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Palais F*luxx

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Jeden zweiten Mittwoch stellen wir Euch eine Frau vor, die ihr Leben umkrempelt
oder sonst etwas tut, auf das sie gerade Lust hat

Heute: Cinzia Tanzella

Ihr Zuhause in Süditalien erlebte Cinzia als engstirnig und kleingeistig. Erstaunlicherweise ging sie dann nach Deutschland. Ihre größte Freude ist es heute, in einer fremden Sprache Bücher schreiben zu können Foto: Natalie Schulda

Der Enge der süditalienischen Heimat entfliehen! Genau das hat Cinzia Tanzella getan und lebt nun schon seit einem Vierteljahrhundert in Deutschland. Hier führt sie ein eigenständiges Leben, schreibt Bücher, unterrichtet an der Düsseldorfer Uni – und fragt sich neuerdings: Was ist Heimat? Die Antwort liegt womöglich tief in ihr selbst .

Name: Cinzia Tanzella
Alter: 49
Beruf: Universitätslektorin für Italienisch, Autorin
Wohnt in: Düsseldorf / manchmal Bayern, Altmühltal
Motto: Folge deiner inneren Stimme.

Was beschäftigt Dich zurzeit am meisten?
Nach 25 Jahren in Deutschland ist mir plötzlich das Thema „Zuhause sein“ besonders wichtig geworden. Es fühlt sich an, als wäre ich ständig auf der Suche nach einem Ort, an dem ich mich wirklich zu Hause fühlen kann. Doch während ich über diese Frage grüble, wird mir bewusst, welcher Luxus mein Problem ist im Vergleich zu den Menschen, die aufgrund von Krieg und Not ihre Heimat verlassen müssen. Die Tatsache, dass Machthaber, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen, so viele Menschen dazu zwingen, ihre Heimat aufzugeben, macht zutiefst traurig. Ich empfinde das als sehr ungerecht.

Auf was kannst Du locker verzichten?
Oh, ich könnte ohne Probleme auf Dinge verzichten, die man leicht ersetzen kann, wie zum Beispiel eine Knoblauchpresse. Ach, und mir fällt ein, dass ich seit drei Jahren ohne Kleiderschrank lebe. Ich habe das Ding einfach verkauft, als ich umgezogen bin. Jetzt lebe ich mit einer Kommode und zwei Kleiderstangen – minimalistisch und herrlich! Ich verzichte auch gerne auf Absatzschuhe, da bleibe ich lieber auf festem Boden und erspare mir das wackelige Balancieren.

Musstest Du Dich schon mal neu erfinden? Wenn ja, womit?
Ich habe mich schon öfter neu erfunden. Zum Beispiel nach einem schweren Beinbruch in meiner Jugend, der mich zwang, meine Träume als Jazz-Tänzerin aufzugeben. Das hat mich in jungen Jahren stark geprägt. Auch die Entscheidung, in ein neues Land (Deutschland) zu ziehen und mich dort einzuleben, war eine Herausforderung, die mich zwang, mich anzupassen und gleichzeitig flexibel zu bleiben. Doch das Erlernen einer neuen Sprache und das Eintauchen in eine neue Kultur fand ich immer äußerst faszinierend. Die größte Umstellung kam jedoch, als ich mich von meinem Ehemann trennte und plötzlich als Alleinerziehende und freiberufliche Dozentin meinen Lebensunterhalt verdienen musste. In den ersten Jahren war es finanziell sehr hart, aber ich habe immer daran geglaubt, dass es der richtige Weg war. Jeder dieser Neuanfänge brachte zweifellos neue Herausforderungen mit sich, und die Zeiten waren nicht einfach. Doch heute, wenn ich zurückblicke, sehe ich alles als wertvolle Erfahrungen an, durch die ich gewachsen bin.

Was hat Dich zu dem gemacht, was Du bist?
Nun, meine Geschichte beginnt mit einer strengen Kindheit und Jugend in den 80er- und 90er-Jahren im Süden Italiens. Dort herrschte eine Mentalität, die voller Vorurteile, machohaft und sexistisch sowie materialistisch und oberflächlich war. Diese Umgebung empfand ich als erdrückend, und ich habe sie nie gemocht. Mein dringender Wunsch war es, nicht so zu werden wie mein Umfeld. Vielleicht war dies einer der Gründe für meinen großen Schritt ins Ausland, mit dem festen Willen, mich von lokalen und kleingeistigen Mentalitäten zu befreien. Es hat mich in meiner Jugend immer inspiriert, in den Werken großer internationaler Autoren zu lesen und zu erkennen, dass es verschiedene Denkweisen und Lebensstile gibt, die weit über das hinausgehen, was uns in unserer unmittelbaren Umgebung beigebracht wurde. Oft übernehmen wir Verhaltensweisen aus unserem Umfeld, ohne sie zu hinterfragen. Doch warum sollten wir uns nicht erlauben anders zu leben, wenn es uns glücklich macht?
Auch das Muttersein hat mich zutiefst geprägt, und heute, in diesem Abschnitt meines Lebens, erkenne ich den enormen Einfluss der persönlichen Entwicklung meiner Eltern in ihrer langen Ehe auf mich, trotz unserer Unterschiede. Und zu guter Letzt, auch wenn es banal klingen mag, hat jeder Mensch, dem ich begegnet bin, mich auf seine Weise geprägt, und auch die Hindernisse auf meinem Weg haben letztendlich dazu beigetragen, dass ich die Person geworden bin, die ich heute bin.

Was wolltest Du als Kind für einen Beruf ergreifen?
Als Kind träumte ich davon, Trickfilm-Creator zu werden, inspiriert von diesen abgefahrenen japanischen Zeichentrickfilmen. Aber ehrlich gesagt, dachte ich nicht wirklich, dass es so einen Beruf gibt! Dabei hatte ich schon damals eine Vorliebe für Geschichtenerzählen. Ich erinnere mich noch, wie ich meine Geschwister und Cousinen dazu zwang, in meinen selbst erfundenen Krimis mitzuspielen. Als sie genug hatten, bastelte ich mir mein eigenes „Fernsehen” aus einem Schuhkarton – da konnte ich meiner Fantasie freien Lauf lassen! Später, mit zwölf Jahren wollte ich unbedingt Jazz-Tänzerin werden, aber wie ich schon erzählt habe, musste ich mit dem Tanzen aufhören. Danach wollte ich unbedingt Fremdsprachen lernen, um Übersetzerin und Dolmetscherin zu werden.

Dein tatsächlicher beruflicher Werdegang?
Meine Eltern konnten oder wollten nicht die Übersetzungsschule bezahlen; die war sehr teuer. Und damals in Süditalien hatte man keine Chance, sowas als Studentin selbst zu finanzieren. Wir konnten uns auf die staatliche Universität einigen, also schrieb ich mich für Germanistik und Anglistik ein. Während des Studiums wurde mir klar, dass die Fremdsprache eigentlich nur ein Mittel war, um etwas Größeres zu verstehen: die Literatur. Damals dachte ich, ich würde später in einer Redaktion arbeiten und mich mit Büchern beschäftigen. Ich wollte nicht Lehrerin werden. Aber gleich nach dem Uniabschluss – ich war inzwischen in Deutschland gelandet – wurden mir ein paar Italienisch-Kurse angeboten und seitdem ist Italienisch-Unterrichten zu meinem Beruf geworden, allerdings nicht an der Schule. Bücherprojekte kamen später freiberuflich dazu.

Dein größter Erfolg?
Ich bin besonders stolz auf die beiden Bücher, die ich im Selfpublishing veröffentlicht habe. Zum einen, weil ich sie in einer fremden Sprache geschrieben habe. Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, in der es noch so kompliziert war, einen Satz auf Deutsch zu formulieren und ich sogar Probleme hatte, den Unterschied zwischen Akkusativ und Dativ im Deutschen zu verstehen, dann fühlt es sich wie ein Wunder an, meine eigenen Bücher zu betrachten. Es zeigt mir, dass viele Dinge möglich sind, wenn wir nur den Willen dazu haben. Zum anderen bin ich stolz darauf, dass ich mich um jedes Detail der Bücher gekümmert habe – vom Coverdesign bis hin zur Organisation von Lesungen. Es fühlt sich an, als wäre ich gleichzeitig Autorin, Literaturagentin und Verlegerin. Diese Erfahrung zeigt mir, dass man viel erreichen kann, wenn man an sich glaubt und dranbleibt. Ich empfinde es als großen Erfolg und bin sehr dankbar für alle Möglichkeiten, die heute durch das Selfpublishing möglich sind.

Was ist Dein Rat an Frauen, die sich in der Mitte des Lebens neu aufstellen?
Versucht euch zunächst klar über eure Ziele und Wünsche im Klaren zu werden und geht dann Schritt für Schritt vor. Vergesst nicht, euch regelmäßig Zeit zu nehmen, um innezuhalten und euch selbst zu reflektieren. Stellt sicher, dass ihr euch selbst liebevoll behandelt und euch den Respekt gebt, den ihr verdient. Und zögert nicht, Unterstützung und Rat bei anderen Frauen zu suchen. Gemeinsam können wir uns gegenseitig wie Schwestern unterstützen.

Was empfindest Du heute anders als noch vor 20/30 Jahren?
Ich brauche meine Zeit nicht mehr mit Grübeln und Selbstzweifeln vergeuden. Ich bin gelassener und selbstsicherer.

Dein Rat an Dein früheres Ich?
Weniger denken, einfach handeln! Perfektionismus kann nur hinderlich sein.

Vielen Dank!

Das Interview führte Gerlind Hector, die Cinzia zutiefst darum beneidet, eine Fremdsprache – hier: Deutsch – so toll zu beherrschen, dass sie sogar Bücher schreiben kann. Mindestens einmal im Jahr fährt Gerlind nach Italien und kann sich schon passabel über „dio” und „il mondo” unterhalten. Bis nach Apulien, Cinzias alte Heimat, ist sie leider noch nicht gekommen. Dabei liegt das kleine Städtchen Monopoli schon lange auf ihrer Reise-Bucketlist … dort muss es auch nicht die Schlossallee sein, die „Stazione Centrale” täte es auch!

Link zu Cinzia:
www.cinziatanzella.com

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