Das finnisch-norwegische Künstlerinnen-Duo Ikonen/Hjorth inszeniert Seniorinnen in der Natur. So entstehen Fotos von Frauen, die mit Matsch, Moos oder Heidekraut zu verschmelzen scheinen. Und Betrachter*innen sich fragen: Wer steht im Mittelpunkt, Natur oder Mensch?
Anette Frisch hat das Projekt „Eyes as Big as Plates“ entdeckt.
Riitta Ikonen studiert am Royal College of Art in London. Sie hat eine Projektidee, die sie in Norwegen verwirklichen will. Sie klappt ihr Laptop auf und googelt „Norwegen Großmutter Fotografie“. Die drei Worte verändern ihr Leben. Und das von Karoline Hjorth, die Riitta bei ihrer Suche findet. Seit 2011 arbeitet das finnisch-norwegische Künstlerinnenduo an ihrem gemeinsamen Langzeit-Projekt Eyes as Big as Plates. Dafür reisen sie um die Welt und nehmen Menschen jenseits der 60 auf besondere Weise in den Blick. Eines ihrer Ziele: Stereotype aufbrechen.
„Augen so groß wie Teller“ – wie seid Ihr auf den Namen gekommen?
Riitta: Der Name ist einem Volksmärchen entlehnt. Wobei es tatsächlich Versionen mit dem Titel gibt. Bei dem einen geht es um einen Hund, der unter einer Brücke lebt, bei der anderen Version ist es ein Troll. Ob Hund oder Troll, das ist eigentlich egal. In unserem Projekt geht es uns um eine offene, potenziell riskante Art, die Welt zu betrachten. Das Märchen ist ein Sinnbild für die Neugier geworden, die unser Projekt und unsere Interaktionen leitet.
In Eurem Buch sind es vornehmlich ältere Menschen, die Ihr in Szene setzt. Warum?
Riitta: Am Anfang unseres Projekts, das war 2011, haben wir uns mit der Personifizierung von Naturphänomenen befasst. In vielen Volksmärchen sind gefährliche Sümpfe, tückische Meere und Schären als Wesen getarnt. Wir haben dann mit älteren Menschen gesprochen, von denen wir dachten, dass sie die Volksmärchen sicher kennen. Zu unserer Überraschung war das aber gar nicht so. Unsere Gesprächspartnerinnen und -partner beschrieben die Beziehung zu ihrer Umgebung als eher pragmatisch.
Karoline: Wir haben uns gefragt, ob sich die Beziehung verändert, wenn sie sich mit ihrer Umgebung verbinden. Ein Teil unseres Projekts besteht also darin, mit Menschen raus in die Natur zu gehen und einfach erstmal zu beobachten. Manchmal kann das bedeuten, dass die Person ihre Umgebung so betrachtet, wie sie sie noch nie zuvor gesehen hat. Dass sie die Existenz dessen, was sie seit 50 Jahren umgibt, in Frage stellt und sich die Zeit nimmt, einfach inmitten all dessen zu sein.
Wir haben mittlerweile unseren Schwerpunkt verlagert, weg von der Idee der Volksmärchen, hin zu Menschen aus Kunst, Wissenschaft und Aktivismus, die sich aktiv am Diskurs über den Klimawandel beteiligen. Mit unseren Porträts und Texten möchten wir die Reichweite des Themas erhöhen und die drängenden Umweltprobleme rund um den Globus verdeutlichen.
Ihr bezeichnet die Menschen, die Ihr in Szene setzt, als Kollaborateur:innen. Warum?
Riitta: Unsere Mitstreiter:innen sind für das Ergebnis genauso entscheidend wie das Wetter, die Vegetation, die Geologie, die Kamera und wir beide. Bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, führen wir mit unseren Mitstreiter:innen Gespräche in Form lockerer Interviews. Dann suchen wir einen passenden Ort in der Umgebung und nach Materialien, die unsere Mitstreiter:innen mögen oder die wichtig für sie sind.
Die Menschen, die Ihr porträtiert, sind meist älter, warum?
Karoline: Mein Interesse für ältere Menschen begann mit meiner Großmutter. Sie ist ein sehr schüchterner Mensch, und es ist ziemlich schwierig, hinter ihre Fassade zu blicken. Ich war neugierig herauszufinden, woher das kommt. Das hat mich zu meinem Buchprojekt Mormormonologene geführt, in dem ich norwegische Großmütter, wir nennen sie „mormors“, porträtiert habe.
Riitta: Für mich zählen ihre Einstellung, ihre Lebenserfahrung und ihr Durchhaltevermögen zu den wichtigsten Eigenschaften, ebenso die enorme Neugier auf neue Erfahrungen. Unsere Kollaborateur:innen tragen dazu bei, eine demografische Gruppe wiederzuentdecken, die allzu oft marginalisiert oder sogar mit stereotypen Klischees abgestempelt wird. Wir möchten mit unserem Projekt neue Perspektiven eröffnen und gleichzeitig fragen: Wer sind wir? Wohin gehören wir?
Die Fotos in Eurem Buch zeigen auch, wie aufwändig und anstrengend die Arbeit für alle Beteiligten ist. Für Brit zum Beispiel musstet Ihr ein Drahtgestell bauen, um ihr auf einem Felsen inmitten der Brandung einen Mantel aus Ton zu bauen.
Riitta: Wir sagen unseren Partner:innen immer, dass sie ihre wärmste Kleidung mitbringen sollen und dann nochmal sieben zusätzliche Mäntel und ein Paar Stiefel obendrauf. Wir machen natürlich auch Pausen, um zu essen oder einen Whisky zu trinken.
Karoline: Ich arbeite mit einer analogen Kamera, was bedeutet, dass alles noch langsamer und deshalb körperlich noch anstrengender sein kann. Viele unserer Kollaborateur:innen müssen ihre Pose stundenlang halten, ungeachtet von Sonne, Insekten, stürmischem Wind oder extrem kitzligen Zweigen. Wir beide finden die Unvorhersehbarkeit jedes Treffens faszinierend. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum wir das Ganze jetzt schon seit zwölf Jahren machen.
Riitta: Außerdem lassen wir uns vom Zufall leiten und dem Verständnis, dass es uns nicht um das Ergebnis geht, sondern um das, was zwischen Natur und Mensch geschieht.
Manchmal scheinen Natur und Mensch zu verschwimmen.
Karoline: Ja. Dann ist nicht klar, wer oder was der Protagonist in unserer Arbeit ist. Die menschliche Figur oder die Natur um sie herum?
Riitta: Wir lieben es, wenn sich Grenzen auflösen. Die von Nationen, Kulturen oder Geschlechtern. Zu einem unserer Bilder sagen die Leute oft: „Mir gefällt das Porträt des älteren Mannes.“ Eigentlich zeigt das Bild aber eine Frau. Dabei spielt die Unterscheidung keine Rolle. Die fließenden Grenzen, die es gibt, sind das, was uns am meisten interessiert und begeistert.
Karoline: Es wäre schön, wenn unsere Arbeit die Leute inspirieren würde, aufmerksam zu sein, innezuhalten und Zeug:in zu werden von dem, was in ihrer Umgebung geschieht. Der Wandel unserer Umwelt ist dringlich, und wir hoffen, dass wir durch das Wahrnehmen beginnen, uns um die Natur zu kümmern.
Kunst kaufen: Ausgewählte Arbeiten von Eyes as Big as Plates sind zu kaufen. Bei Interesse bitte direkt mit den Künstlerinnen in Verbindung setzen: eyesasbigasplates@gmail.com.
Das Buch bestellen: Die sehr schöne und inspirierende Publikationzu Eyes as Big as Plates 2. ist beim Stuttgarter Verlag arnoldsche Art Publishers erschienen. Jedes Foto wird von einem kurzen biografischen Text begleitet. Darüber hinaus zeigt es die beiden Künstlerinnen auf ihren Reisen und bei ihrer Arbeit. Das großformatige Buch hat 252 Seiten, 471 Abbildungen und kostet 38 Euro.
Mehr über das Projekt: Weitere Informationen zum Projekt erfahrt Ihr auf der Website.
Mehr über die Künstlerinnen: Auf den Webseiten von Karoline Hjorth und Riitta Ikonen könnt Ihr auch eigene Arbeiten der Künstlerinnen ansehen.
Seit April 2023 kuratiert Anette Frisch die F*luxx Galerie. Sie hat auch das Interview mit den beiden Künstlerinnen geführt.