Freifahrt auf der Gefühlsachterbahn
Wir diskutieren hitzig im Kolleg:innenkreis. Für mich zu hitzig. Statt mit gut durchdachten Argumenten bereichere ich die Runde plötzlich mit einem Bach von Tränen. Mein Team starrt mich an. Die Frauen unter ihnen mitfühlend, besorgt. Auf den Gesichtern der meisten Männer dagegen stehen Panik und der unausgesprochene Wunsch nach mehr Professionalität.
Sind wir unprofessionell, nur weil uns unsere Gefühle übermannen? „Übermannen“ heißt laut Duden: „Mit solcher Intensität auf jemanden einwirken, dass er sich dagegen nicht wehren kann“. Kommt das bekannt vor? Schon das normale Auf und Ab der Hormone beeinflusst die Stimmung von Frauen, viele kennen das prämenstruelle Syndrom mit Begleiterscheinungen wie schlechter Laune oder Schokoladengier. In den Wechseljahren schalten die Hormone nun den Extra-Turbo an und aus der gemütlichen Berg- und Talfahrt wird eine Achterbahn mit Dreifach-Looping. Entsprechende Auswirkungen auf die Stimmung im Fahrpreis mit inbegriffen. Dann werden Frauen gern als „unprofessionell“ abgestempelt, weil sie während einer Diskussion in Tränen ausbrechen. Aggressiv auf eine Frage reagieren. Angesichts der Weltlage deprimiert werden. Dabei kann die Fahrt auf der Gefühlsachterbahn uns sogar professioneller machen.
Das System der Hormone ist ein fein austariertes Zusammenspiel der Akteure, vergleichbar mit einem Mobile. Entfernt man ein Teil, schwankt das Mobile eine Zeitlang hin und her, bis es wieder ein Gleichgewicht gefunden hat. Genauso brauchen Körper und Psyche Zeit, sich an niedrigere Hormonspiegel zu gewöhnen und ein neues Gleichgewicht zu finden. Während dieser Zeit kommt es häufig zu Stimmungsschwankungen, viele Frauen fühlen sich auch gereizt, niedergeschlagen oder ängstlich.
Was Frauen tun können:
Klar, wir können Johanniskraut schlucken, um unsere Stimmung zu verbessern. Die Teemischung aus Hopfen und Melisse für mehr Ausgeglichenheit trinken oder unsere Nerven mit dem Schüßler Salz Nr. 2 Calcium phosporicum D6 stärken. Auch bioidentische Hormone können bei starken Beschwerden helfen.
Wir können Stimmungsschwankungen aber auch anders betrachten: als körpereigenes Coachingprogramm. Denn mit jedem Auf und Ab der Hormone können wir lernen, selbst kleine Veränderungen wahrzunehmen. So wird es uns möglich, rechtzeitig gegenzusteuern, wenn wir merken, dass die Stimmung langsam in den Keller sinkt, die Nervosität auch den kleinen Zeh erreicht oder wir endlos das Mantra „Ich bin absolut unfähig“ wiederholen.
Entwickeln wir diese höhere Sensibilität, können wir Gefühlsausbrüche rechtzeitig abfangen. Je nach Typ schieben wir dann eine kurze Entspannungsübung ein, starten die „Gute Laune“-Playlist oder schnuppern für mehr Gelassenheit an ein paar Tropfen Fichtennadelöl. Und wir können noch mehr tun: Die gewonnene Sensibilität lässt sich im Job hervorragend einsetzen, um zu erkennen, was im beruflichen Umfeld und im Team nicht rund läuft. Rücken wir schon zum dritten Mal auf dem Stuhl hin und her, können wir den Kollegen bitten, die anderen ausreden zu lassen – bevor es zum Knall kommt. Oder wir spüren, wie sich die Schultern hochziehen, wenn die Kollegin mal wieder die dunkelste aller dunklen Möglichkeiten heraufbeschwört – und können ihr dabei helfen, ihre berechtigten Bedenken konstruktiv zu formulieren, bevor alle genervt flüchten.
Setzen wir also im nächsten Gespräch mit unserer Führungskraft gleich zwei Themen auf die Tagesordnung: Den Hinweis darauf, dass uns die Hormone momentan in das ein oder andere Stimmungstal schubsen. Und die Frage, wie wir unsere neu gewonnene Sensibilität zum Vorteil des Teams einsetzen können.
Was Unternehmen tun können:
Teamfähigkeit, Flexibilität, Veränderungsbereitschaft – diese und ähnliche Kompetenzen fehlen inzwischen in kaum einer Stellenanzeige. Doch sie entstehen nicht beim Fahren im berechenbaren Kinderkarussell. Sie entwickeln sich, wenn wir durch Kurven und Täler gehen. Und darin sind Frauen in den Wechseljahren Expertinnen. Aber sie brauchen – zumindest zeitweise – Unterstützung. Die Menopause-Policy vom NHS Fife, einem schottischen Gesundheitsservice, macht das deutlich: „The role of line managers in supporting staff experiencing the menopause is crucial. – Die Rolle der Vorgesetzten bei der Unterstützung von Mitarbeitern in den Wechseljahren ist entscheidend.“ Ein offenes Gespräch über hormonell bedingte Stimmungsschwankungen ist weder für die betroffenen Frauen noch für damit unerfahrene Führungskräfte leicht. Aber wertvoll. Denn so vermeidet man das Abstempeln der Frauen als nicht belastbare Zicken und kann gemeinsam nach Lösungen suchen. Manche Aufgaben lassen sich zum Beispiel zeitweise verschieben. Eine gereizte Frau könnte so in Ruhe Kunden-E-Mails bearbeiten, statt freundlich-lächelnd Beschwerden entgegenzunehmen. Leidet eine Frau an Ängsten, kann die Führungskraft häufiger ein stärkendes Feedback geben. Und manchmal reicht auch ein freundliches „Mach mal eine Pause“.
Stimmungsschwankungen sind aber nicht nur hormonell bedingt, sondern werden auch durch Stress verstärkt. Damit ergeben sich weitere Ansätze, um die Balance der Frauen in den Wechseljahren zu fördern – und damit auch allen anderen Mitarbeiter:innen beim Stressmanagement zu helfen.
Das Budget gibt weder das Resilienztraining noch das Employee Assistance Program her? Dann reichen schon kleine Veränderungen in den Arbeitsroutinen. Besprechungen können zum Beispiel mit einer ruhigen Minute beginnen, in der sich alle Anwesenden kurz sammeln (Fortgeschrittene kennen das als 1-Minuten-Meditation). Ein Gespräch kann auch während eines Spaziergangs geführt werden. Ein Päckchen Entspannungstee das Getränkeangebot ergänzen.
Das sind einige wirksame Ansätze, um im Job besser mit der Gefühlsachterbahn umzugehen. Nicht alle Menschen fahren gern Achterbahn. Aber wenn uns die Hormone schon keine Wahl lassen, können wir wenigstens versuchen, die Fahrt zu genießen.
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