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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Lassen Sie uns über Sex sprechen, Frau Kleen!

Heike Kleen ist Sex-Kolumnistin beim Spiegel. Sieht sie anderen beim Fummeln zu, lässt sich fesseln und geht zu Women-only-Partys. Gerade ist ihr Buch „ZusammenKommen“ erschienen. Für uns hat sie aufgeschrieben, warum es ihr wichtig war, das Buch zu schreiben, wie sich ihre Sicht auf Tabus verändert hat und was das mit Frauen* 47+ zu tun hat

Sex-Kolumnistin zu sein, bedeutet nicht, im Dauermodus der Ekstase zu leben. Manchmal bedeutet es einfach Arbeit. In Heikes Fall aber eine, die das feministische und das sexuelle Selbst zum Blühen bringt Foto: Eva Häberle



Ich hatte nie vor, als Journalistin in einer Sex-Schublade zu landen. Oder gar ein Buch darüber zu schreiben. Und doch ist es passiert, zunächst aus einer Laune heraus. Ich wollte eine Kolumne haben – und da das Thema Sex beim „Spiegel“ noch nicht besetzt war, fragte ich an. Kurz darauf stand ich zur Recherche in einem Swingerclub. Später besuchte ich eine Frauen-Erotikparty, ließ mich von einem Dominus anketten und ging mit meinem Mann zur Tantra-Massage. „Das Leben schrumpft oder dehnt sich aus, proportional zum eigenen Mut“, sagte die Schriftstellerin Anaïs Nin. Ich denke, sie hat Recht.

Ich sprach mit vielen SexologInnen und SexarbeiterInnen, und je intensiver ich mich mit dem Thema Sex beschäftigte, umso mehr fiel mir auf, wie wenig wir sprechen. Oder besser: worüber wir oft nicht sprechen. Über weibliche Lust zum Beispiel. Über Frauen, die plötzlich keine Lust mehr haben – oder endlich welche. Frauen, die spüren, dass ihre Sexualität sich verändert, aber niemanden finden, mit dem sie darüber reden können. Über weiblichen Körper im Wandel. Über die Wechseljahre – diesen großen hormonellen Unsicherheitsfaktor, der wahlweise als Krankheit, Krise oder kosmetische Herausforderung verkauft wird. Nur selten als das, was er auch sein kann: eine Einladung zum Neuanfang.

Ich erlebe bis heute, dass Frauen glauben, sie seien „zu viel“ oder „nicht genug“. Zu laut. Zu müde. Zu alt. Zu emotional. Zu unlustig. Das alles denke ich von mir auch gelegentlich. Aber mein Verstand weiß: Wir sind nicht „zu“ irgendwas – sondern genau richtig. Vielleicht sind wir nur manchmal zu allein mit unseren Gedanken. (Aber dagegen gibt es ja zum Glück Palais F*luxx).

All unsere Gedanken und Fragen sind nicht außergewöhnlich. Im Gegenteil. Sie berühren etwas sehr Existenzielles: Wie will ich lieben, wenn mein Körper nicht mehr dem entspricht, was uns als sexy verkauft wird? Was ist Begehren jenseits des Jung-und-glatt-Narrativs? Und was passiert, wenn man sich selbst plötzlich wieder spürt?

In meinen Texten geht es oft um Lust, aber es geht immer auch um Feminismus. Das Buch ist eine Abrechnung – mit alten Rollenmustern, mit frauenfeindlicher Aufklärung, mit stummen Ehen, mit der Idee, dass Sexualität von allein klappt und irgendwann „nicht mehr so wichtig“ sei. Ich glaube das nicht. Ich glaube, sie verändert sich – wie wir uns verändern. Und das darf sie. Weibliche Sexualität ist politisch, vor allem, wenn sie selbstbestimmt ist. Und genau deshalb gehört Sexualität zum Feminismus wie der Beckenboden zur Anatomie: Ohne wird’s wackelig. Solange weibliche Lust normiert, beschämt oder ignoriert wird, ist keine Gleichberechtigung vollständig. Wer den Körper einer Frau kontrolliert, kontrolliert auch ihr Denken. Umgekehrt gilt aber auch: Wer sich traut, den eigenen Körper zu bewohnen, mit allem, was dazugehört – Lust, Zweifel, Widersprüche –, der nimmt sich Raum. Und das ist feministisch. Vielleicht sogar revolutionär.

Denn das alles kann bedeuten, dass unsere Töchter nicht erst mit Mitte vierzig lernen, was sie brauchen, wollen oder genießen. Dass sie keine Orgasmen faken, keine Schuldgefühle entwickeln, keine Rollenspiele leben, die sie innerlich müde machen. Ich wünsche mir, dass sie wissen: Du darfst dich selbst wichtig nehmen. Auch – und gerade – in der Sexualität.

Ich hatte also nie vor, als „die mit dem Sexbuch“ zu enden. Ich wollte einfach nur eine Kolumne – und habe heute mehr Nummern von SexarbeiterInnen in meinem Handy als von Handwerkern oder Lehrkräften meiner Kinder. Aber ich bin dankbar, dass es so gekommen ist. Weil ich beim Recherchieren, Schreiben, Nachdenken und – sagen wir mal – gelegentlichen Praxistest etwas gefunden habe, das viel größer ist als ein Orgasmus oder eine gut erzählte Geschichte: Ich habe gelernt, dass Tabus keine Naturgewalten sind, sondern menschengemacht. Dass sie oft tief verknüpft sind mit alten Rollenzuweisungen und zähen Glaubenssätzen. Und dass es Mut braucht, sie zu hinterfragen und abzuschütteln. Aber noch mehr Mut braucht es, sich selbst nicht länger kleinzudenken. Nicht als Frau, nicht als Liebende, nicht als Mensch mit einem Körper, der fühlen darf, was er fühlt. „ZusammenKommen“ macht mein eigenes Suchen sichtbar – und meine Versuche, in fremde Welten einzutauchen. Mein Lustzentrum hat dabei nicht ununterbrochen gejubelt, manchmal gewann der Soziotainment-Modus (Huch, warum sitzt da einer im Käfig?). Und ja, gelegentlich wurde mein Humorzentrum stärker stimuliert als alles andere. (Warum muss ausgerechnet der Mann, der mich im Swingerclub als erster anspricht, sächseln?) Aber vielleicht ist genau das der Punkt: dass wir anfangen, offener über all das zu sprechen – über Lust, Zweifel, Verirrungen und Neuanfänge. Laut. Vielleicht mit Witz. Und mit der festen Überzeugung: Es gibt kein zu spät für ein gutes Liebesleben. Nur ein zu leises.

Wir danken Heike für ihren Text und weisen auf ihre Website hin, auf der Ihr u.a. auch ihre anderen Bücher findet.

Hier findet Ihr Infos zum aktuellen Buch

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