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Palais F*luxx

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Dickes Knie

Das überraschende und nachhaltige Anschwellen eines unbeachteten Körperteils hat Silke Burmester zu einer zukunftstauglichen Erkenntnis geführt: für Wertschätzung ist es nicht zu spät

Das ist, was rauskommt, wenn man beim Bildgenerator „blonde Frau um 50 mit dick geschwollenem Knie“ eingibt.
Gar nicht so weit weg von der Realität. Nur liegt bei Silke meist noch irgendwas rum



Neulich hatte ich ein dickes Knie. Über Wochen war es geschwollen und beinah doppelt so dick wie sein Zwilling. Ich kannte das nicht. Ich hatte noch nie ein dickes Knie. Es war nicht meins.

Mir war bis dahin nicht klar, was es heißt, Beine zu haben, die schlank sind. Knie zu haben, die nicht dick sind. Ich habe zwei Freundinnen, bei denen beides dick ist, die Beine und die Knie. Mir war nicht klar, dass sie nicht das haben, das für mich selbstverständlich ist: dünne Beine.

Ich mochte mein Bein nicht mehr. Ich hatte aber auch nicht gewusst, dass ich es mag. Und auch nicht, dass ich es nur mögen würde, solange es dünn wäre.
Es nervte mich, dass ich nun keine Röcke mehr mit Strumpfhosen tragen könnte, ein schmales und ein fettes Knie – wie sähe das denn aus?!
Ich trage schon lange keine Röcke mehr, schon gar keine, die oberhalb des Knies enden, aber dieses „Häßlich“, dieses Ende der Freiheit, machte mich mürrisch. Und ich bekam Angst. Angst, dass es so bleiben würde. Dass ich ab jetzt dicke Knie haben würde. So wie Millionen anderer auch.

Seit neuestem sondere ich mich innerlich ab. Von Frauen, die erkennbar jünger sind. Ich sehe an ihnen, was ich verloren habe: das Juvenile, die Selbstverständlichkeit eines funktionierenden und glatten Körpers. Und die Selbstverständlichkeit, ihn durch die Welt zu tragen. Sich seiner zu bedienen, ihn einzusetzen, sich an ihm zu erfreuen.

Schon einige Male blitzte beim spontanen Anblick einer jungen Frau der Gedanke auf: Wenn ich jetzt jung wäre, würde ich es auch so machen!
Ich wäre, so meine Annahme, auch so frei. So selbstbewusst. Hätte so eine Freude an meinem Körper. Jetzt, da ich erfahre, wie sich Vergänglichkeit anfühlt, würde ich all die Hürden überwinden und meine Jugend und mein Jungsein ausleben. Ohne den ganzen Scheiß an Beschränkungen und Werten, an Ängsten und Gepflogenheiten. Ich würde mein Jungsein als das begreifen, was es ist: ein Schatz.
Kaum habe ich das gedacht, folgt die Erkenntnis, dass es immer auch junge Frauen gibt und gab, die um die Kraft ihrer Jugend wissen, und die, dass auch unter denjenigen, die mir heute voll anscheinender Leichtigkeit auf der Straße entgegenkommen, die meisten später denken werden, „ach hätte ich doch …“
Schlimmer aber noch ist der Gedanke, der mir anschließend klar wird: dass es ein Trugschluss ist, dass ich irgendetwas anders machen würde. Anders machen könnte. Denn ich wäre ja immer noch ich.

Und auf einmal ist das Gefühl wieder da, was es hieß, Silke zu sein. Mit 16 oder mit 26. Dieses entsetzliche Gefühl ewiger Pein, weil ich nie cool war. Nicht blond genug. Nicht sexy genug. Und süß schon gar nicht. Weil ich meinen Mund nicht halten konnte und verbal jedem Idioten in die Fresse hauen musste. Also mehr oder weniger allen Typen. Weil es keine Jeans gab, in der mein Hintern nicht hässlich war. Weil ich Mathe nicht konnte. Weil ich dieses traurige Zuhause hatte. Weil ich nicht im Rhythmus klatschen konnte. Weil ich keine Drogen nahm. Weil ich aus Mangel Geld scheiße finden musste. Weil ich mich nicht fotografieren lassen mochte. Weil ich in Altbauwohnungen fremd war. Weil ich aus Überzeugung kein Sperma im Mund haben wollte. Weil es keine passenden Sandalen für mich gab. Weil mein großer Busen mir jede Freiheit nahm.

Bis ich mit Anfang 30 erfolgreich in meinem Beruf wurde, war es für mich schwer bis unerträglich, mich auszuhalten. Danach wurde es besser. Mit meinem Kind wurde es besser. Zum ersten Mal schien mein Körper, so wie er ist, gut zu sein. Er hatte eine Funktion, und er erfüllte sie bestens. Ein Teil des Haderns hatte ein Ende.
Auch danach war es nicht immer gut. Tatsächlich war es oft schlecht. Aber die Verachtung ist weniger geworden. Ich muss nicht mehr so fressen. Ich muss mich nicht mehr so verletzen, ich kann mich ganz gut ertragen. Ich bin milde mit mir geworden und blicke ebenso milde auf eine Haut, die jetzt mit Ende 50 sehr zu schrumpeln beginnt. Meine Oberarme sehen im Übergang zur Schulter geradezu erschreckend aus. Der Anblick erinnert mich an die Flügel beim gerupften Hähnchen.

Ich habe, wie Millionen anderer Frauen vor mir und in diesem Moment, das Selbstverständnis und die Pracht von Jugend und jungen Jahren mit Hadern und Zweifeln verbracht, mit Ablehnung, Ignoranz und Geringschätzung. Ich habe diese Zeit verschenkt und verschwendet. Das ist schade, aber nicht schlimm. Es scheint für viele Menschen in der Natur des Lebens zu liegen, dass es so laufen muss. Oft genug wird es auch so laufen müssen, weil das Leben anderes verlangt, anderes mit sich bringt, als dass man sich Gedanken über etwas macht, das so selbstverständlich scheint.
Ich habe ein neues Verhältnis zu meinem Knie. Mir war nicht klar, dass es mir in seiner Schlankheit so viel wert ist. Das zu erfahren und jetzt wieder ein „normales“ Knie zu haben, ist ein schönes Geschenk. Ich möchte die Zeit, die das schlanke Knie und ich jetzt haben, nutzen. So, wie ich es mit 20 hätte nutzen können, wenn ich mir seiner Großartigkeit bewusst gewesen wäre. Ich möchte es herzeigen und mich seiner erfreuen.
Mir ist klar, dass das Knie eine Metapher ist. Eine Metapher für all das Viele, das ich habe und das ich nicht genug geschätzt habe. Es ist zwar spät, damit anzufangen, aber nicht zu spät. Immerhin.

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