Eine Raucherin wagt den Absprung
Vor Weihnachten ging es los: Ich traf eine Nachbarin, die seit einer Woche Nichtraucherin war. Glühend vor Eifer wütete sie gegen Tabakkonzerne, darüber wie dämlich es doch sei, x-mal am Tag den Nikotinspiegel im Blut hochzuhalten. „Ich will ja noch Großmutter werden!“, erzürnte sie sich. Ich beglückwünschte sie und wurde innerlich ganz klein.
Sie hatte so recht! Ich wusste es ja auch! Nach dreiundvierzig Raucherjahren hustete ich morgens, außerdem hatte mich der Zahnarzt dringend gewarnt, meinem Zahnfleisch fortgesetzt den Sauerstoff zu entziehen, und so weiter und so weiter.
„Du musst dich vorbereiten“, riet die Nachbarin. „An Silvester einfach die letzte Schachtel in den Müll schmeißen klappt nicht.“
Sie selbst hatte ein Buch gelesen und einen Kurs besucht und war anfangs heilfroh gewesen, nicht sofort zum Aufhören gedrängt worden zu sein. Doch jetzt hatte sie den Absprung geschafft, seit stolzen sieben Tagen.
Der Arzt im Video sagt, es könne nichts Schlimmes passieren
Ich starrte sie an und begriff: Auch für mich wurde es höchste Zeit. Mit über Sechzig geht es mit der Gesundheit von ganz allein bergab, das musste ich nicht weiter beschleunigen. Schon lange spielte ich mit dem Entschluss, und jetzt erschien mir die Nachbarin wie ein guter Geist, der mir einen Stoß versetzte.
Weil ich von dem Gedanken nicht mehr loskam, lud ich mir eine Rauchstopp-App herunter. Zwei Tage lang arbeitete ich Lektionen durch, sah Videos, hörte Podcasts, beantwortete Fragen und protokollierte jede angezündete Zigarette mit Uhrzeit und Gefühlszustand.
Während ich rauchte, versuchte ich nun, die Zigarette als fremdes, komisches, schlechtes Ding zu betrachten, und mir wurde bewusst, wie uralt und eingefahren meine Gewohnheit samt ihrer Handgriffe, Utensilien und der Kaffeetasse war.
Im Video sagte der Lungenfacharzt: „Sie müssen keine Angst haben. Es kann nichts Schlimmes passieren.“
Ich wiederholte den Satz wie ein Mantra.
Zuletzt sollte ich in der App das Datum angeben, an dem ich mit meiner Sucht Schluss machen würde. Lange kreiste mein Zeigefinger in der Luft. Schließlich tippte ich: 29.12., denn Silvester aufzuhören, fand ich affig.
Noch ein Tag Gnadenfrist, dann würde ich den Absprung schaffen, ich spürte den inneren Willen dazu jetzt ganz genau. Dass ich den ersten Kaffee auch ohne Zigarette genießen würde, schrieb ich nieder, und ließ die neue Situation in Bildern an mir vorbeiziehen. Falls mich die Lust zu überschwemmen drohte, listete ich Notfallaktionen auf: auf dem Balkon Liegestütze machen, Augenbrauen färben, Schuhe putzen, Kleiderschrank aufräumen.
Ich sah eine glänzende Zukunft vor mir
Zwischendurch schaute ich auf und sah eine glänzende Zukunft vor mir liegen. Gesund, mit schöner Haut, um zahlreiche ersparte Euros reicher. Nie wieder Brandflecken im teuren Wollschal, keine stinkende Asche mehr im Mülleimer. Ich würde frei atmen können, wäre ein standfester, drogenloser Mensch und würde mich zum Kreis der Vernünftigen gesellen, anstatt weiter fest daran zu glauben, dass die Welt einstürzt, wenn ich keine Zigaretten mehr habe.
Ich ging auf einen langen Spaziergang, und jedes Mal, wenn ich die Hände in die Taschen steckte, fühlte ich in der rechten die vertrauten Konturen der kleinen Pappschachtel. Wie in der Rauchstopp-App empfohlen, ließ ich die Zigarette, auf die ich gerade Lust hatte, zur Probe ungeraucht. Es ging ganz leicht.
Die nächste zündete ich zu Hause an, dazu gibt´s den berühmten Kaffee. Mit Genuss und Abschiedsschmerz sog ich an ihr. Auch auf die allerletzte vor dem Schlafengehen wollte ich nicht verzichten, dann aber zerknickte ich die restlichen aus der Schachtel, bröselte sie in den Müll und warf den Aschenbecher hinterher.
„Eklig!“, murmelte ich zur Bekräftigung.
Zum Schluss fischte ich die Feuerzeuge aus sämtlichen Jackentaschen. Morgen, wenn ich erwachte, würde mein neues Leben als Nichtraucherin beginnen. Alles war gut durchdacht und vorbereitet. Ich würde es schaffen.
Der erste Kaffee in der Frühe schmeckte tatsächlich auch ohne Zigarette gut. Diese Erkenntnis verlieh mir Schwung, ich sprang in meine Sportsachen und zur Tür hinaus. Während ich über die Felder trabte, fühlte ich mich zu zehn Prozent jämmerlich, zu neunzig Prozent großartig. Ich würde es schaffen, jetzt war es sicher.
Vor meinen Augen schwebte eine durchsichtige Zigarettenschachtel
Wieder zu Hause schien mir meine Umgebung seltsam scharf gezeichnet. Der Teppich unter meinem ehemaligen Rauchersessel auf dem Balkon war frisch abgesaugt, eigentlich eine Freude.
„Es kann dir nichts Schlimmes passieren“, dachte ich, und auf einmal sackte in meinem Hirn ein Soufflé zusammen, ich schwöre – gegen meinen Willen. Vor meinen Augen schwebte eine riesige, halb durchsichtige Zigarettenschachtel, die es in Wirklichkeit nicht gab.
Die Wohnungstür klappte auf, ein Geldschein flog aus dem Portemonnaie in meine Hand, danach mein Schlüsselbund. Meine Schuhe zogen sich von selber an und klapperten dann mit mir die Treppe herunter auf die Straße, sogar die Fußgängerampel stand auf Grün, und so kam ich binnen Minuten im Supermarkt an. Meine Hand bezahlte die Zigaretten und tastete dann in der Jackentasche die vertrauten Pappkanten ab. Plötzlich hatte ich es nicht mehr eilig. Ich fühlte wieder Boden unter den Füßen. Es war gerade erst neun Uhr.
Zuhause fischte ich den Aschenbecher aus dem Müll und kochte Kaffee. Meine handgeschriebene Notfallaktionsliste mochte ich nicht lesen. Als ich kurz darauf dem kräuselnden Rauch zusah, der von meiner Zigarette aufstieg, wollte ich mich beschimpfen, aber ich ließ es dann sein.
Gabriele Bärtels
Gabriele Bärtels ist eine Autorin von Welt und Erfahrung. Zu unserem Glück schreibt sie viele davon nieder und schickt sie uns. Die lest Ihr hier