuneigung. Es ist eine Erzählung über Bedürfnisse, auch über Macht und den Spaß an ihrer Auslebung. Es ist ein Einblick in das Leben zweier Frauen in einem Alter, von dem meist nicht viel erzählt wird, außer, dass es in einer Ruhe verbracht wird, die das Älterwerden angeblich mit sich bringt.

Kann man drehen und wenden, wie man will, Charlotte (Michaela May) und Hannes (Klaus Steinbacher) sehen aus wie Mutter und Sohn. Gibt Schlimmeres. Bild: SWR Peter/Porst

Zweifel bei der Polizei und bei uns

Dieser Tatort mutet den Zuschauer*innen die Erkenntnis zu, dass diese Ruhe weder gottgegeben noch zwangsläufig ist. Man gebe einer älteren Frau nur einen Freund, einen Liebhaber, einen Sexpartner, und vorbei ist es mit der Häkelei.
Womit es noch lange nicht vorbei ist, ist unser Zweifel an der Paarung, so denn die Frau mal die Ältere ist. Irgendwann, als Charlotte endlich mal die Nerven durchgehen, faucht sie ihre Wut über den Zweifel, die Unterstellungen der dummen Polizeibeamten heraus und benennt die gesellschaftliche Schieflage, in der es völlig normal ist, dass ein Mann eine 30 Jahre jüngere Partnerin hat, aber wehe, das Altersverhältnis ist mal umgekehrt!
Dabei ist es recht geschickt eingefädelt, dass nicht nur die Polizei die Aufrichtigkeit innerhalb dieser Beziehung infrage stellt, sondern auch wir als Zuschauer*innen. Und ja, so selbstverständlich man selbst ein solches Selbstverständnis in Bezug auf Beziehungen einfordert, so groß ist der Zweifel, dass Hannes es ernst meint.

Unter dem Aspekt #sichtbarkeit47+ ist dieser Tatort enorm gelungen. Und zur Ehrenrettung von Ellen Berlinger sei gesagt, dass sie mit diesem Film ein wenig mehr Kontur gewinnt und nicht ausschließlich nur verkorkst sein darf. Ihr Kollege Martin Rascher hingegen bleibt von Anfang bis Ende ein zynischer Kotzbrocken.

Am Sonntag, den 26. Juni um 20.15 Uhr in DasErste Trailer hier

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