Buchbesprechung: „Das Geheimnis meiner Superkraft“
Worum geht es?
Die bekannte Cartoonistin und Graphic Novel-Zeichnerin Alison Bechdel erzählt in ihrem Buch „Das Geheimnis meiner Superkraft“ von … man könnte annehmen, wie sie zu ihrer Superkraft, dem Zeichnen, fand. Auf jeden Fall erzählt sie von sich. Von ihrer Kindheit, ihrer Jugend, ihrer Zeit an der Uni und dem Leben als erwachsene Frau. Dem stellt sie die Geschichten bedeutender literarischer Figuren wie Jack Kerouac und Margaret Fuller gegenüber – was nicht so leicht zu verstehen ist.
Ist das gut?
Nein. Überhaupt nicht.
Es gibt im Journalismus die Regel, das Ich nur zu verwenden, wenn es ein starkes Ich ist. Wenn es für die Geschichte unerlässlich ist. Oder durch das, was es erlebt, interessant wird. Oder wenn es ausreichend überkandidelt, eingebildet oder auf Droge ist, kann ein Ich auch interessant sein. Ansonsten gilt: lassen.
Wäre Alison Bechdel nicht Alison Bechdel, die Zeichnerin, die 2006 durch ihr Buch „Fun Home“ über die Grenzen Amerikas hinaus berühmt wurde und die dann mit dem „Bechdel-Test“ noch eins drauflegte – ein Test, der Filme darauf anschaut, ob Frauen etwa außerhalb der Beziehung mit einem Mann vorkommen –, würde kein Verlag dieses Buch verlegen.
Denn die Geschichte ist vollkommen … egal. Wir streifen durch ein Leben bzw. werden durch ein Leben mitgeschleppt, das völlig unauffällig und belanglos ist und von dem man nichts lernen kann.
Das einzig Interessante an diesem Leben sind die Tablettensucht, die Alkoholabhängigkeit, die Sportsucht, der Selbstmord des Vaters und das Lesbisch-Sein, denn die Zeit, in der Alison sich und die Welt mit ihrer Liebe zu Frauen konfrontierte, war eine, in der dies alles andere als „normal“ war. Also doch eine Menge interessanter Dinge. Dinge, mit denen andere Autoren, bereichert von einem dieser Umstände, ganze Romane bestreiten.
Aber was tut Alison Bechdel? Sie erwähnt sie. Sie benennt sie. Das war´s. Über Jahrzehnte ist sie tablettenabhängig. Erzählt sie, was das heißt? Was das für das Leben bedeutet? Wie gut man sich damit fühlt, wie schlecht? Welche Dämonen einen treiben, heimsuchen, sich einnisten? Was es heißt, süchtig zu sein? Sich selbst zu geißeln? Etwas nicht lassen zu können? Sich jeden Tag aufs Neue was vorzumachen? Was das für die Partner*innenschaft bedeutet? Nö. Der Selbstmord des Vaters? Er ist ihr drei Zeilen wert. So geht es das ganze Buch über. Eine Benennung von Umständen reiht sich an die andere. Nicht einmal ihr Coming-out, 1979 noch eine große Sache und beileibe keine Selbstverständlichkeit, damit akzeptiert zu werden, kommt vollkommen ohne irgendeine Beschreibung ihres Innenlebens aus. Zweifel? Unsicherheit? Befreiung? Selbstfindung? Nö. Auch ein Umfeld, in dem sie lebt und das auf die eine oder andere Art reagiert, scheint es nicht zu geben.
Sonst noch was?
Ja. Alison Bechdel ist unablässig auf der Suche nach Transzendenz. Was auch nicht so recht erklärt wird. Autoren wie der Beatnik Jack Kerouac sind dabei wichtig, der war auch alkohol- und drogensüchtig, das lässt sich noch nachvollziehen. Dann wird die Geschichte von Margaret Fuller erzählt, einer amerikanischen Schriftstellerin, Transzendentalistin und eine der ersten Feministinnen, und ein Mönch kommt vor und es mag an mir liegen, dass ich einfach zu ungebildet bin, aber ich kann mit diesen Figuren nichts anfangen. Sie nicht zuordnen. Auch Bechdel nimmt diese Zuordnung nicht vor.
Ist das alles, was mager ist?
Nein. Ihre Zeichnungen sind es auch. Viele Zeichner*innen von Graphic Novels erzählen die Geschichte über den Strich hinweg. Sie nutzen ihr zeichnerisches Talent für differenzierende Darstellungen, für künstlerische Auswüchse und Einlassungen. Sie arbeiten mit verschiedenen Techniken, sie schaffen unterschiedliche Ebenen, Zeitzonen, Welten, kurz, sie machen Kunst. Alison Bechdel macht Grafik und das nicht besonders ambitioniert.
Das heißt?
Kurz, das Buch ist ein Ärgernis. Beziehungsweise es wird eines, weil hier so getan wird, als bekäme man etwas Relevantes in die Hand, wenn man es liest. Nein, tut man nicht. Weder ist die Geschichte spannend noch die Umsetzung und es reicht nicht, dass das Buch von einer Frau kommt, die für den ein oder anderen Verdienst eine Kerbe in die Bank vor ihrem Haus ritzen kann.
Nun bin ich nicht das Maß der Dinge und wenn man so scharf urteilt, sollte man sich umso mehr fragen, ob die Kritik berechtigt ist. Ob es objektive Faktoren sind, die man ausgemacht zu haben glaubt, oder ob das Buch aufgrund der eigenen Lesart durchfällt. Ich habe eine andere Frau, die es gelesen hat und die sich obendrein viel mit Zeichnungen beschäftigt, gefragt, wie ihr das Buch gefällt. Sie findet es genauso banal und überflüssig wie ich.
Kostprobe:
Alison Bechdel: „Das Geheimnis meiner Superkraft“, übersetzt von Thomas Pletzinger und Tobias Schnettler, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 238 Seiten, 30€ hier zu bestellen
Rezension: Silke Burmester