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Palais F*luxx

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Iggy Pop geht zum Tantra

Tantrastudios kann man nicht einfach so besichtigen wie Küchenstudios
Foto: Alex Block, unsplash


Wer lieber hört: Schauspielerin Marion Gretchen Schmitz liest „Iggy Pop geht zum Tantra“

Sonntage sind der reine Horror für Verlassene und grundsätzlich doppelt so lang wie normale Tage. Helene, meine vierjährige Enkelin, hatte bei mir übernachtet und mich mit einer Fröhlichkeit und Rasanz geweckt, wie sie nur kleine Kinder haben. Sie setzte sich neben mir im Bett auf und ihre Augen leuchteten mich an. Doch schon nach wenigen Sekunden verfinsterte sich der Blick: „Du hast Striche im Gesicht, Oma! Und Beulen. Und Flecken. Hier!“ Sie pikte vorsichtig mit dem Zeigefinger in einen meiner Tränensäcke und fuhr so dannmit dem Fingernagel zwei Falten um den Mund entlang. Prüfend zog sie an einem Ohr und einem Augenlid, um mir dann erschrocken mitzuteilen, dass sie mein Gesicht nicht glatt bekäme. Ich hatte zu wenig geschlafen in dieser Nacht und gegen Morgen im Traum geweint, und als wir beide den Badezimmerspiegel erreichten, konnte ich nach einem kurzen Blick den Schock des Kindes verstehen. Wie der späte Iggy Pop sah ich aus. Nur in weiblich. Und ohne Sixpack. In den Dörfern meiner Vorfahren trank man auf einen tiefen Schrecken erst mal einen Schnaps – eine Option, nach der ich mich spontan sehnte, die für diesen Sonntagmorgen aus verschiedenen Gründen jedoch nicht wählbar schien. Also verschwand ich unter der Dusche und dann unter einem sorgfältigen Make-up, um für meine Enkelin wiedererkennbar zu werden. Meine Haare zu bürsten überließ ich ihr, denn sie liebte es, wenn wir die Rollen tauschten. In gespieltem Schmerz quiekte ich herum, damit sie mich dann streicheln, trösten und beruhigen konnte. Dabei bemerkte ich, wie sehr mir Berührung fehlte und dass mir mein Körper fremd geworden war und ich beschloss auf der Stelle, mich nun genau darum zu kümmern.

Meinem Körper hatte genug von meinem Eigenmobbing – er entwickelte Taubheitsgefühle

Bekanntlich offeriert die Internetgemeinde für alle Wünsche Angebote. Sucht man nach dem Stichwort Berührung, ploppen auch jenseits üblicher Datingportale unzählige Seiten auf. Von asexuellen Kuschelgruppen bis zu Sex mit toten Kaninchen ist für jeden etwas dabei. Dann schaute ich genauer hin. Wo wäre ich richtig mit meinen eher diffusen und stündlich wechselnden Bedürfnissen? Zumal als IggyPop-Double? Vielleicht sollte ich erst einmal ein Lifting finanzieren und dann weitersehen?
Die Umkreisung des Themas machte mich nur rat- und mutloser. Zwar trauerte ich nicht mehr so stark, aber das Eigenmobbing vor dem Spiegel hörte nicht auf und eines Tages schien es meinem Körper zu reichen. Er entwickelte Taubheitsgefühle, stolperte vor sich hin, schmerzte oder juckte an den unmöglichsten Stellen zu den seltsamsten Zeiten – kurz und gut, er signalisierte mir deutlich seinen Protest.
Ich hatte die Trennung wie eine Sprengung meines seelischen und körperlichen Zuhauses empfunden, das ich offensichtlich viel zu sehr in mein Gegenüber verlagert hatte. Ob zerstört oder entzogen ­– auf alle Fälle war ich nicht mehr bei mir selber heimisch und das konnte nicht so bleiben.

Die Frage war, welche Art der Berührung nun für mich gut sein würde. Die routinierten Hände von Physiotherapeuten oder auch Wellnessmasseuren hatten mir über die allererste Zeit geholfen, als ich starr vor Angst war. Aber die Entspannung hatte nicht angehalten. Damals rührte sie zu sehr an der Scham, ein Trennungsopfer zu sein. Ich war wie das einsame Kind, das sein Sparschwein knackt und mit ein paar Münzen in der feuchten Hand auf die Suche nach Freunden geht. Kann man alles machen, aber ich wusste, dass das die Sehnsucht nach echter Berührung ebenso anfachen wie enttäuschen würde. Also lieber doch ein Sexabenteuer? Immer wenn ich mir diese Möglichkeit schmackhaft zu machen versuchte, fiel mich narkotisierende Müdigkeit an. Mit welchem Körper hätte ich das auch anfangen sollen? Mit diesem komischen schmerzenden Ding, das vor allem Erschütterung signalisierte und sich immer malträtierter anfühlte? Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, damit etwas Verwegenes zu beginnen. Nach einigem Gezauder und Gehader war es dann soweit. Ich klebte einen Zettel „under reconstruction“ an meinen Ganzkörperspiegel, lächelte mir selber ermutigend zu und suchte mir ein Tantrastudio.

Das Yin-Yang-Prinzip für untenrum

Tantrastudios kann man nicht einfach so besichtigen wie Küchenstudios und man spaziert auch nicht hinein wie in ein Bordell. Wobei es natürlich verschiedenste Spielarten und Ausrichtungen gibt und die Grenzen zum Puff manchmal auch fließend sein können. So gilt es, sich die eigenen Wünsche vorher so klar und ehrlich wie möglich vor Augen zu führen und die Webseiten daraufhin genau zu betrachten. Bei den Massagen, so erfuhr ich, kommen sowohl Elemente der Akupressur, des Shiatsu, der Reflexzonenmassage, des Ayurveda als auch der klassischen Massage, ausgewogen nach dem Yin-Yang-Prinzip alter indischer Traditionen, zum Einsatz. Der Körper wird zunächst zur Ruhe gebracht, entspannt, zentriert und dann energetisiert. Das klang gut. Auch die Sexualenergie wird geweckt, aus ihrer „untenrum“-Zone geholt und über den ganzen Körper verteilt. Ich las weiter: „Die Tantramassage ist eine ganzheitliche Massage, die jegliche, auch die genitale Fixierung überschreitet. Es handelt sich um keine Therapieform und es gibt entsprechend keine Heilungsabsicht. Die Massage ist ergebnisoffen und absichtslos.“ Das wollte ich!

Ich suchte mir die Webseite mit den am wenigsten weichgezeichneten Fotos aus und rief die angegebene Nummer an. Nach ein paar Minuten hatte ich eine dreistündige Tantramassage für 240 Euro gebucht, verabredet mit einer jungen Frau, deren Stimme mir am Telefon vertrauenerweckend erschien. Die anderen Masseurinnen und Masseure warben mit Fotos und kurzen Sprüchen für sich. Meine Telefonpartnerin war nicht dabei, hatte aber Zeit. Da es mir sowieso etwas halbseiden erschien, mir mein Gegenüber über ein Foto auszusuchen und ich befürchtete, mich würde gleich wieder der Mut verlassen, war mir das ganz recht. Wir wurden uns bald, wie man so schön sagt, einig. Ich würde mich am frühen Abend auf den Weg machen. Es goss, als ich mich im Winterwind auf das Fahrrad schwang, um in einem gutbürgerlichen Wohnquartier gleich um die Ecke nach dem Studio zu suchen – abenteuerlustig und ängstlich zugleich. Wie eine seltsame, eingemummelte Brabbeloma mir selbst Mut zusprechend, war ich mir der leisen Komik dieser Szene durchaus bewusst.

Nix tun müssen, einfach nur hinlegen – wie ein Kotlett

Ina, Doktorandin der Kunstgeschichte, wie sich später herausstellte, empfing mich an der Tür des Studios in einer typischen ebenerdigen Berliner Ladenwohnung. Sie trug hochgesteckte Haare, Brille und eine grobe Strickjacke und wirkte eher wie eine Bibliothekarin. Beim besten Willen konnte ich mir nicht vorstellen, wie sie sich in eine Tantraqueen verwandeln würde. Die meisten Sorgen aber bereitete mir zu meiner eigenen Verblüffung die Frage, was sie von mir denken könnte und ob ich alles richtig machen würde. „Der Witz beziehungsweise das Wesen einer Tantramassage ist doch, dass du als Nehmende sowieso nichts falsch machen kannst“, machte Ina mir klar. Neunzig Prozent aller ihrer Klientinnen hätten beim ersten Mal dieselben Befürchtungen wie ich. Die Philosophie der Tantriker, allen Körperteilen gleichermaßen Liebe und Aufmerksamkeit entgegenzubringen, gelte bei der Massage besonders. „Viele Massagen und Behandlungen nennen sich ganzheitlich oder ganzkörperlich und lassen trotzdem entscheidende primärerotische Partien aus. Das ist doch unbefriedigender, verlogener Quatsch!“ Nun kam sie auf die Begriffe und Regeln der Szene zu sprechen. Ein Penis würde Lingam genannt, den könnten wir für heute aber außer Acht lassen. Die Möse heiße Yoni, darauf würden sich alle am besten einigen können. Dieses Tantrastudio sei weder ein Ort für gegenseitigen Sex noch übermäßig esoterische Intensionen. „Ich möchte mich einfach nur hinlegen“, hörte ich mich sagen. „Eigentlich wie ein Kotelett. Zum Marinieren – haha. Ich will nichts tun, dir nicht gefallen, nicht gut aussehen müssen. Was immer auch passiert … wir werden ja sehen. Vor allem möchte ich mich um niemand anders kümmern müssen.“

Für meine Tochter bin ich jetzt die Tantra-Mum

„Ja genau. Lass dich einfach anfassen“, entgegnete Ina schlicht und zeigte mir den Weg zur Dusche. Nur in ein bereitgelegtes dünnes Tuch, den Sarong, gewickelt, kehrte ich ins Zimmer zurück, wo inzwischen Kerzen brannten, leise Musik spielte und goldgelbes Körperöl auf einem Stövchen stand. Die Bodenmatte, auf die ich mich legte, war ebenfalls von unten erwärmt, was mir geradezu fröhliches Vertrauen einflößte. Sie erinnerte mich an die elektrische Wärmedecke im Bett meiner Großmutter. Wir sprachen nun nicht mehr, ich schloss die Augen. Ina, inzwischen auch ohne Brille und Kleidung, berührte als erstes meine Hände. Sehr zart und lange. Sie flutete mich mit Öl, wanderte um mich herum, streichelte und massierte Gesicht, Füße, Kniekehlen, Rücken, Yoni, alles gleichermaßen aufmerksam und liebevoll. Und dann, sehr sehr langsam, begann ich in einen anderen Zustand über zu gleiten. Entspannt, aber sehr wach, genießend, aber nicht auf gewohnte Weise erregt, voller Erstaunen und Freude über niemals gefühlte Gefühle. Es ist ganz erstaunlich, welche Körperstellen wir ständig ignorieren, selbst beim Sex, und zu welchen Empfindungen sie unter den entsprechenden Berührungen fähig sind. Unter Inas Händen, in der Wärme, dem Öl, der langen Zeit, ging ich auf wie ein Hefeklops. Körperlich wie seelisch. Ich ging quasi in einen anderen Aggregatzustand über. Noch Tage später schien vor allem mein Bauchraum und meine Vagina, nun Yoni genannt, irgendwie zu flirren, was ganz gewiss von der Zuwendung und Aufmerksamkeit herrührte, die über eine Stunde allein ihr zuteil geworden war. Doch nicht nur sie, mein ganzer Körper war versöhnt, warm und aufgeweckt.

Hier hatte sich ein Weg aufgetan, ihn zurückzubekommen, und zwar nicht nur zur Wiederherstellung des Zustandes vor dem Crash, sondern für etwas Neues. Das wollte ich nun nicht mehr missen und, wenn ich´s genau besah, auch selber können. „Heee! Tantra-Mum!“, kommentierte meine große Tochter amüsiert meine neuen Pläne. „Andere machen autogenes Training in der Volkshochschule, du aber gehst richtig los! Ich bin stolz auf dich!“

Den Text hat uns Ulrike Stöhring aus ihrem Buch „VIELEN DANK FÜR ALLES; Trennung glücklich überlebt“, Ullstein extra 2018 überlassen

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