Monogamie wegswipen
Dating Apps haben es zunehmend schwer, las ich jüngst in mehreren Zeitungen. Immer mehr User wenden sich von Tinder, Bumble & Co. ab. In den USA ergab sogar eine Umfrage unter Studierenden, dass 79 Prozent keine Lust mehr haben, virtuell nach einem Partner oder einer Partnerin zu suchen. Eine andere Umfrage zeigte auf, dass fast die Hälfte der Nutzer:innen von Dating-Apps dabei überwiegend negative Erfahrungen gemacht hat. Virtuelles Dating steckt offenbar in der Krise.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Wer nach Liebe sucht, trifft häufig auf Menschen, die eher eine lockere Affäre anstreben. Oder auf Menschen, die sich nicht entscheiden können, weil ja hinter jedem Swipe eine neue, noch spannendere Person stecken könnte. Darüber hinaus hat die Wirtschaftspsychologin Wera Aretz in einer aktuellen US-Studie herausgefunden, dass zwei Drittel der Tinder-Nutzer:innen längst vergeben sind. Sie sind also eher auf der Suche nach Abenteuern oder ein bisschen Bestätigung. Was mich mal wieder zu der Frage führt: Warum halten immer noch so viele Menschen an dem romantischen Gedanken einer langen monogamen Beziehung fest?
Zwei Jahre hält in der Regel der Hormon-Cocktail an, der uns blind vor Verliebtheit macht und niemanden außer dem oder der Auserwählten sehen lässt. So habe ich das zumindest neulich mal gelesen. Danach ändert sich die Hormonlage und man beginnt wieder seine Umwelt wahrzunehmen, also auch die Attraktivität anderer Personen im Umfeld. Und schon drohen die Verlockungen anderer Sexualpartner:innen. Übrigens legten in den letzten Jahren die Seitensprünge besonders unter Frauen zu, auch durch eine Studie belegt.
Was wäre es für ein Paradies für alle, wenn wir uns von den selbst auferlegten Fesseln der körperlichen Treue einfach befreien würden und offen und ehrlich mit unserem Begehren umgingen. Niemand müsste sich mehr trennen, nur weil man mal im anderen Bett gespielt hat. Man könnte das Gute in einer Beziehung genießen und sich gegenseitig die Abenteuer gönnen, die auch ein Stück unser Lebenselixier sind.
Letzte Woche traf ich eine alte Freundin, die sich vor einigen Monaten von ihrem Mann getrennt hatte. Der Grund – natürlich ein Seitensprung. Beide verstanden sich gut, lachten noch viel miteinander, gingen aus, genossen den gemeinsamen Freundeskreis. Damals fragte ich sie, ob sie das wirklich alles aufgeben wollte, nur weil er mal mit einer anderen Frau im Bett war? Um ihr selbstverständlich auch gleich vorzuschlagen, sich selbst ein paar Auswärtsspiele zu gönnen. Doch sie war gekränkt und zog den Schlussstrich unter eine tolle zehnjährige Ehe. Umso überraschter war ich, als sie mir jetzt eröffnete, dass beide wieder zusammengefunden hatten. „Wir haben ganz ehrlich miteinander gesprochen und erlauben uns nun gegenseitig, auch mal andere Menschen zu treffen“, gab sie zu meiner größten Überraschung und Freude zum Besten. Sie strahlte wie lange nicht mehr, denn auch sie hatte mittlerweile andere Liebhaber getroffen. Bingo.
Vielleicht tut sich ja doch in den nächsten Jahren gesellschaftlich etwas in Sachen alternative Beziehungsmodelle. In den USA jedenfalls gibt es jetzt mit „Feeld“ eine Dating-App für Menschen, die ganz unverkrampft und ohne Heimlichkeit auf der Suche nach Nicht-Monogamie, Kinks, Swinging und anderen Beziehungsoptionen sind. Genutzt wird sie laut Tech-Magazin „Wired“ übrigens überwiegend von Menschen über 60. Soviel auch zu dem Vorurteil, Menschen im Seniorenalter hätten keinen Sex mehr.
Es wäre jedenfalls eine fabelhafte Sache, wenn diese Entwicklung bald zu uns nach Europa überschwappen würde. Die Welt ändert sich gerade rasant. Also ist erst recht Zeit für ein Beziehungs-Update.
Suzette Oh ist im besten Alter, um die richtige in Theorie und Praxis erfahrene Sexpertin für uns zu sein. Tatsächlich hört sie außerhalb der gedämmten Wände auf einen anderen Namen, möchte aber auch weiterhin die Bestellung für ihre Schwarzwälderkirschtorte zum Geburtstag aufgeben, ohne dass die Verkäuferin kreischt: „Ich kenn Sie! Sie sind die tolle Sex-Kolumnistin!“
Wer jetzt schnell mehr von ihr lesen möchte, klickt auf die Links. Suzette Oh hat nämlich bereits aussagekräftige Bücher veröffentlicht, als da wären ihr „Pussy Diary“ und ihre erotische Phantasien in Bezug auf das Erben eines Hauses. Bzw. ein Hotel der Lust.
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