Sylvia Heinleins Wochenjournal über die Stürme im Wasserglas des Alltags. Diesmal: Respekt!
Es ist Ostermontag, 21.43 Uhr, ich sitze im Morgenmantel mit Zigarette und Eierlikörchen am Schreibtisch. Den Tag über lag ich im Bett und versuchte mich zu beruhigen. „Madam“, sagte ich mir, „lass die Leute reden, manche Menschen sind so fest in sich verschraubt, da bringt auch das beste Schmieröl nichts.“ Es war aber umsonst, ich wurde nur noch aufgeregter. Im Prinzip echauffierte ich mich bereits seit Ostersonntag, da hatte ich mit einem atheistischen Verwandten telefoniert und unser Gespräch hatte sich tief in mich hineingefräst. Dem Mann war es ein Bedürfnis gewesen, beiläufig ein Eimerchen Häme über die katholische Kirche auszuschütten, die Austrittswelle zu beklatschen und mich auf manch kirchlichen Mist aufmerksam zu machen. Was darf ich als kaum mehr praktizierende Larifari-Katholikin antworten? Vielleicht: „Ernsthaft?! Großer Mist, jawohl, das weiß ich am allerbesten, ich zweifle seit rund 40 Jahren, aktuell sogar dramatisch, an dem Laden, in dem ich Mitglied bin. Aber kann ich zumindest am höchsten christlichen Feiertag KURZ mal meine Ruhe haben, wenn schon nicht aus Verständnis, dann eventuell aus Respekt?! Schönen Dank auch und trotzdem frohe Ostern, Oberst Dummbatz!“ Das hätte ich sagen und danach ein Fähnlein mit alldem beschriften können, um es künftig vor Ostern, Pfingsten und Weihnachten zu schwenken. Ach, das Thema ist zu groß und mein Sanftmut zu klein …
Lieber schnell aufs Sofa, in meinen alten Tagebüchern blättern und endlich die großen Fragen klären. Wer war ich, wer bin ich, wo wollte ich hin, wo geht es künftig lang? Meine Eintragungen beginnen mit dem elften Lebensjahr und offenbaren Erschütterndes: Die letzten 47 Jahre war ich quasi ununterbrochen damit beschäftigt, mich enthusiastisch in wechselndes Liebesleid hineinzubohren. Ich kann einer 11-Jährigen nichts vorwerfen und auch keiner Pubertierenden, aber einer erwachsenen Frau? Möchte ich diese Person auf einer Party näher kennenlernen? Eigentlich aber war ich ganz anders – mein Lieblingssong 1979, lese ich, war „Dschinghis Khan“*. Die treibenden Beats, vor allem aber der sehr gute Text überzeugen noch heute. Bitte, hier:
Hu ha hu ha
Hu ha hu ha
Hu ha hu ha
Hu ha hu ha
Hu ha hu ha hu ha hu ha
Sie ritten um die Wette mit dem Steppenwind, tausend Mann (Haa, Huu, Haa)
Und einer ritt voran, dem folgten alle blind, Dschinghis Khan (Haa, Huu, Haa)
Die Hufe ihrer Pferde durchpeitschten den Sand
Sie trugen Angst und Schrecken in jedes Land
Und weder Blitz noch Donner hielt sie auf (Huu, Haa)
Dsching, Dsching, Dschinghis Khan
He Reiter, Ho Leute, He Reiter, Immer weiter!
Dsching, Dsching, Dschinghis Khan
Auf Brüder! Sauft Brüder! Rauft Brüder! Immer wieder!
Lasst noch Wodka holen (Ho, Ho, Ho, Ho, Ho)
Denn wir sind Mongolen (Ha, Ha, Ha, Ha, Ha)
Und der Teufel kriegt uns früh genug!
Natürlich hatte ich keine Ahnung von Wodka, Reiten konnte ich auch nicht, aber grundsätzlich passte die mongolische Einstellung zu mir, das fühlte ich damals und wenn ich es genau bedenke, spüre ich es weiterhin. Dass im Text nur Männer zugange waren, überhörte ich seinerzeit ohne Probleme, es sollte auch heute keinen großen Geist stören.
*Dschinghis Khan: https://www.youtube.com/watch?v=pzmI3vAIhbE