Die iranisch-britische Künstlerin Soheila Sokhanvari malt im Stil der persischen Miniaturmalerei. Die Frauen, die sie reich verziert und auf Pergament malt, sind Heldinnen ihrer Kindheit. Mit ihrer multidimensionalen Installationskunst rückt Soheila Sokhanvari die Künstlerinnen von einst ins Rampenlicht, das ihnen ihr Leben lang verwehrt blieb.
Wir sprachen mit der Künstlerin während ihrer Ausstellung „Rebel Rebel“ im ARoS Aarhus Kunstmuseum in Dänemark im Juni 2024.
Warum sind die Frauen, die du malst, so wichtig für dich?
Soheila Sokhanvari: Die Frauen waren Sängerinnen, Schauspielerinnen, Tänzerinnen oder Dichterinnen und opferten viel, um ihrer Karriere nachzugehen. In der Gesellschaft wurden sie gering geschätzt oder als Prostituierte abgestempelt, für eine Heirat in respektable Familien galten sie als ungeeignet. Nach der iranischen Revolution 1979 wurden sie von der Regierung und sogar von ihren eigenen Familien bedroht. Einige wurden inhaftiert, und ihr gesamter Besitz wurde beschlagnahmt, wie im Fall von Kobra Saeedi.
Was ist mit ihr passiert?
Kobra Saeedi war eine erstaunliche, kreative, clevere und sehr liberale Künstlerin. Sie wurde nach dem Sturz des Schahs, wie andere Frauen, dazu gezwungen, ein Bekenntnis der Reue zu unterschreiben. Es war ihnen nicht mehr erlaubt, in öffentlichen Räumen aufzutreten. Khomeini verfügte außerdem, dass Frauen von nun an Hijabs tragen mussten. Am Internationalen Frauentag am 8. März 1979 protestierten sie gegen das frauenfeindliche Vorgehen der neuen Regierung und das Tragen des Hijabs. Kobra Saeedi ging mit ihrer Kamera auf die Straße und drehte eine Dokumentation. Da sie berühmt war, wurde sie verhaftet. Ihr Eigentum wurde konfisziert, ihr Bankkonto eingefroren, sie wurde mit Elektroschocks gefoltert. Später wurde sie auf die Straßen Teherans entlassen und obdachlos. Erst 2015 fand sie dank hilfsbereiter Menschen eine Hütte, in der sie wohnen konnte.
Das ist wirklich eine traurige Geschichte …
Ja, das ist sie. Als ich die Künstlerinnen im Netz recherchierte, gab es nur sehr wenige Informationen über sie. Die Regierung hat die Frauen aus der kulturellen Geschichte des Irans entfernt. Ich fühle mich verpflichtet, ihre Geschichten wieder ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Ich möchte würdigen, was sie erreicht hatten.
Viele der Bilder, die ich male, basieren auf Fotos, die ich online finde. Von Kobra Saeedi gab es nur drei Bilder. Und obwohl sie nur die Größe von Passbildern hatten, konnte ich meinen Blick nicht von einem bestimmten Foto abwenden, das ihr Gesicht zeigte. Ich saß einfach da und betrachtete es zwei Wochen lang. Schließlich verwandelte sich das Foto vor mir. Und ich sah, wie Kobra Saeedi an einer Zigarette zog. Danach hatte ich das Bild der rauchenden Kobra Saeedi ständig im Kopf. Ich brachte mich in die Position, mein Mann machte ein Foto von mir, und ich „lieh“ ihr buchstäblich meinen Körper für meine Miniatur.
Gibt es einen Grund, warum du dich persönlich so verbunden mit ihr fühlst?
Vielleicht weil sie als Frau nicht wertgeschätzt wurde. Als Iranerin in Europa bin ich eine Exilantin. Ich fühle, dass ich mein Land verloren habe. Ich habe meine Familie verloren, ich habe meine Sprache und meinen Hintergrund verloren. Die Kultur im Iran ändert sich hinter meinem Rücken. Es ist ein Verlust von allem.
Du fühlst dich nicht wertgeschätzt?
Ich bin unsicher, ob das so direkt zutrifft. Aber als iranische Frau fühle ich mich im Vergleich zu westlichen Frauen weniger sichtbar. Es gibt eine Form der Ausgrenzung, die mich mein ganzes Leben lang dazu gebracht hat, zu kämpfen. Ich wurde im Iran geboren, wo Frauen als Bürgerinnen zweiter Klasse gelten und nicht die gleichen Rechte wie Männer haben.
Wie alt warst du, als du den Iran verlassen hast?
Ich war 14. Ich bin 1978, ein Jahr vor der Revolution, mit meinem 17-jährigen Bruder nach England gekommen. Wir wurden aber schon bald nach unserer Ankunft getrennt, weil wir verschiedene Schulen in unterschiedlichen Städten besuchten.
Warum haben deine Eltern dich ins Ausland geschickt?
Meine Familie wollte, dass ich eine gute Ausbildung bekomme. Während der Pahlavi-Ära war es angesagt, Kinder ins Ausland zu schicken, wenn sich die Familie das leisten konnte. Sie hatten nach ihrer Rückkehr in den Iran bessere Berufschancen und damit die Aussicht auf ein besseres Gehalt. Meine Mutter bestand darauf, dass ich Ärztin, Anwältin oder Ingenieurin werde. Künstlerin zu werden, war keine Option. Ich habe dann in England Biochemie studiert und als Biochemikerin gearbeitet. 18 Jahre lang habe ich als Wissenschaftlerin geforscht.
Dann wagte ich den Sprung ins Ungewisse und wurde Künstlerin. Es war verrückt, aber ich wusste, dass ich Künstlerin werden musste; es war für mich eine Frage von Leben und Tod.
Warum diese Dringlichkeit?
Während einer Benefiz-Veranstaltung für die British Heart Foundation hatte ich einen Fahrradunfall und stürzte auf meine Halswirbelsäule. Als ich im Krankenhaus war, wusste ich mehrere Stunden nicht, ob ich jemals wieder laufen könnte. In dieser Zeit versprach ich mir, Künstlerin zu werden, falls ich aus der Situation heil herauskommen sollte. Ich wollte nicht auf dem Sterbebett liegen und bedauern, etwas nicht getan zu haben.
Das war eine mutige Entscheidung.
Nein. Das hat nichts mit Mut zu tun. Wenn es um Leben und Tod geht, hat das nichts mit Mut zu tun, sondern das ist eine ganz pragmatische Entscheidung. Was hatte ich zu verlieren, außer meinen Träumen? Ich denke, es ist besser zu scheitern, als es später zu bereuen.
Zurück zu deiner Kunst. Die Art, wie du deine Kunst präsentierst, ist sehr sinnlich. Die Räume sind nur schwach ausgeleuchtet, im Hintergrund läuft iranische Musik, Boden, Wände und Decken sind mit orientalischen Mustern verziert. Es fühlt sich an, als würde man eine andere Welt betreten.
Mein Ziel war es, die Betrachterinnen in die persische Kultur eintauchen zu lassen, ihnen die Musik iranischer Frauen näherzubringen und ihnen damit ihre Stimmen zurückzugeben. Ich wollte ein Gefühl dafür vermitteln, wie es ist, Teil der iranischen Kultur zu sein. Ich wollte einen Tempel im islamischen Stil für die Frauen gestalten und ihnen einen Raum bieten, den sie vielleicht nie hatten. Für mich sind sie Göttinnen, die verehrt werden sollten. Die kleinen Formate meiner Bilder fordern dazu auf, nah an sie heranzutreten. Und durch die Scheinwerfer, die auf die Miniaturen strahlen, können die Besucherinnen eine enge Verbindung zu ihnen aufbauen.
Die Räume erinnern mich an eine Moschee.
Genau das wollte ich erreichen. In einer Moschee sind die Wände oft mit Mustern verziert, um einen Raum zu schaffen, in dem die Menschen ihr Ich vergessen können, um über Gott nachzudenken. Elaine Scarry beschreibt in ihrem Buch „On Beauty and Being Just“ dieses Gefühl der Bewunderung angesichts überwältigender Schönheit als eine Art Rausch, der uns in einen Zustand versetzt, in dem wir uns fast von unserem Körper lösen.
Du verwendest eine traditionelle Symbolik und verbindest sie mit popkulturen Elementen, indem du deinen Porträts Titel von Popsongs gibst. Warum?
Auch das hat mit der iranischen Kultur zu tun. Persische Miniaturen wurden immer nach den Gedichten oder Geschichten benannt, die sie darstellten. Ich orientiere mich an dieser Tradition. Popsongs sind für mich moderne Poesie. Lieder von Künstlern wie Bob Dylan oder David Bowie sind reich an Bedeutung und Emotion, und sie ergänzen die Themen meiner Kunst. Wenn man die Ausstellung „Rebel, Rebel“ besucht, erhält sie eine tiefere Bedeutung. Diese Frauen sind Rebellinnen, die wir lieben sollten, wie Mahsa Amini. Sie alle sind Symbole des Widerstands.
Hat der gewaltsame Tod von Mahsa Amini während der Proteste in Teheran im Jahr 2022 deine Arbeit beeinflusst?
Die Proteste haben meine Kunst kontextualisiert. Viele Menschen fanden meine Werke bis dahin zwar schön, wussten aber nicht viel über diese Frauen oder wie sehr iranische Frauen für ihre Freiheit kämpfen. Die Proteste drehten sich nicht nur um das Kopftuch, sondern es ging vor allem um die grundlegenden Rechte und die Selbstbestimmung von Frauen im Iran.
Meine Werke zeigen ein anderes Bild von iranischen Frauen, das der westlichen Kultur meist verschlossen ist. In den Medien und in der Kunst werden sie als Frauen dargestellt, die den Hijab tragen und antiamerikanische Parolen rufen. Dieses Stereotyp hat dazu geführt, dass sich viele Iranerinnen und Iraner ihrer Herkunft schämen. Aber: Wir iranischen Frauen sind genauso kreativ, witzig, vielschichtig, sexy und schlagfertig wie Frauen überall auf der Welt. Indem man Menschen zu „Anderen“ macht, wird es einfacher, feindselig aufzutreten oder Sanktionen zu verhängen. Mir geht es darum, eine andere Erzählung über iranische Frauen zu präsentieren und ihre Kreativität, Stärke und Individualität herauszuheben.
Gibt es am Ende unseres Gesprächs eine Frage, die ich nicht gestellt habe, die dir aber wichtig wäre?
Am Anfang hast du mich gefragt, welche Künstlerin mir wichtig ist. Neben Kobra Saeedi ist das die feministische Dichterin und Filmemacherin Forugh Farrokhzad, die 1967 bei einem Autounfall im Alter von nur 32 Jahren starb. Mein Porträt von ihr zeigt sie mit einer Katze, und der Titel des Bildes verweist auf ein Gedicht von ihr, dessen erste Strophen ich dir gern vorlesen möchte. Es heißt: „Let Us Believe in the Beginning of the Cold Season“.
Ihre Gedichte berühren mich sehr. Immer noch suchen die Frauen im Iran verzweifelt ihre Freiheit. Was kann ich als Künstlerin tun? Meine Hände fühlen sich an wie Beton. Vielleicht hilft es uns, eine Verbindung herzustellen zu den Worten und Gedanken, die Forugh Farrokhzad vor vielen Jahren gefunden hat. Sie war eine wunderbare Feministin, die über ihre sexuelle Freiheit schrieb und authentisch lebte, trotz harter Urteile. Es ist eine eindringliche Erinnerung an die Doppelmoral, die bis heute im Iran existiert.
Let Us Believe in the Beginning of the Cold Season
And this is I
A woman alone
At the threshold of a cold season
At the beginning of understanding
The polluted existence of the earth
And the simple and sad pessimism of the sky
And the incapacity of these concrete hands
(...)
Forugh Farrokhzad (1934 - 1964)
Soheila Sokhanvari ist im Iran geboren und lebt in London. Ihr multidisziplinäres Werk verwebt Schichten politischer Geschichten mit bizarren, geheimnisvollen und oft humorvollen Erzählungen. Soheila Sokhanvari hat Kunstgeschichte und Bildende Kunst studiert unter anderem an der Anglia Ruskin University und am Goldsmiths College. Ihre Werke wurden in Europa und im Nahen Osten ausgestellt. Im Jahr 2027/28 wird das Museum Frieder Burda in Baden-Baden die erste große Retrospektive der Künstlerin ausrichten. Soheila Sokhanvari wird von der Kristin Hjellegjerde Gallery in London und Berlin vertreten. Weitere Bilder und Informationen findet ihr auf der Webseite der Künsterlin.
© Soheila Sokhanvari, Kristin Hjellegjerde Gallery
Wenn ihr mehr über die Situation und Bedeutung iranischer Künstlerinnen erfahren möchtet, hier zwei Tipps:
Der Dokumentarfilm „Razor’s Edge“ von Regisseur Bahman Maghsoudlou ist eine Empfehlung von Soheila Sokhanvari. Der Film untersucht die iranische Filmindustrie von 1930er Jahren bis zur iranischen Revolution von 1979. Die Doku enthält ausführliche Interviews mit den Schauspielerinnen und seltene Filmausschnitte. Sie eröffnet den Blick auf das nationale iranische Kino und auf die schwierige Situation Kunstschaffender, die bis heute gilt.
Auch eine Ikone von Soheila Sokhanvari ist die iranische Sängerin Googoosh. Als Kind bereits auf der Bühne, wurde sie zum Star des modernen Irans innerhalb des Terror-Regimes des Schahs. Geflüchtet, zurückgekommen, über 20 Jahre lang mit Auftrittsverbot belegt, lebt sie heute erneut im Exil – und ist Symbol für Exil-Iraner*innen weltweit. Die iranisch-deutsche Filmemacherin Niloufar Taghizadeh hat die Dokumentation „Googoosh. Made of Fire“ über diese Ausnahmefrau gedreht, die im Oktober in deutschen Kino läuft.
Kuratorin unserer Palast-Galerie ist Anette Frisch, sie hat auch das Interview geführt.