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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Nichts zu verlieren

Silke Burmester hat den Kinofilm „Meine Stunden mit Leo“ gesehen. Was sie daran berührt, ist das Gleiche, das zur Gründung von Palais F*luxx geführt hat: der – auch schmerzhafte – Zauber, der dem Aufbruch innewohnt

Was der einen ein Hotelzimmer, ist den anderen ein Palast
(Emma Thompson als Nancy Stokes und Daryl McCormack als Leo Grande) Foto: Wild Bunch



Wenn sich Zeitungen bemüßigt fühlen, über einen Kinofilm zu berichten, in dem eine Frau in ihren 60ern die Hauptrolle spielt, dann ist der Filmproduzent der Cousin des Zeitungsverlegers, das ZDF hat Jane Fonda fürs Traumschiff verpflichten können oder es wurde ein Tabu gebrochen. Sprich, es gibt irgendwas mit Sex zu sehen. Wobei Sex im Zusammenhang von Frauen 47+ dort beginnt, wo der zweite Blusenknopf aus dem Knopfloch zu rutschen droht.

Und ja, die Zeitungen feiern „Meine Stunden mit Leo“, weil dieser Film eine „Oho!“-Geschichte erzählt. Eine Geschichte des Unerhörten, des Gewagten, weil für das Verhalten von Frauen, für ihre Wünsche und Erlebnisse noch immer andere Regeln gelten als für das von Männern. Egal, in welchem Alter. Erst recht aber über 47.
In „Meine Stunden mit Leo“ spielt Emma Thompson, 63 Jahre alt, Nancy Stokes, die zwei Jahre nach dem Tod ihres Ehemannes einen Callboy bucht, noch dazu einen jungen, um endlich den Sex zu erleben, von dem sie gehört hat, dass man ihn erleben kann. Einen, bei dem sie nicht unten liegend abwarten muss, bis der Mann auf ihr gekommen ist.

Die Befreiungsgeschichte von Nancy Stokes ist unsere

Normalerweise wäre dieser Film prädestiniert, um in unserer Filmrubrik „An oder Aus?“  besprochen zu werden. Dann würde er unter typischen Gesichtspunkten der Filmkritik, aber auch unter denen der Relevanz für Frauen 47+ und der Darstellung von Frauen 47+ besprochen – und, in diesem Fall, empfohlen.

Ich habe mich dagegen entschieden, ihn auf diese Art vorzustellen. Denn der Film hat mich sehr berührt. Und ich habe mich gefragt, warum er das tut. Warum rührt es mich so an, wenn ich sehe, wie eine Frau, die gefangen ist in sich und ihrem braunen Lehrerinnenkostüm, zu sich selbst findet? Die über die Begegnung und Konfrontation mit ihren Wünschen und ihrem Begehren, mit ihrer Sinnlichkeit, aber auch mit ihren Beschränkungen, Ängsten und Glaubenssätzen ein neues Ich entdeckt. Oder das verschüttete befreit.
Die Antwort geht über das, was eine Filmkritik leisten soll, hinaus. Und so rücken die großartige Leistung Emma Thompsons, der Humor, der auch der Zuschauer*in hilft, die Anspannung der Situation des Kammerspiels zu lösen, ebenso wie das, was es zu bemängeln gibt, in den Hintergrund. Ich merke, es geht nicht darum, wie die Erzählung umgesetzt wird, um ihre Plausibilität und ihre Schwächen, es geht darum, WAS umgesetzt wird.
Nämlich die Befreiungsgeschichte einer Frau in einem Alter, für das die Gesellschaft wenig Spiel- und Aktionsraum vorgesehen hat. Einer Frau, über die das Denken vorherrscht, ihre beste Zeit läge hinter ihr. Die aussortiert und abgeschrieben ist, nur, weil sie nicht mehr „jung“ ist.

„Jung“ ist oft vor allem die Zeit des Ertragens

„Meine Stunden mit Leo“ verdeutlicht im selben Moment, dass „jung zu sein“ kein Garant ist. Dass es nichts nützt, sondern, im Gegenteil, oft genug eine Zeit des Ertragens ist, des Mitmachens. Das Leben eines Lebensmodells, von dem man gedacht hat, es würde einem gefallen. Es sei das richtige. Ein Modell, von dem man irgendwann begreift, dass seine Zeit vorbei ist und man jetzt die Chance hat, sich neu ins Leben zu stellen. Oder ein Modell, das aus ganz anderen Gründen nicht mehr greift. Weil es sich aufgelöst hat, ohne dass man dazu bereit war, durch Trennung, Tod oder Teufel.

Ich habe einen Moment gebraucht, um zu merken, dass das, was mich an dieser Entwicklungsgeschichte so sehr berührt, meine Motivation beschreibt, Palais F*luxx gegründet zu haben. Einen Ort geschaffen zu haben, der diesem Prozess Raum gibt. Eine Umgebung geschaffen zu haben, in der es ok ist, verunsichert zu sein und seine Blessuren zu zeigen. Eine Umgebung, in der Blessuren keine Schwäche markieren, sondern Verbindung schaffen, weil jede von uns sie hat. Und sie als das begriffen und vielleicht auch wertgeschätzt werden, was sie sind: Spuren unseres Lebens.

Emma Thompson zuzusehen, wie sie in der ersten Verabredung mit dem Callboy von ihrer Unsicherheit überrannt wird, wie sie hadert, sich schämt, das Ganze zur dummen und auch anmaßenden Idee erklärt, und wie sie über die Stunden mit Leo in eine neue Form ihrer Lebensgestaltung findet, ist wie eine Blaupause für das, was ich hoffe, mit Palais F*luxx zu erreichen. Frauen dazu zu bringen, die Erstarrung zu lösen und zu begreifen, dass es für nichts zu spät ist. Gut, fürs Kinderkriegen ist es zu spät. Aber dafür, den Führerschein zu machen? Eine eigene Wohnung zu haben? Eine Ausbildung zu machen? Umzuziehen? Reiten zu lernen? Den Sex zu haben, auf den man neugierig ist?
Für all diese Dinge ist es nicht zu spät. Sie mögen sich nicht alle realisieren lassen, aber es ist nicht zu spät.

Eine elementare Krise als Chance, nocheinmal die Welt zu entdecken

Ich glaube, die Zeit um und nach den Wechseljahren ist so schmerzhaft, weil wir verstehen, dass vieles von dem, das bis hierhin richtig war, es nicht mehr ist. Der Beruf, die Einrichtung, die Partnerschaft, die Kleidergröße. Das zu realisieren und sich zu verabschieden, ist ein enorm schmerzhafter Prozess, zumal wir oft nicht wissen, was an die Stelle treten soll. Wir verlassen nicht das Bekannte und treten in ein fertiges Neues. Viele von uns stehen einem Vakuum gegenüber und haben nicht einmal eine Ahnung, was kommen soll, wenn sie die Partnerschaft, den Beruf oder was auch immer aufgeben.

Mir war lange Zeit nicht klar, dass das so ist. Und dass es so sein muss. Ich hatte diese elementare Krise als mein persönliches Gegen-die-Wand-Fahren verstanden. Ist es nicht. Es ist eine Zeit der Neufindung, damit wir die Jahrzehnte, die jetzt kommen, gut für uns nutzen können. Genussvoll tun, was wir mögen. Noch einmal die Welt entdecken.
Als ich das verstanden habe und mir klar wurde, dass der Schlüssel zur seelischen Entlastung darin liegt, zu wissen, dass es fast allen Frauen so geht, und dass es hilft, sich zu verdeutlichen: Dies ist kein individuelles Versagen, keine Krise, die nur ich hab, weil ich – mal wieder – nicht genüge, stand fest: Ich gründe Palais F*luxx. Ich möchte, dass Frauen wissen, sie sind nicht allein, Millionen geht es so und das was ist, ist verunsichernd – aber wir wären dumm, wenn wir nicht mit Neugier anfingen, unser Jetzt und damit unsere nächste Lebensphase zu gestalten.

Es gibt in einem Songtext von Ton Steine Scherben (ja, der alten Anarcho-Truppe) die schöne und, wie ich finde, hilfreiche Zeile: „Wir haben nichts zu verlieren, außer unserer Angst.“
Nehmen wir uns ein Beispiel an Nancy Stokes aus dem Film: Fangen wir mit dem Sex an! Oder vielleicht auch nur damit, unsere Wohnung umzuräumen.

Der Film läuft noch in den Kinos. Der deutsche Trailer ist hier, schöner aber wird es sein, den Film im Original zu sehen.


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