Selbstbestimmte Schlampen
Ich höre wahnsinnig gerne Leuten bei Gesprächen zu, die eigentlich nicht für mich gemeint sind. Man lernt so viel über das Leben. In der Bahn, beim Einkaufen oder wie neulich in der Damen-Sauna. Als ich mich vom Dampfbad ermattet auf eine Liege gleiten ließ, sah ich eine Gruppe älterer Frauen jenseits der 60, die sich mir gegenüber auf einer Sitzgruppe breit machten. Ich konnte gar nicht anders als zu lauschen, denn sie redeten ziemlich laut. Es ging um irgendeinen Sportler, der neulich auf dem Roten Sofa des NDR gesessen hatte. Ich spitzte aber erst richtig die Ohren, als die Rede auf seine angebliche Ex-Freundin kam – Moderatorin Sophia Thomalla. Die Gruppe ereiferte sich vor allem darüber, dass sie ja die Männer wechsle wie andere ihre Hemden. Kurzum: Für die Damenrunde war Thomalla eine Schlampe.
Regeln für Frauen und andere Regeln für Männer
Ich persönlich finde es ja großartig, wenn Frauen umtriebig sind und so viel Sex und Spaß mitnehmen, wie sie bekommen können. Warum bei einem Partner oder einer Partnerin bleiben, wo es nicht passt, langweilig ist, man sich nicht guttut oder das Erotikleben mau ist? Soweit ich das aus der Boulevardpresse verfolgen kann, kommt mir Sophia Thomalla ziemlich selbstbestimmt vor und macht eben das, wozu sie Bock hat. Auch beim Dating. Das finde ich nicht nur richtig, sondern geradezu vorbildlich. Keine Frau sollte sich von anderen vorschreiben lassen, wen, wann, wie lange oder wie kurz sie jemanden liebt oder begehrt.
Dieses Konzept freilich ist selbst in Zeiten der Emanzipation für viele Zeitgenoss:innen noch immer undenkbar. Männer können machen, was sie wollen – zumindest solange es einvernehmlich passiert. Frauen, die sich nicht in den immer noch vorhandenen gesellschaftlichen Käfig der Monogamie sperren lassen, werden sofort abgewertet und zu Schlampen abgestempelt. In diesen Tagen diskutiert ganz Deutschland nicht nur über die neue DSDS-Staffel (Deutschland sucht den Superstar), sondern vor allem über Jury-Mitglied Katja Krasavice. Die erfolgreiche Rapperin und Buchautorin, die dem Plattenbau entkam und es bis an die Spitze der Charts schaffte, wird nicht etwa aufgrund ihrer Leistungen und Erfolge beurteilt, sondern nach Aussehen und ihrem mitunter provokanten Lebensstil. Gott sei Dank lässt sie sich von dem engstirnigen Mob da draußen nicht beeindrucken. Vielmehr spielt sie geschickt mit dem Bitch-Schimpfwort (Buchtitel: Bitch-Bibel) und hat es mal eben für sich umgewertet und damit viel Geld gemacht. Bravo Katja!
Kampagne für offensiv gelebte Erotik
Trotzdem frage ich mich: Wann hört der Beurteilungsterror für Frauen eigentlich mal auf? Ich kann vielleicht noch nachvollziehen, wenn ältere Damen, die mit einem Zwangsbeziehungskorsett groß geworden sind, Frauen nicht verstehen, die unabhängig und sexuell frei ihre Leben leben wollen. Doch die Verurteilungen und Verunglimpfungen von Frauen jenseits der Beziehungsnorm werden auch von jungen Generationen vorgenommen. Und über soziale Medien verbreitet und verstärkt, so dass Frauen ihre geheimen Wünsche entweder ganz verbannen oder nur still und heimlich versuchen, sie auszuleben.
Neulich fragte mich eine Freundin, ob ich nicht einen Tipp für eine Erotikparty für sie hätte. Am besten weit weg, so dass sie auf gar keinen Fall Bekannte treffen könne. Und ich dürfte es auch niemandem erzählen, selbst nicht der gemeinsamen besten Freundin. Hier wurde die Lust durch Angst gesteuert. Keine gute Kombi. Und leider kein Einzelbeispiel.
Die erotischen Fantasien von Frauen, der Wunsch nach einem offensiven Ausleben der erotischen Eskapaden müssen endlich raus aus der Heimlichkeit. Und damit raus aus der Schmuddelecke und Abwertungsspirale. Erreichen können Frauen das nur gemeinsam.
Ich wünsche mir eine ähnlich aufmerksamkeitsstarke Kampagne wie damals die Bekennerinnenaktion von Frauen, die abgetrieben haben. Was wäre es für ein starkes Statement, wenn Frauen – prominent und nicht prominent – sich offen zu einem selbstbestimmten Schlampenleben bekennen würden. Am besten zu Tausenden. Ich sehe dieses Wahnsinnsbild von Frauen, die allen anderen den Mittelfinger zeigen, schon vor mir. Was wäre das für ein Befreiungsschlag. Und die Damen in der Sauna hätten dann mal ein richtiges Thema, über das sie ausgiebig quatschen könnten.
Suzette Oh ist im besten Alter, um die richtige in Theorie und Praxis erfahrene Sexpertin für uns zu sein. Tatsächlich hört sie außerhalb der gedämmten Wände auf einen anderen Namen, möchte aber auch weiterhin die Bestellung für ihre Schwarzwälderkirschtorte zum Geburtstag aufgeben, ohne dass die Verkäuferin kreischt: „Ich kenn Sie! Sie sind die tolle Sex-Kolumnistin!“
Wer jetzt schnell mehr von ihr lesen möchte, klickt auf die Links. Suzette Oh hat nämlich bereits aussagekräftige Bücher veröffentlicht, als da wären ihr „Pussy Diary“ und ihre erotische Phantasien in Bezug auf das Erben eines Hauses. Bzw. ein Hotel der Lust.
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