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Palais F*luxx

Online-Magazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre

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Mensch, Mama … du nervst!

Hätte, hätte Fahrradkette

Hätte, könnte, würde – die Mutter unserer Kolumnistin liebt es, im Konjuktiv zu schwelgen

Ich bin ein Mensch, der gerne im Hier und Jetzt lebt und sich mit dem beschäftigt, was in der Realität stattfindet. Es gibt nur noch wenige Momente, wo ich mir Gedanken um ungelegte Eier mache. Meine Mutter ist da ein ganz anderes Kaliber. Sie lebt am liebsten im Konjunktiv. Jüngst beschwerte sie sich wieder mal darüber, dass im Heim am Vorabend zu wenig Personal im Haus war. Ich fragte sie, was das denn für Auswirkungen auf sie gehabt habe. „Keine, ich kann mich ja alleine ausziehen und selbstständig meine Medikamente nehmen. Aber was wäre, wenn ich das nicht mehr gekonnt hätte.“ Mein Einwand, dies sei eine hypothetische Annahme, wollte sie partout nicht gelten lassen. Sie zählte mir zig Situationen auf, die so oder ähnlich eintreten könnten. Könnten – genau. Ich versuche sie dann immer zu ermutigen, sich mit dem zu beschäftigen, was ist und was sie alles im echten Leben bewältigt und noch kann. Also Positive Thinking-Übungen für Seniorinnen.

Beim letzten Besuch saßen wir an einem herrlichen Juli-Abend zu einem entspannten Dinner draußen in einem tollen Restaurant in Marburg. Die Sonne schien, der Himmel war noch blau, die Speisen toll. Doch meine Mutter haderte mal wieder. „Stell‘ dir mal vor, es würde jetzt regnen, dann wäre es nur halb so schön hier.“ „Mama, es regnet aber nicht. Es ist doch wunderschön. Genieß das doch mal“, erwiderte ich. „Ja, aber wenn es regnen würde. Erst vor zwei Tagen war es schlecht“, brummelte sie und zog an ihrem Strohhalm. „Vor zwei Tagen war vor zwei Tagen. Jetzt ist es gut. Wir können uns einfach darüber freuen.“ „Der Pfleger hat neulich gesagt, wenn es jetzt wieder regnen würde, wäre die Apfelernte kaputt.“ „Mama, sie ist aber jetzt nicht kaputt und ob das überhaupt passiert, weiß kein Mensch“, antwortete ich schon leicht missgestimmt. Und meine eigenen Gedanken kreisten plötzlich um ferne Wetterprognosen und mögliche Konsequenzen.

Ein beliebtes Konjunktivthema meiner Mutter dreht sich immer wieder um die Krankenkasse und zu erstattendes Geld. Ich verstehe, dass man sich Gedanken macht, wenn man große Beträge auslegt und relativ lange aufs Geld warten muss. Doch bislang war das nicht wirklich ein Problem. Also macht meine Mama daraus eines. „Das Geld von der Beihilfe ist immer noch nicht da. Seit sieben Wochen warte ich jetzt schon. Wenn es nicht bald kommt, habe ich kein Geld mehr auf dem Konto“, erzählt sie mir empört am Telefon. Ich beruhige sie und verspreche, bei der zuständigen Stelle anzurufen, wenn es in den nächsten Tagen nicht kommen sollte. „Ich könnte sonst das Heim nicht rechtzeitig bezahlen und müsste ausziehen. Und wo soll ich dann hin?“ Das Hirn meiner Mama malt sich wieder die schlimmsten Katastrophen aus, die natürlich niemals eintreten. Also frage ich sie, wann jemals eine ihrer beunruhigenden Szenarien eingetreten sei. Stille am anderen Ende. „Nie,“ sagt sie etwas kleinlaut. „Aber es könnte ja doch mal passieren.“ Ich lege auf und lasse meine Mutter zurück in ihrer „Hätte, könnte, würde Bubble.“ Denn sonst würde ich hochgehen wie einst das HB-Männchen …

Ich träume schon lange davon, mal nach Norwegen zu fahren. „Ja, da war ich auch schon, ist sehr schön, viel Natur, bunte Häuschen, das war’s aber auch.“ Gemeint ist von ihr eine einwöchige Schiffsfahrt von Hamburg Richtung Norwegen mit einem kurzen Aufenthalt in Bergen. Aber sie hat natürlich den totalen Durchblick.

Auch Sylt, wo sie zuletzt vor circa 30 Jahren war, gehen wir nochmal im Detail durch. Wie stark sich Westerland verändert hat, wo meine Eltern immer eine Ferienwohnung gemietet hatten, interessiert meine Mama kaum. „Was soll sich da schon verändert haben? Meer ist Meer und Strand ist Strand.“ Logo Mama. Ich verstumme und höre mir an, wo meine Eltern vor Jahrzehnten das beste Eis der Insel gegessen haben. Doch als ich auflege, überkommt mich dennoch schon wieder die große Sehnsucht nach Wind, Möwen und diesem speziellen Geruch auf den Nordseeinsel. Juist steht schon länger auf meiner Bucket-List. Aber davon erzähle ich meiner Mutter lieber nichts. Sie war garantiert schon da und hat einfach alles schon gesehen …

Ingeborg Trampe
Die Fachfrau für PR ist durch ihre Arbeit rund um Hamburgs Kunst, Kultur und Genüsslichkeiten immer eine gute Adresse auf die Frage, where to go. Alle 14 Tage beschreibt sie für uns „what to avoid“, was es zu meiden gilt. Ihre Mutter.

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