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Palais F*luxx

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Lesen oder lassen?

Buchbesprechung: „Oben Erde, unten Himmel“

Eine junge Frau im modernen Japan. Verloren in einer restriktiven Gesellschaft, bis sie bei einer Firma zu arbeiten beginnt, die die Wohnung Verstorbener reinigt. Silke Burmester prüft den literarischen Glanzeffekt

Nein, dem hübschen Titel ist es nicht anzusehen, mit welcher Erfüllung Suzu Leichensäfte beseitigt



Worum geht es?

Suzu ist eine junge Frau im heutigen Japan. Sie ist eine Einzelgängerin, hat sich mit ihrem Hamster in ihrer Wohnung eingerichtet und starrt mit dem Blick der distanzierten Fremden auf ihre Umwelt. Auf das Restaurant, in dem sie arbeitet, auf dessen Gäste, auf das alte Ehepaar, das unter ihr wohnt. Sie ist in einer inneren wie äußeren Immigration, als sie nicht zuletzt wegen ihrer Unfreundlichkeit aus dem Restaurant fliegt. Auf der Suche nach etwas Neuem stößt sie auf eine Anzeige als Reinigungskraft. Was die Anzeige verbirgt, ist, dass es sich um einen Job bei einer Firma handelt, die die Spuren an Leichenfundorten beseitigt. Suzu arbeitet zur Probe, und bleibt.

Milena Michiko Flašar beschreibt, wie „Fräulein Suzu“, wie sie von ihrem neuen Chef genannt wird, ausgerechnet in diesem schwierigen Arbeitsumfeld jene Teilnahme und Lebendigkeit entwickelt, die ihr bis dahin fehlten.

Warum sollte mich das interessieren?

Das muss mich nicht sonderlich interessieren. Das Leben eines Menschen, das wenig mit meinem zu tun hat. Die Beschreibung einer Gesellschaft, die starr ist vor Anstand, Respekt und Distanz und in der der Kodokushi, der einsame, unbemerkte Tod eines einsamen Menschen, wohl deutlich häufiger vorkommt, als er es bei uns (noch) tut.

Und dennoch hat mich das Buch gekriegt. Voll und ganz. Mit Freude habe ich es gelesen und bin mit der jungen Frau durch ihren Alltag gegangen.

Es ist schwierig zu sagen, warum das Buch so gut ist, warum das Lesen so eine Freude macht. Weder ist es die Sprache, noch sind es die Figuren, noch das Geschehen. Es bleibt nebulös, was das Buch ausmacht, außer, dass man mit einer gewissen Faszination den strengen Gepflogenheiten der Japaner*innen folgt, ihren eigenartigen Gebräuchen und Regeln, der Art und Weise, wie sie auf die Herausforderungen der modernen Welt reagieren. Zum Beispiel mit Manga Kissas, Internetcafés mit Übernachtungsmöglichkeiten, in denen manche Menschen schlichtweg leben.

Die wohl einnehmendste Person ist der neue Chef von Suzu, Herr Sakai. Ein freundlicher, zugewandter Herr mit einem klaren Blick für die Dinge und die Menschen. Es ist einfach schön zu lesen, wie er vor dem Betreten der Wohnung des oder der Verstorbenen vor der Wohnungstür innehält, klopft und dem/der Verstorbenen in die Wohnung ruft, dass sie nun eintreten würden. Wie er seine Mitarbeiter*innen dazu anhält, Dinge zur Seite zu legen, die sie in eine Erinnerungsbox tun, die sie Freunden oder Verwandten der verstorbenen Person überlassen. Kurz, wie er respektvoll den Tod ins Leben integriert.

Wie ist es geschrieben?

Es ist etwas herausfordernd, Suzu bei ihrem ersten Einsatz bei der Räumung einer Wohnung eines Verstorbenen zu begleiten. Flašar macht im Groben klar, worum es bei dieser Arbeit geht und sie ist so mitfühlend, es bei dieser einen Beschreibung zu belassen. Das mutet gleichzeitig eigenartig an, da im weiteren Verlauf nicht darauf eingegangen wird, was die Arbeit mit Suzu macht, wie das, was sie sieht und tut, sie verändert, an welche Grenzen sie kommt. Und was auf sie nach der Überwindung des Ekels und der Herausforderung wartet.

Es hilft zu wissen, dass es am Ende des Buches ein Glossar gibt, in dem die vielen japanischen Wörter erklärt werden. Etwa der Kotatsu, der beheizbare Tisch, Hikikomori, junge Menschen, die sich freiwillig für viele Monate in ihrem Zimmer einschließen und den Kontakt zur Familie abbrechen, oder Enka, was ein japanischer Schlager ist. Weiß man es, hilft es bei der Lektüre und bewahrt einen davor, längere Zeit im Nebel zu stochern, bis man sich ärgert und den Einfall hat, es könne sein, dass es ein Glossar gäbe und dann feststellt, wie einfach alles ist, wenn man einfach nachguckt …

Die Österreicherin Milena Michiko Flašar hat ihrem Roman eine klare, leichte Sprache mitgegeben, die ihr erlaubt, sehr subtil die Veränderung der Protagonistin mitzugehen. Ab und zu ploppen aktuell sehr gängige umgangssprachliche Wörter darin auf, was – selbst, wenn man bedenkt, dass Suzu in einem Alter ist, das diese Wörter verwendet – stört. Man ist beim Lesen so sehr in der japanischen Welt, dass es passender wäre, japanische Begriffe würden verwandt, um voll krass klarzumachen, was läuft. Das ist etwas schade.

Über die Autorin

Milena Michiko Flašar wurde durch die Romane „Ich nannte ihn Krawatte“ und „Herr Katō spielt Familie“ bekannt, die in viele Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet wurden.

Kostprobe:

„In einem Manga Kissa war ich zuletzt nach einem halben Date gewesen, weil mir die U-Bahn davongefahren war. Schemenhaft erinnerte ich mich daran. In der Kabine hatte es nach Vanille gerochen. Zu müde, um schlafen zu können, pulte ich an einem Loch in meiner Strumpfhose herum, bis aus dem Loch eine Laufmasche geworden war. Von nebenan kamen leise Schnarchgeräusche. Ein Rascheln. Jemand schnäuzte sich. Das Geräusch prägte sich mir ein, denn wer auch immer es war, der sich da schnäuzte, er schnäuzte sich so, als ob er alleine gewesen wäre. Er musste vergessen haben, dass die Wände, die ihn umschlossen, bloße Raumteiler waren.“

Milena Michiko Flašar: „Oben Erde, unten Himmel“, Verlag Klaus Wagenbach, 304 Seiten, 26 Euro, hier bestellen


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